Sebastian Edathy

"Es gibt die Unschuldsvermutung"

Blick auf das Bürgerbüro von Sebastian Edathy: links ein Schild mit der Aufschrift "SPD - Sebastian Edathy - Mitglied des Bundestages - Bürgerbüro" - rechts davon der Eingang.
Blick auf das Bürgerbüro des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy (SPD) in Stadthagen © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Andrea Titz im Gespräch mit Gabi Wuttke  · 12.02.2014
Grundsätzlich sei ein Anfangsverdacht die Voraussetzung für die Einleitung eines Verfahrens, sagt die Juristin Andrea Titz. Aber die Behörden müssten auch immer sehr vorsichtig sein, was sie wann kommunizieren. Der Persönlichkeitsschutz müsse "besondere Berücksichtigung finden".
Gabi Wuttke: "Die öffentliche Behauptung, ich befände mich im Besitz kinderpornografischer Schriften oder hätte sie mir beschafft, ist unwahr." Mit dieser Mitteilung widersprach Sebastian Edathy gestern Vormittag dem Bericht einer niedersächsischen Lokalzeitung, die nach eigener Aussage durch Anwohner von der Durchsuchung der Wohnung des zurückgetretenen Bundestagsabgeordneten informiert worden war. Wie wollen nicht spekulieren, sondern uns die Fakten erklären lassen von Andrea Titz, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Richterbundes. Einen schönen guten Morgen!
Andrea Titz: Guten Morgen!
Wuttke: Edathy hat vor fünf Tagen sein Bundestagsmandat niedergelegt. Damit besitzt er keine Immunität mehr. Beschleunigt die eigenständige Niederlegung eines Mandats die Ermittlungen?
Titz: Nein, das kann man in diesem Fall so nicht sagen, denn grundsätzlich wurde und wird regelmäßig vom Bundestag generell die Durchführung von Ermittlungsverfahren gegen seine Mitglieder wegen Straftaten mit wenigen Ausnahmen vorab bereits sozusagen pauschal genehmigt, sodass die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens generell ohnehin auch gegen Bundestagsabgeordnete nur anzeigepflichtig ist. Insofern ist der Beschleunigungsfaktor durch Niederlegung eines Mandats und auf diese Weise Aufgabe der Immunität allenfalls minimal.
Wuttke: Unter welchen Umständen, Frau Titz, wird denn überhaupt ein Durchsuchungsbefehl ausgestellt? Was genau, fragt sich der interessierte Laie, sind denn Vorermittlungen beziehungsweise was ist ein juristischer Anfangsverdacht?
"Da braucht man schon einen hinreichenden Tatverdacht"
Titz: Grundsätzlich ist ein Anfangsverdacht die Voraussetzung für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens. Es muss die Möglichkeit bestehen, aufgrund der ermittelten Fakten die Möglichkeit bestehen, dass eine Straftat begangen wurde. Das ist also noch eine relativ geringe Verdachtsstufe sozusagen, der erste Einstieg, wann überhaupt die Ermittlungsbehörden einsteigen können. Aber auch umgekehrt einsteigen müssen. Also das ist nicht etwa ihre freie Entscheidung, ob sie dann, wenn sie einen solchen Verdacht haben, tätig werden oder nicht, sondern nach dem Legalitätsprinzip müssen sie dann einsteigen. Und für die Beantragung und dann den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses braucht man aber schon etwas mehr, da braucht man dann schon einen sogenannten hinreichenden Tatverdacht, das heißt, es muss die Wahrscheinlichkeit aufgrund der ermittelten Umstände, dass hier eine Straftat vorliegt, schon etwas höher sein.
Wuttke: Welche Maßgabe gibt es denn für einen hinreichenden Tatverdacht? Hat das gleichzeitig was mit der Schwere zu tun?
Titz: Nein, das ist wieder ein anderer Aspekt. Also da muss man wirklich im Einzelfall – das kann man nicht sozusagen pauschal vorgeben, sondern da muss der Richter im Einzelfall, bevor er den Durchsuchungsbeschluss erlässt, eben prüfen, die Fakten, die ihm die Ermittlungsbehörden vorlegen, nach Aktenlage, kommt er da zu dem Ergebnis, es besteht doch eine größere Wahrscheinlichkeit, dass hier eine Straftat vorliegt, als dass keine Straftat vorliegt.
