Schokoladensoße in der Dusche

Von Josef Schnelle · 16.03.2005
Die Duschszene aus "Psycho" - gehört zu den berühmtesten Filmszenen überhaupt. Eine Frau wird brutal ermordet. Schließlich sehen wir ihr Blut mit Wasser vermischt abfließen. 1960 war das ein unvergesslicher Schock in einem Film voller Tabubrüche.
Unmöglich das zu vergessen. Diese Musik von Bernard Herman mit Geigen, die wie Messer zustoßen. Und der Moment, in dem eine Hand den Plastikvorhang beiseite schiebt. Die Duschszene aus "Psycho" - gehört zu den berühmtesten Filmszenen überhaupt. Eine Frau wird brutal ermordet. Schließlich sehen wir ihr Blut mit Wasser vermischt abfließen. 1960 war das ein unvergesslicher Schock in einem Film voller Tabubrüche. Nach der Premiere des Films trauten sich viele Frauen monatelang nicht mehr unter die Dusche. Doch sie waren einem Kinomagier aufgesessen. Im absichtlich schwarz-weiß gedrehten Film ließ er Schokoladensoße statt Blut fließen. Kein einziges Mal dringt das dazwischen geschnittene Messer tatsächlich in den Körper der Frau ein. Das Geheimnis: die Illusion der Montage. Für 45 Sekunden Film mit 70 Kameraeinstellungen und 90 Schnitten brauchte man eine ganze Woche.

Und noch ein Skandal: Ungefähr in der Mitte des Films stirbt die Identifikationsfigur und damit der weibliche Star Janet Leigh. Alfred Hitchcock hatte seinem Publikum den Boden unter den Füßen weggezogen. Es musste sich nun mit Norman Bates befassen. Dem schüchternen Motelbesitzer, der doch eigentlich ganz sympathisch wirkt, aber irgendwie auch ein bisschen seltsam. Hitchcock, der noch zu Stummfilmzeiten in Deutschland das Filmhandwerk gelernt hatte, ließ es sich 1961 nicht nehmen, die deutsche Version des Filmtrailers selbst zu sprechen. So stellt er - listig blinzelnd in den Dekors stehend, Norman Bates, den düsteren Helden der Geschichte vor.

" Dieser junge Mann wurde von einer wahnsinnigen Frau beherrscht und das würde wohl ziemlich jeden dazu bringen."

Das ist der Trick, mit dem Alfred Hitchcock einlädt zur Identifikation mit dem kuriosen jungen Mann, obwohl wir längst fühlen müssten, dass er ein gnadenloser schizophrener Mörder ist, (für den die wahre Geschichte des Serienkillers Ed Gain, ebenso wie viel später für Hannibal Lector in "Das Schweigen der Lämmer" die Blaupause abgab). Alfred Hitchcock wollte sich mit diesem für 800 000 Dollar vergleichsweise billigen Film nach der Drehmethode damaliger Fernsehfilme (zum Beispiel seiner eigenen TV-Serie "Alfred Hitchcock presents") aus dem Teufelskreis explodierender Kosten befreien und zugleich seine Variante des Spannungskinos in Vollendung vorführen. Ein für damalige Verhältnisse märchenhaftes weltweites Einspielergebnis von 50 Millionen Dollar gab ihm Recht. Dabei legt "Psycho" von Anfang an falsche Fährten. Man glaubt, einen Film über einen Film über ein Liebespaar, dann über ein Gangsterpärchen zu sehen - doch dann wird ein Haus zum Star:

"Die ganze Konstruktion des Films kommt mir vor, als steige man eine Art Treppe der Anomalie hinauf: zuerst ein Beischlaf, dann ein Diebstahl, dann ein Mord, zwei Morde und schließlich Geisteskrankheit."

Schrieb Francois Truffaut über "Psycho", der ein für allemal die Maßstäbe des Spannungskinos bestimmte. Die Rechte an der Originalstory hatte sich Hitchcock anonym von Romanautor Robert Bloch für nur 9000 Dollar gesichert. Dann ließ er alle greifbaren Exemplare der Originalvorlage aufkaufen, um für sein Filmprojekt unter dem Codenamen "Production 9401" das Ende zu verheimlichen. Die Entdeckung nämlich, dass Norman Bates das Skelett der Mutter versteckt hat und im Kopf ihre Stimme hört, längst mit einem Teil seiner Persönlichkeit die Besitz ergreifende Mutter geworden ist, die alle Frauen, nein eigentlich alle, die in seine Nähe kommen, töten muss.

Die Sorge war, wie wir heute wissen, überflüssig. "Psycho" gehört zu den Filmen, die man Einstellung für Einstellung kennen kann und trotzdem von jeder filmischen Pointe immer wieder überrascht wird. Weil der Film in der suggestiven Führung der Emotionen unter virtuosem Einsatz von Musik, Bild und Timing vielleicht das perfekteste und ursprünglichste Kinoerlebnis ist. Alfred Hitchcock, diesmal deutsch-englisch frei artikulierend, erklärt in einer Fernsehdiskussionsrunde mit Wein und Gästen, wie er den zweiten Mord oben auf dem Treppenabsatz des schrecklichen Hauses filmisch instrumentiert hat.

Mit dem Film "Psycho" dringt man weiter als mit jedem anderen Film vorher und nachher in die erschreckenden Untiefen der Angst ein. Die Nackenhaare sträuben sich, auch wenn Alfred Hitchcock, mit harmlosem Augenaufschlag im Filmtrailer den Drehort des Mords in der Dusche präsentiert.