Schirrmacher-Preis

Auszeichnung für den Provokateur

Michel Houellebecq, hier beim Filmfest in Venedig.
Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq. Ein reaktionärer Provokateur? © imago/Xinhua
Von Dirk Fuhrig · 26.09.2016
Der französische Schriftsteller Michel Houllebecq erhält den Frank-Schirrmacher-Preis. Man habe einen Autor ausgewählt, "der als Anreger und Visionär eine ebenso präzise wie hintergründige Sprache" pflege, heißt es von Seiten des Stiftungsrates.
Was haben Frank Schirrmacher und Michel Houellebecq gemeinsam? – Ihre Unerschrockenheit im Aussprechen unangenehmer, unbequemer Wahrheiten.
"Das Vordringen des Islam beginnt ja gerade erst, denn die Demographie ist auf seiner Seite. Und weil Europa, indem es aufhört, Kinder zu bekommen, sich in einen Prozess des Selbstmords begeben hat. Und das ist nicht wirklich ein langsamer Selbstmord. Wenn man erst einmal bei einer Geburtenrate von 1,3 oder 1,4 angekommen ist, dann geht die Sache in Wirklichkeit sehr schnell."
Direkt vor Michel Houellebecqs Dankesrede hatte ein Schauspieler einige Texte des 2014 verstorbenen FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher vorgelesen. Darin hatte sich der Verfasser des "Methusalem-Komplotts" in ganz ähnlicher Weise wie Houellebecq über die Gefahren niedriger Geburtenraten in Europa und die drohende Übermacht muslimischer Bevölkerungsanteile geäußert.
Frank Schirrmacher wurde bei der Preisverleihung als freidenkerischer, origineller Querkopf gewürdigt. Und als ein solcher gilt ja auch Michel Houellebecq. Der sparte in seiner Berliner Rede nicht mit Selbstbewusstsein. Er sei nämlich einer von denen, die den Diskurs in Frankreich aus den Fesseln des linken Denkens herausgerissen hätten:
"Sie sind frei, denn sie sind befreit aus der Zwangsjacke der Linken. Die heiligen Kühe sind tot. Wir waren es, die sie befreit haben. Jetzt ist es an den Intellektuellen, sich ans Denken zu machen, und wenn sie ein neues Denken hervorbringen können, dass sie es dann auch tun."

Vordenker der neuen Rechten

Der Schriftsteller, der schon immer mehr als andere den Puls an den drängenden Problemen der Zeit gehabt hat, hat mit "Unterwerfung" das provokative Buch zur Islam-und Terrorismusdebatte geschrieben. Seit diesem Roman über einen islamischen Staatspräsidenten in Frankreich gilt er als einer der Vordenker der neuen Rechten. Als einer, der Ängste schürt. Alle Versuche, ihm Sympathien und Unterstützung für den Front National nachzuweisen, waren bislang allerdings erfolglos. Bestimmte politische Äußerungen Houellebecqs legen aber schon lange nahe, dass er nicht unbedingt ein Freund der gesellschaftlichen Ordnung ist, wie wir sie in Westeuropa schätzen. Jetzt in Berlin wurde er sehr deutlich – mit einem Lob auf den "Reaktionär":
"Zum ersten Mal kann man reaktionär sein, nicht weil man rechts ist, sondern weil man zu links ist. Ein Kommunist, oder jeder, der sich den Gesetzen der Marktökonomie als letztem Ziel widersetzt, ist ein Reaktionär. Jemand, der der parlamentarischen Demokratie oder dem Parteiensystem misstraut, jemand, der es gerne sähe, dass der Bevölkerung öfter das Wort erteilt wird, ist ein Reaktionär."

Abscheu gegen das "politisch Korrekte"

Mit diesen Sätzen hat sich Michel Houellebecq zumindest als Populist geoutet. Seine Abscheu gegen das "politisch Korrekte" formulierte er zwar nur wie nebenbei. Aber je länger man dieser – wie üblich bei ihm monoton hingenuschelten - Rede zuhörte, desto unbehaglicher fühlte man sich. Spricht hier der Autor von "Elementarteilchen", "Plattform" und "die Möglichkeit einer Insel", der wie kaum ein anderer die Fähigkeit besitzt, die Verlorenheit der Individuen in unseren westlichen Gesellschaften mit ironischer Schärfe auf den Punkt zu bringen? Oder verbreitet hier ein Amateur-Politiker ein irgendwie nationalistisch und - ja: reaktionär - eingefärbte Weltsicht?
So passte es ins Bild, dass Houellebecqs Laudatorin, die ja häufig durchaus zurecht Kritik am Islam formulierende Soziologin Necla Kelek, ihre Ansprache nutzte, um ihren Streit mit den aus ihrer Sicht linken "Migrationsforschern" fortzuführen. Und im Publikum, das zur Preisvergabe in die Berliner Dependance der FAZ gekommen war, konnte man in der ersten Reihe den Chefredakteur der Schweizer "Weltwoche" und rechtslastigen SVP-Politiker Roger Köppel entdecken.
Houellebecqs Erfolg als Literat, prophetischer Seismograph und Provokateur hat damit zu tun, dass er immer wieder die Selbstgefälligkeit des linksliberalen Mainstreams angekratzt hat. Mittlerweile – und das wurde in seiner Berliner Rede deutlich – positioniert er sich jedoch in einer Weise, bei der man eine Nähe zu rechten Strömungen zumindest nicht ausschließen kann.
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