Scholz lehnt Steuersenkungen ab

Moderation: Birgit Kolkmann · 20.05.2008
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz hat sich gegen Steuererleichterungen für Besserverdienende zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Die gute Wirkung des Sozialstaates müsse aufrechterhalten bleiben und das koste auch Geld, sagte der SPD-Politiker. Vor dem Hintergrund des jüngsten Armuts- und Reichtumsberichts plädierte Scholz erneut für Mindestlöhne, den Ausbau der Kinderbetreuung und mehr Ausbildungsplätze.
Birgit Kolkmann: Die einen haben zu wenig, die anderen zu viel. Wir haben ein Armuts- und ein Reichtumsproblem, so brachte es gestern ein SPD-Bundestagsabgeordneter auf den Punkt, als Sozialminister Olaf Scholz die Eckpunkte für den neuen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vorgestellt hatte. Wer weniger als 781 Euro netto im Monat zur Verfügung hat, gilt in der Europäischen Union als arm, und nach dieser Definition ist jeder Achte in Deutschland arm und jeder Vierte sogar von starker Geldnot betroffen. Den SPD-Sozialminister begrüße ich jetzt in Deutschlandradio Kultur. Schönen guten Morgen, Olaf Scholz!

Olaf Scholz: Guten Morgen!

Kolkmann: Da kam ja bei einigen Kabinettskollegen nicht gut an, dass sie gestern schon vorgeprescht sind, obwohl ja der Bericht erst am 25. Juni im Kabinett verabschiedet werden soll. Warum so früh?

Scholz: Na ja, wir sind ja alle informiert, wie das funktioniert mit unserer Mediengesellschaft. Wenn der Bericht heute verschickt worden wäre an die Ressorts, würde er heute überall kommentiert, weil ihn irgendjemand weitergegeben hätte, aber zwei Monate später erst würden sich die verantwortlichen Politiker äußern. Das wäre nicht schlau.

Kolkmann: Schon jetzt geht ja der Streit los, was man gegen die immer größere Kluft zwischen Am und Reich und vor allem gegen die Armut tun kann. Denn gegen Reichtum soll ja wohl nichts unternommen werden, oder?

Scholz: Na ja, das ist ja gut, wenn Leute viel Geld verdienen und sich anstrengen. Die Frage ist, ob es insgesamt gerecht zugeht in unserer Gesellschaft. Und da ist ja eine der ganz zentralen Botschaften des Armuts- und Reichtumsberichts, unser Sozialstaat wirkt, 13 Prozent der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes sind vom Armutsrisiko bedroht. Würde es all das, was wir an sozialstaatlichen Regelungen haben, nicht geben, wären es doppelt so viele.

Kolkmann: Na, so richtig wirkt der Sozialstaat ja nicht, wenn es immer noch so viele Arme gibt, dass jeder Vierte betroffen ist?

Scholz: Ja, das ist sicherlich richtig beschrieben. Aber trotzdem gibt es diese umgestaltende Wirkung des Sozialstaates, auf die wir stolz sein können, weil das in Europa nur noch in Skandinavien, Finnland und den Niederlanden ähnlich wirksam ist wie bei uns. Aber trotzdem bleibt klar, es gibt vieles, was wir tun müssen, um die Lebenssituation vieler Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Da kann man auch genau beschreiben, was. Viele, die sehr wenig verdienen, und da muss man zum Beispiel etwas dafür tun, dass ihnen mit Mindestlöhnen geholfen wird, damit sie nicht von Einkommensarmut bedroht sind, obwohl sie den ganzen Tag arbeiten.

Kolkmann: Nun sagen ja nicht wenige, dass nun diese Mindestlohndebatte überhaupt gar nicht passend ist für die Bekämpfung des Armutsproblems, sondern dass man ganz anders ansetzen muss, nämlich bei der Bildung, und zwar sehr früh, im Kindergarten bereits, dass man die Menschen fit macht, dass sie selber ihren Lebensunterhalt verdienen können.

