Schabbat in Israel

Von Evelyn Bartolmai · 24.12.2010
Der Talmud listet 39 Tätigkeiten auf, die am Schabbat verboten sind. Trotzdem passiert einiges an diesem Tag: Es wird gegessen und gebetet, Familien, die es nicht ganz so streng sehen, machen gemeinsame Ausflüge.
Jeden Freitag so etwa ab 12 Uhr wird es im Schuk von Kfar Saba noch hektischer, als es ohnehin auf diesem recht orientalisch anmutenden Markt zugeht. Mit lautem Geschrei locken die Händler ihre Kunden, Obst und Gemüse bei ihnen und nicht beim Konkurrenten zu kaufen. Im Halbstundentakt etwa fallen die Preise, Avocado, Gurken und Orangen kosten nur noch einen Schekel, Auberginen, Kartoffeln und Kohlrabi 2 Schekel – wer bei diesen tollen Angeboten nicht zugreift, ist selber schuld, ruft einer der Händler. Der Schabbat steht vor der Tür, und bis dahin muss der Markt leer sein.

Auch die Hausfrauen müssen ja bis zum Sonnenuntergang das Essen zubereitet haben, und damit kann man nun nicht erst am späten Nachmittag anfangen. In manchen Familien wird bis heute der Brauch gepflegt, dass zum wöchentlichen Ruhetag nur in der eigenen Küche hergestellte Speisen auf den Tisch kommen. Doch die moderne israelische Hausfrau ist längst dazu übergegangen, zumindest die Schabbatbrote, auf Hebräisch "Challot", nicht mehr mühsam selber zu backen, sondern im Supermarkt oder beim Bäcker nebenan zu kaufen. Das kann sie mit gutem Gewissen tun, denn bis auf ganz wenige Ausnahmen sind in Israel die Lebensmittelläden und Supermärkte koscher und sämtliche Produkte entsprechen den Anforderungen der jüdischen Speisegesetze. Und so gehen wir noch schnell in eine Filiale der Biomarktkette Teva-Market, wo uns Bäcker Avraham Faglon erklärt, was zu beachten ist, damit die Schabbatbrote auch garantiert koscher sind:

"Zuallererst muss man das Mehl reinigen, es wird gesiebt, damit keine Würmer darin sind. Dann macht man aus dem Mehl und Wasser den Teig, sondert einen Teil davon ab, und schließlich wird gebacken. Das muss in einem parve Ofen erfolgen, und auch alle Geräte, die mit dem Teig in Berührung kommen, müssen parve sein."

Das hebräische Wort "parve" hat im Deutschen keine Entsprechung, es bedeutet jedoch "weder fleischig noch milchig", also neutral in Bezug auf diese beiden Lebensmittel. In der Praxis ist das sehr wichtig, denn ein Milchbrötchen beispielsweise könnte nie zusammen mit einer Fleischspeise gegessen werden. Wenn ein Lebensmittel, und in unserem Fall die Challah, jedoch parve ist, dann kann man sie bedenkenlos mit Butter zum Frühstück und dann zu Mittag als Beilage zu einem Fleischgericht essen. Und noch etwas anderes hat Avraham Faglon erwähnt, nämlich die Pflicht, ein kleines Stück vom Teig abzusondern. Auf Hebräisch heißt das "hafraschat challah", was das bedeutet, erklärt die Bäckerkollegin Liora Schiri:

"Man muss von einem Teig, der aus mehr als anderthalb Kilo Mehl bereitet wird, ein Stückchen abnehmen und darüber einen Segen sprechen, weil Gott uns gibt und wir ihm daher etwas zurückgeben müssen. Dieses Stück Teig ist nicht zum Essen bestimmt, sondern nach dem Segen steckt man es in eine kleine Tüte und verbrennt es oder wirft es weg."