Wuttke: Ist damit impliziert, dass es sich um eine sich um eine schwere oder um eine – ich sag es mal in Laiensprache – nicht ganz so schwerwiegende Straftat handeln könnte?
Titz: Nein, das ist noch eine zweite Prüfungsstufe dann, wenn der Ermittlungsrichter bei der Prüfung diesen hinreichenden Tatverdacht bejaht, dann muss er sich in einem zweiten Schritt fragen, ist es denn auch verhältnismäßig, dass hier ein Durchsuchungsbeschluss erlassen wird. Das bedeutet, ist die Tat, um die es geht, die womöglich begangen wurde oder auch nicht – das ist ja immer noch, wir sprechen ja immer noch nur von einer Wahrscheinlichkeit – "ist diese Tat es denn wert", in Anführungszeichen, dass man diesen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte in Form einer Durchsuchung hier vornimmt.
Wuttke: Die niedersächsisch Lokalzeitung "Die Harke" hat das Wort Kinderpornografie in den medialen Ring geworfen. Frau Titz, wie lange sind Strafermittlungsbehörden verpflichtet, über den tatsächlichen Grund ihrer Ermittlungen zu schweigen?
"Verpflichtet, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu schützen"
Titz: Die Ermittlungsbehörden unterliegen auch der Auskunftspflicht gegenüber den Medien. Allerdings sind sie natürlich in ganz besonderem Maße verpflichtet, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu schützen. Anders als Gerichte, die ja, wenn sie kommunizieren gegenüber den Medien, bereits zumindest über erhobene Anklagen, über durchgeführte Strafverfahren berichten können, befinden wir uns ja hier im Stadium noch der Ermittlungen, wo noch überhaupt nicht geklärt ist, ob sich der Tatverdacht dann tatsächlich auch erhärtet, ob es jemals zu einer Anklageerhebung kommen wird.
Und da sind natürlich die Voraussetzungen, unter denen kommuniziert werden kann, sehr, sehr viel höher, denn der Persönlichkeitsschutz, die Unschuldsvermutung, die hier ja für den einzelnen Betroffenen streitet, sind natürlich hier von ganz besonderer Relevanz, und deswegen müssen Ermittlungsbehörden da sehr zurückhaltend sein. Ganz abgesehen davon, dass natürlich auch es immer noch um die Frage geht, sind vielleicht Ermittlungsergebnisse gefährdet, wenn zu früh zu viel kommuniziert wird.
Wuttke: In welchem Verhältnis steht denn der Persönlichkeitsschutz zum öffentlichen Interesse?
Titz: Der Persönlichkeitsschutz muss gerade im Stadium des Ermittlungsverfahrens hier durchaus besondere Berücksichtigung finden, denn es gibt ja die Unschuldsvermutung, und wenn gegen jemand ermittelt wird, und wir uns in dem Bereich befinden, wo wir noch nicht sagen können, wie wird sich denn der Tatverdacht entwickeln, wird das Verfahren womöglich eingestellt, weil sich eben der Tatverdacht nicht erhärtet, dann ist es natürlich besonders gefährlich, wenn ich hier eine Art öffentlicher Vorverurteilung herbeiführe, indem ich zu früh zu viele Einzelheiten kommuniziere.
Wuttke: Greifen wir zum Schluss noch mal das Stichwort der öffentlichen Vorverurteilung auf. Sie mit Ihrer Erfahrung als Richterin und langjähriger Staatsanwältin: Bleibt der Betroffene am Ende ohne Makel, auch wenn sich seine Unschuld herausstellt, wenn eine Durchsuchung öffentlich wird?
Titz: Das ist genau der Punkt, warum es eben sehr gefährlich ist, zu früh zu offensive Pressekommunikation zu betreiben. Es ist eben immer die Gefahr, wie sie richtig sagen, dass hier ein öffentlicher Makel bleibt, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der Betroffene dann immer verbunden ist mit "gegen den waren doch mal Ermittlungen anhängig". Was dann daraus wird, ist in der öffentlichen Wahrnehmung meist nicht so gut verankert. Und gerade deswegen müssen die Ermittlungsbehörden immer sehr vorsichtig sein, was sie wann kommunizieren.
Wuttke: Im Deutschlandradio Kultur Andrea Titz, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Richterbundes. Vielen Dank für diese Erläuterungen, Frau Titz – schönen Tag!
Titz: Sehr gerne, wünsche ich Ihnen auch! Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema