Schüler in Schützengräben

Der ferne Krieg - eine unbekannte Welt

25.644 Soldaten liegen auf dem Soldatenfriedhof Vladslo im belgischen Ypern begraben.
25.644 Soldaten liegen auf dem Soldatenfriedhof Vladslo im belgischen Ypern begraben. © dpa / picture-alliance / Thierry Monasse
Von Christiane Habermalz  · 26.11.2014
Der belgische Ort Ypern ist mit dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg verbunden. Ausgerechnet dort, wo der Krieg auf unvorstellbare Weise wütete, wird auch eine gewisse Kriegsmär vom großen Zusammenhalt gepflegt.
- "Bei meiner Großmutter im Haus hab ich ein, zwei Fotos mal gesehen, die an den Wänden hingen von Leuten, die im Krieg bei uns waren, aber weiß ich auch nichts darüber. Also keine Namen oder Jahreszahlen oder wann die gestorben sind oder wo die da gewesen sind."
- "
Schülerin: Bei mir im Dorf stehen so Gedenktafeln, da wurde mir mal irgendwann erzählt, dass von meiner Oma die Vorfahren irgendwie auch im Krieg waren."
- "
Schüler: Ja, wir hatten dann halt ein paar Doppelstunden, explizit halt auch über Ersten Weltkrieg und das von Ypern und so weiter, und ich glaube jeder von uns hat‘s auch mal in Google eingegeben und selbst mal ein bisschen geguckt."
(Schüler im Gespräch)
Für Celina, Thimo, Sarah und Bastian ist der Erste Weltkrieg weit weg. Hundert Jahre, vier bis fünf Generationen. Es gibt keine Zeitzeugen mehr, die von dem Grauen der Gasangriffe, dem Sterben in den Schützengräben erzählen könnten. Trotzdem, erzählen sie, gibt es da noch eine Verbindung, etwas Persönliches. Vielleicht, weil die deutschen Soldaten, die hier zu Zehntausenden gleich in den ersten Kriegswochen gefallen sind, nicht viel älter waren als die Schüler selbst?
Sarah: "Beim Ersten Weltkrieg weiß man ja, das war auch in Deutschland, das waren Vorfahren von einem, da hat man ja schon noch eher einen Bezug zu. Man weiß, wie die Front war, und das war ja alles näher. Wir wohnen in Siegen, und da ist Ypern einigermaßen in der Nähe."
Ypern lebt das Gedenken
Die Schülerinnen und Schüler des Peter-Paul-Rubens-Gymnasiums sind zusammen mit ihren Lehrern nach Ypern gekommen. Sie wollen Kränze niederlegen auf Soldatenfriedhöfen und am Gedenken teilnehmen. Mit ihnen reist eine belgische Schülergruppe aus dem Koninklijk Atheneum. Beide Schulen verbindet seit 20 Jahren eine Schulpartnerschaft. Für die Schüler aus Ypern reicht der Erste Weltkrieg bis in die Gegenwart. Sie sind quasi aufgewachsen mit den Toten. Die Felder sind bis heute übersät mit den Resten des Krieges. Wie erträgt man das als Jugendlicher?
Belgische Schülerin: "Ich denke, jeder in Ypern ist stolz darauf. Es ist eine historische Stadt. Viele Leute besuchen sie Tag für Tag und wer in Ypern lebt, ist schlichtweg stolz. Jeder denkt jeden Tag an den Krieg und daran, dass die Leute deswegen gestorben sind."
Ypern lebt das Gedenken. Jeden Abend wird am Menem-Tor im Zentrum der Stadt der Verkehr angehalten. Das Tor wurde nach dem Krieg als Gedenkort für die 55.000 vermissten Soldaten des British Empire errichtet, ihre Namen sind wie eine endlose Zeichenfolge in die Wände graviert. Eine Ehrengarde marschiert auf, fünf Trompeter nehmen Aufstellung und blasen den "Last Post", den letzten Gruß an die Toten, zusammen mit dem Versprechen: "We will remember them."
Seit 1928 sendet Ypern den Toten seinen letzten Gruß hinterher – jeden Tag, heute zum 29758. Mal. Menschen aus der ganzen englischsprachigen Welt kommen hierher, um den Ort zu besuchen, an dem ihre Großväter kämpften und starben – Inder, Australier, Kanadier, Neuseeländer. Drei Briten in Uniformen des Ersten Weltkriegs stehen dicht an der Absperrung, faltige Gesichter unter Papp-Stahlhelmen, 82 Jahre alt ist der älteste der drei. Sie treffen sich jedes Jahr, um ihrer Großväter zu gedenken, die rund um Ypern in den Schützengräben kämpften.
Die Schüler wirken erleichtert
"Seit 13, 14 Jahren kommen wir hierher. Mein Großvater hat bei Passchendaele gekämpft, er hat überlebt. Ihre Verwandten, Ihr Großvater ist hier vergast worden."
(Ein Engländer)
Auch die Schüler sind zum "Last Post" gekommen. Sie sind etwas erschlagen von dem unbekümmerten Gedenkrummel hier, von der Lebendigkeit. In den Läden liegen Stahlhelme aus Schokolade, Kaffeetassen mit dem zerstörten Ypern darauf, und überall Mohnblumen, Symbole für die Soldatengräber.
Führerin in Dodengang: "So haben Sie eine Ahnung von diesen Schützengraben. So hat das ausgesehen. Ganz schmutzig, mit Läusen, mit Ratten, die Geschichten kennen Sie wahrscheinlich…"
Besuch bei einem noch erhaltenen Schützengraben. Es hat geregnet, Schlamm und Dreck spritzt durch die engen Gänge, als die Schüler hindurchlaufen – fast wie damals, erklärt die Führerin, als die Deutschen und die Franzosen sich gegenüber saßen, eingegraben, und aufeinander schossen, nur dass man da durch Blut, Schlamm und Leichen waten musste. Drei Wochen betrug die durchschnittliche Lebenserwartung eines Soldaten im Schützengraben, erzählt sie den Schülern. Die albern ein bisschen herum – Spannung ablassen.
Schließlich: Der deutsche Soldatenfriedhof Langemarck. Thimo soll eine Rede halten, in Anwesenheit der Botschafter aus Deutschland, Frankreich und England. Vor lauter Nervosität hat er den Zettel mit dem Ernst-Jünger-Zitat vergessen, das er sich rausgesucht hatte – aber die anderen merken es nicht. Der Pfarrer zitiert den Liedermacher Hannes Wader, dann ist alles vorbei. Die Schüler wirken erleichtert, als sie wieder in den Bus steigen. Ob sie sich vorstellen können, für etwas in den Krieg zu ziehen? Gibt es etwas, für das es sich in ihren Augen lohnt, zu kämpfen und zu sterben?
Schüler: "Ich kanns mir nur vorstellen, jetzt zum Beispiel für den Frieden zu kämpfen. Oder halt gegen solche Organisationen wie die IS oder so was. / Ich glaube wie leben in einer Gesellschaft mit Internet und können uns die Infos ja überall besorgen. Das gab´s früher nicht, die hatten nicht die Sichtweisen der anderen, die konnten gar nicht vergleichen. Heute, glaube ich, dass es sehr viel schwieriger werden würde, dass ein Krieg ausbricht. / Ich glaube für Freiheit lohnt es sich zu kämpfen, aber man sollte es möglichst vermeiden, wenn es geht."
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