Die Absonderung des Teigstückchens gehört zu den Pflichten der Frau und sie sollte auch deshalb sehr ernst genommen werden, weil es der Tradition nach die Geburt eines Kindes erleichtert. Und eine andere Überlieferung besagt, dass dank der genauen Beachtung aller Pflichten durch Sarah im Hause von Abraham nie das Mehl zur Neige ging uns es stets reichlich zu essen gab. Inzwischen hat Avraham Faglon wieder ein Blech frischer Challot aus dem Ofen gezogen. Sie sind mit Sesam oder Mohn bestreut, was man auch speziell zu Schabbat macht, denn die Challot sind ja nicht irgendein Brot:

"Als die Kinder Israels durch die Wüste gewandert sind, gab der Allmächtige ihnen das Manna zu essen und am Freitag gab er ihnen die doppelte Menge, damit es auch für den ganzen Schabbat reichte. Das ist auch das Besondere der Challah, die für den ganzen Schabbat ausreicht und mit ihrem Aroma auch eine ganz besondere Atmosphäre an diesem Tag schafft, die ganze Familie kommt zusammen und alle essen gemeinsam. Und wir machen ja auch den besonderen Segen über das Brot, der ja eigentlich ein Segen über das Getreide ist, das der Allmächtige aus der Erde sprießen lässt und aus dem wir dann unser Mehl gewinnen."

Da es wegen des Arbeitsverbotes am Schabbat nicht möglich ist, in einer orthodoxen Familie Tonaufnahmen zu machen, besuchen wir einen Freund, der sich zwar als religiös, jedoch nicht observant bezeichnet. Etwa ein Drittel aller jüdischen Israelis zählt sich zu dieser Gruppe, die in Deutschland den etwas abschätzigen Namen "3-Tage-Juden" erhalten hat. Sie gehen höchstens zu den drei großen jüdischen Feiertagen in die Synagoge, essen vielleicht auch koscher, halten sich darüber hinaus aber nicht allzu sehr an die zahlreichen Vorschriften und Verbote.

"Lamed tet melachot" – 39 Tätigkeiten, die am Schabbat verboten sind, werden im Talmud aufgelistet. Ganz allgemein sind das alle Tätigkeiten, die mit dem Aufbau des Stiftszeltes in der Wüste verbunden waren. Dass man nicht "sägen" oder "mit dem Hammer schlagen" darf, leuchtet sofort ein. Aber warum es auch verboten ist, sich die Schuhe am Eingang eines Hauses auf der Fußmatte abzutreten, ist wohl ganz besonders bei Schmuddelwetter im Winter nur schwer nachvollziehbar.

Doch die besagten 39 verbotenen Tätigkeiten wurden von den Weisen noch einmal in zahlreiche Untergruppen geteilt. Denn es schien ihnen nicht ausreichend, nur einfach so das "Pflügen" am Schabbat zu verbieten, sondern alles, was mit der Bearbeitung von Boden zu tun hat. Und so lernen wir nun, dass das Schuheabtreten von den Weisen als Bodenbearbeitung betrachtet wird und folglich am Schabbat verboten ist! Doch wie gesagt, unser Gastgeber, Richard Gumperz, ist liberal, Kochen ist für ihn Vergnügen und nicht Arbeit, und so dürfen wir nicht nur in die Töpfe und Pfannen auf dem Herd schauen, sondern auch das Mikrofon einschalten:

"Ich koche heute ein Gericht, für das ich gerade die in Semmelmehl gerollten Fleischbällchen brate. Vorher habe ich noch das Gemüse geputzt und klein geschnitten, das köchelt inzwischen als Suppe vor sich hin. Und wenn die Fleischbällchen fertig sind, gebe ich sie zu der Gemüsesuppe und lasse alles noch einmal aufkochen. Das wird der erste Gang sein, nach der Suppe gibt es Brathähnchen und zum Abschluss Kuchen und Kaffee. In den Kaffee können wir natürlich keine Milch gießen, weil wir vorher Fleisch gegessen haben und die Kaschrutregeln besagen, dass wir Fleisch und Milch nicht zusammen verzehren dürfen. Und wer unbedingt Milch zum Kaffee haben will, der muss nach einem Fleisch-Essen mindestens 4 Stunden warten."