Scholz: Das sage ich auch, nur nicht, dass das eine Alternative ist dazu, dass wir denjenigen, die arbeiten, helfen vor schlimmster Ausbeutung. Aber es ist richtig, wer keine Berufsausbildung hat, wer schlecht ausgebildet ist, der hat es sehr schwer auf dem Arbeitsmarkt. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass von denjenigen, die älter als 35 sind, 15 Prozent der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes keinen Berufsabschluss haben, und dass sich, wenn man auf die Jüngeren schaut, das nicht wesentlich bessert, sodass wir auch in Zukunft dieses Problem haben werden. Und darum müssen wir dafür sorgen, dass nicht so viele Leute, wie das heute der Fall ist, die Schule ohne Schulabschluss verlassen, fast acht Prozent der Schülerinnen und Schüler, und dass jeder einen Berufsabschluss bekommt. Eine der Maßnahmen, die wir jetzt konkret planen, ist zum Beispiel im Rahmen der Reformen der Arbeitsmarktpolitik dafür zu sorgen, dass jeder den Hauptschulabschluss einmal nachholen kann, wenn er sich mit 26 oder 32 noch einmal aufrafft und sagt, ich will das schaffen, damit er nicht so viele Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt hat.

Kolkmann: Sie wollen da einen Rechtanspruch schaffen auf einen Hauptschulabschluss. Nur, die Leute müssen das dann auch wollen. Ist es nicht viel besser, man fängt früher an, da intensiver zu werben, als dass man den Menschen die Möglichkeit gibt, mit 26 einen Hauptschulabschluss nachzuholen, wo ja alle wissen, dass mit einem Hauptschulabschluss nicht wirklich weit kommt?

Scholz: Na, man kommt damit schon weit. Viele schaffen es ja. Aber es ist noch viel schwieriger, ganz ohne Schulabschluss. Und vor allem brauchen natürlich alle eine Berufsausbildung. Ich habe schon gesagt, das ist ein ganz entscheidendes Phänomen für die Beurteilung der Frage, ob jemand gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat oder nicht. Aber was Sie sagen, ist nicht besser, sondern auch richtig und auf alle Fälle sehr richtig sogar. Wir müssen auch etwas tun vor der Schule und während der Schule, damit da ausreichend Möglichkeiten entstehen. Und man kann auch genau beobachten, dass das in vielerlei Hinsicht gute Auswirkungen hat. Der Ausbau der Kinderbetreuung, der mit der Regierung Schröder begonnen hat, und die man richtig in den Bericht auch wiedersehen kann, hilft, Alleinerziehenden mit Kindern zum Beispiel, dass sie berufstätig sein können, sodass ihre Kinder und sie nicht mehr arm sind, was unmittelbar die Folge ist. Und wir müssen da weitermachen, indem wir dafür sorgen, dass es mehr Betreuungsplätze gibt, als das heute der Fall ist und mehr Ganztagsschulen. Beides sind Programme, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat. Und da sollten wir dann konsequent bleiben.

Kolkmann: Nun gibt es ja jetzt in der Diskussion um den Armuts-/Reichtumsbericht ein ganzes Konzert und verschiedene Rezepte, die wieder auf den Tisch gelegt werden. Das eine sind natürlich die Bildungsanstrengungen, das andere Steuererleichterungen, die nun von der CSU vor allen Dingen wieder kommen. Die CDU sagt, die Arbeitsmarktpolitik ist nun mal ganz wichtig. Es geht ja um Jobs. Und Sie sagen, man muss etwas tun, was die Mindestlöhne angeht. Ist denn nicht eigentlich viel wichtiger, dass die gesamte Politik, und zwar alle Bereiche, sich anstrengen, da etwas gegen zu tun, dass die Armut so zunimmt?

Scholz: Man muss sich zusammenschließen, man muss etwas tun. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass der Armuts- und Reichtumsbericht sehr klar macht, was wir tun müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger früh und richtig ausgebildet werden, dass jeder wenigstens irgendeine ordentliche Ausbildung hat.

