Scholz (CDU): Ein durchaus bewährtes System

Rupert Scholz im Gespräch mit Marcus Pindur · 21.06.2010
Weniger als zwei Wochen vor der Bundespräsidentenwahl am 30. Juni hat sich der Staatsrechtler und ehemalige Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) gegen die Einführung plebiszitärer Elemente bei der Wahl des Staatsoberhauptes ausgesprochen.
Marcus Pindur: In neun Tagen wird gewählt in Deutschland. Nein, nicht Sie sind zur Wahl aufgerufen, sondern die Bundesversammlung mit ihren 1244 Delegierten. Die treten nämlich am 30. Juni zusammen, um den neuen Bundespräsidenten zu wählen. Das könnte durchaus spannend werden: Die Mehrheit für den CDU-/FDP-Kandidaten Christian Wulff steht keineswegs so klar, wie er sich das wünschen würde. Der SPD- und Grünen-Kandidat Gauck findet besonders bei der FDP einigen Anklang. Klar ist nur, wer nicht, zumindest nicht direkt über den Bundespräsidenten entscheidet, nämlich das Volk. Ich begrüße jetzt den Staatsrechtler und Minister a. D. Rupert Scholz. Guten Morgen, Herr Scholz!

Rupert Scholz: Schönen guten Morgen!

Pindur: Horst Köhler hat ja sogar mal den Vorschlag gemacht, den Bundespräsidenten durch das Volk zu wählen. Wäre das nicht in der Tat langsam auch einer reifen Demokratie würdig?

Scholz: Nein, ich möchte das sehr eindeutig verneinen. Es würde die Struktur unserer Demokratie grundlegend verändern, wenn man eine Direktwahl des Bundespräsidenten einführt. Aus zwei Gründen: Der eine Grund ist der, das Grundgesetz hat sehr bewusst darauf geachtet, dass alle exekutivische Macht der parlamentarischen Kontrolle, der Kontrolle also des Bundestages unterliegt. Deshalb hat man die sogenannte Kanzlerdemokratie eingefügt und den Bundespräsidenten nicht mit exekutivischen Zuständigkeiten ausgestattet. Denn ein Bundespräsident mit exekutivischen Zuständigkeiten kann nicht vom Bundestag kontrolliert werden als Staatsoberhaupt. Der zweite Grund ist der, dass ein Bundespräsident, der direkt gewählt wird, im Grunde Wahlkampf machen müsste. Er müsste mit politischen Programmen sich an die Bürger wenden können und um Zustimmung werben. Eben diese Zuständigkeiten hat der Bundespräsident aber nicht, die ihn ermächtigen würden, die ihn befähigen würden, bestimmte Wahlprogramme zu entwickeln und dann auch einzulösen. Und aus diesem Grunde ist das System, das wir haben, ein durchaus bewährtes, und ich denke bewährt auch deshalb, was die Persönlichkeiten angeht, die seit Theodor Heuss Bundespräsident waren.

Pindur: Bewährt ist das Grundgesetz in der Tat, das kann man wohl sagen. Die Frage taucht trotzdem immer wieder auf. Könnte man nicht die Bürger mehr teilhaben lassen, wäre das nicht auch ein Mittel gegen Wahlmüdigkeit, gegen Politikmüdigkeit, oder würden eben zu hohe Erwartungen geweckt?

Scholz: Ich glaube, dass zu hohe Erwartungen geweckt werden, wenn man einen solchen Schritt machen würde. Wir haben ja plebiszitäre Elemente, vor allem im Bereich der Landesverfassungen, wir haben sie auf der kommunalen Ebene und wenn man genau hinschaut, sind das eigentlich alles Verfahrensweisen und Institutionen, die vom Bürger gar nicht so sehr angenommen werden. Plebiszitäre Elemente sind auch unendlich kompliziert. Wer zum Beispiel dafür wirbt, die Gesetzgebung mit Volksbegehren, Volksentscheid auf der Bundesebene auszustatten, der liegt im Grunde schief, weil das gar nicht machbar ist, es ist nicht realisierbar. Gesetze sind heute so kompliziert, Plebiszite dagegen kennen nur Ja oder Nein. Und Ja oder Nein schließt Kompromisslösungen, Zwischenlösungen wie sie in Parlamenten erarbeitet werden, notwendigerweise erarbeitet werden, von vornherein aus.

Pindur: Was für das Gesetzgebungsverfahren gilt, muss aber nicht unbedingt für eine Personalentscheidung gelten. Und gehen wir einfach davon aus, dass der Baukasten der Demokratie ziemlich reichhaltig ist: Könnte man denn nicht bei der Präsidentenwahl zum Beispiel ein partizipatives Element und ein Element der repräsentativen Demokratie verknüpfen, indem man sagt, die Hälfte der Delegierten der Bundesversammlung werden vom Volk gewählt, die andere Hälfte wird von den Parlamenten bestimmt?

Scholz: Theoretisch könnte man das machen, das ist richtig, aber ich sage auch theoretisch. Das wäre im Grunde ein Verfahren, das etwa an die amerikanischen Primaries erinnert, da haben wir ja so etwas: Wahlmänner und Wahlfrauen werden bei der Präsidentenwahl vorab gewählt. Nur es würde sich in der Sache nichts ändern. Wer stellt denn diese Kandidaten dann auf? Das sind natürlich die Parteien. Nur die Parteien verfügen auch über die organisatorische und die personalpolitische Kompetenz, entsprechende Kandidaten aufzustellen. Folgerichtig würden solche Kandidaten, die dann vom Volk zwar gewählt würden, aber sie würden im Grunde im allgemeinen parteipolitischen Spektrum liegen. Es würde sich mit anderen Worten in der Sache nichts ändern gegenüber dem jetzigen Verfahren, das ja auch demokratisch ist: auf der einen Seite die Bundestagsabgeordneten, auf der anderen Seite die von den Landtagen bestellten Ländervertreter.

Pindur: Horst Köhler zum Beispiel hat es ja vermocht, sich aber auch, ich sag mal gegen die Parteien, die ihn aufgestellt haben, doch auch zu emanzipieren, zu einer eigenen Statur zu finden und eben auch bei den Bürgern sehr beliebt zu sein. Würde ihn das nicht gleichzeitig auch ich sage mal durchschlagskräftiger als verfassungsrechtliche Institution machen, wenn er vom Volk gewählt würde, der Bundespräsident?

Scholz: Nein ich glaube das nicht, dass man das so sehen kann. Denn die Bundespräsidenten sind alle, so wie wir sie in der Geschichte hatten, so unterschiedlich die Persönlichkeiten waren, sie waren alle überzeugend, sie haben alle großartigen Rückhalt bei der Bevölkerung entwickelt, und das nur, weil sie eigenständige Persönlichkeiten waren. Eigenständige Persönlichkeiten aber ungeachtet der Tatsache, dass sie letztlich über die Strukturen der parteienstaatlichen Demokratie in das Amt des Bundespräsidenten gekommen sind. Das gilt auch für Horst Köhler.

Pindur: Herr Scholz, vielen Dank für das Gespräch!

Scholz: Danke Ihnen!

Pindur: Der Staatsrechtler und Bundesminister a. D. Rupert Scholz im Deutschlandradio Kultur.
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