Kolkmann: Ja, das haben wir ja eben schon mal besprochen. Nur, wir haben jetzt den dritten Armutsbericht, ich verkürze mal den Titel. Die Zahlen von 2005 sind jetzt die, die auf den Tisch des Hauses kommen. Und es wird mit jedem Bericht schlimmer. Das kann Sie doch nicht befriedigen als Minister?

Scholz: Dass es mit jedem Bericht schlimmer wird, kann man nicht berichten.

Kolkmann: Die Schere geht immer weiter auseinander.

Scholz: Aber man kann berichten, dass es in den letzten Jahren schwieriger geworden ist. Das habe ich ja selbst gestern vorgestellt und will ich Ihnen gerne noch mal bestätigen, dass wir dort eine schlechte Entwicklung haben. Und das, was wir zustande bringen müssen, ist die Arbeitslosigkeit reduzieren, für gute Qualifizierung sorgen, für genügend Kinderbetreuungsplätze. Und wir müssen natürlich beim Mindestlohn etwas tun.

Kolkmann: Ja, das hatten Sie eben auch schon gesagt, Herr Scholz.

Scholz: Nur, das, was wir nicht tun, müssen es erst mal zaubern, sondern wir müssen ganz konkret diese vier Punkte tun. Und eines ist ganz klar, das muss man sich schon sehr deutlich sagen. Wenn man die gute Wirkung des Sozialstaates in Deutschland aufrechterhalten und verstärken will, dann geht das nicht für umsonst. Wer zugleich vorschlägt, wir sollen die Mittel wegnehmen, die notwendig sind, um Armutsbekämpfung zu betreiben, der macht etwas, was nicht funktioniert, und der streut den Bürgern Sand in die Augen.

Kolkmann: Geht es natürlich auch um Umverteilung, dann müsste auch wieder über die Vermögenssteuer gesprochen werden und über die Frage, ob sich alle, auch die Reicheren, in diesem Lande verantwortlich fühlen, dafür, dass keine Armut entsteht. Aber wenn Sie sich einmal anschauen, dass die Schere immer weiter auseinander geht und insofern wird die Situation schon immer schlimmer, dann fragt man sich doch, was tun Sie denn wirklich Entscheidendes dagegen? Zum Beispiel, was die Chancengleichheit angeht?

Scholz: Ja, da ich mich dazu schon eben geäußert habe, wiederhole ich das gerne noch mal. Das sind die richtigen Maßnahmen, die man machen muss. Und ich wäre sehr froh, wenn man, wie Sie das ja wahrscheinlich auch so sehen, auf das deute Ihre Fragen ja hin, sich darüber einig wäre, dass es dann nicht richtig ist, wenn man bei denjenigen, die sehr viel Geld verdienen jetzt erst mal Steuererleichterung plant, denn dann fehlt uns das Geld, um die Dinge zu tun, die notwendig sind, die wir aufrechterhalten müssen und die wir verstärken müssen. Und das sind ja die konkreten Maßnahmen, die ich beschrieben habe, damit man bessere Chancen für alle schafft. Es geht nicht von selbst, aber es ist sehr genau erkennbar, was wir tun müssen. Und das sind die vier Punkte, die ich vorhin schon genannt habe. Wir brauchen Mindestlöhne, wir brauchen gute Kinderbetreuung und Schulen, wir brauchen mehr Berufsausbildungsplätze, und wir müssen etwas dafür tun, dass diejenigen, die lange arbeitslos sind, jetzt endlich eine Chance bekommen, in der besseren Konjunktur einen Arbeitsplatz zu kriegen. Wenn wir das alles schaffen, dann reduziert sich die Armut in Deutschland. Nur eins ist ganz klar. Wer denjenigen, die sehr viel haben, jetzt die Steuern senken will, der schafft es nicht.

Kolkmann: Der SPD-Sozial- und Arbeitsminister Olaf Scholz war das zum Armuts-/Reichtumsbericht der Bundesregierung. Ich bedanke mich fürs Gespräch!