Etwa 20 Minuten vor Schabbatbeginn werden die Kerzen gezündet, und dann setzt man sich irgendwann zum Essen. Wenn jemand aus der Familie in die Synagoge geht, wartet man natürlich auf seine Rückkehr, denn am Kiddusch vor dem Essen sollten schon alle teilnehmen, die im Haus wohnen oder zu Gast sind. Mit einem Glas Wein in der Hand spricht man ein kleines Gebet und erinnert daran, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen, am siebten Tag geruht und diesen Tag geheiligt hat. Danach spricht man den Segen über den Wein und dankt dafür, dass Gott uns aus Ägypten herausgeführt und den Schabbat geschenkt hat. Dann übergießt man sich mit einem speziellen Gefäß die Hände, spricht ein kleines Gebet für dieses rituelle Händewaschen und kehrt für den Segen über das Brot an den Tisch zurück und setzt sich nach einem fröhlichen "Schabbat Schalom" schließlich zum Essen.

Wer am Schabbat-Tag selbst am Morgen so gegen 8 Uhr aufsteht, kann zahlreiche Männer aus der Nachbarschaft auf dem Weg in die Synagoge zur Lesung des wöchentlichen Torah-Abschnittes sehen. Da am Schabbat nur 2000 Schritte erlaubt sind, muss jeder orthodoxe Jude seine Wohnung so wählen, dass er problemlos das Gotteshaus erreichen kann.

Und wer jetzt spitzfindig hinterfragt, ob diese Männer denn auch wirklich gesetzestreu sind, weil sie trotz des Verbotes, etwas zu tragen, doch alle ein kleines Täschchen mit dem Gebetsschal unter dem Arm haben, dem sei erklärt, dass in Israel jeder von Juden bewohnte Ort mit einem sogenannten "Eiruw" umgeben ist. Ein Eiruw kann ein Draht, aber auch ein einfacher Bindfaden sein, der an Bäumen oder Laternenpfählen befestigt und um den ganzen Ort herum gespannt wird. In diesem Bereich ist es erlaubt, bestimmte Gegenstände oder Speisen hin und her zu tragen. Genau das macht gegen 10 Uhr die Nachbarsfamilie Aharon und unternimmt nicht einmal den Versuch, sich auf den Eiruw herauszureden, sondern belädt ganz unbekümmert das Auto mit Kind und Kegel und großen Taschen und macht auch gar kein Geheimnis aus ihrem Schabbat-Vergnügen:

"Wir fahren in den Park Raanana, dort wollen wir frühstücken, und danach gehen die Kinder dort auf den großen Spielplatz. Wenn schönes Wetter ist am Schabbat und die Sonne scheint, dann nutzen wir die Zeit und machen Ausflüge. Wir meinen, dass der Schabbat dafür da ist, etwas gemeinsam mit der Familie zu unternehmen, und so fahren wir oft irgendwohin und genießen die gemeinsame Zeit, das ist für uns der Sinn des Schabbats."

Jüdische Tradition ist für Noga Aharon eine Angelegenheit, die sich auf die Feiertage beschränkt. Die Feste werden natürlich in der Familie begangen und die Kinder lernen auch die Bedeutung kennen. Am einzigen freien Tag in der Woche jedoch mag sie ihren Kindern den Spaß nicht durch zusätzliche Verbote verderben:

"Unsere Kinder wissen, dass der Schabbat ein Tag der Ruhe ist, an dem man nicht arbeitet. Ein Ausflug ist keine Arbeit, aber sie gehen nicht in den Kindergarten und wir auch nicht zur Arbeit, das genau ist der Unterschied zur Woche."

In erster Linie eine Familienangelegenheit ist der Schabbat auch für Esther Bowalski, Hebräisch-Dozentin an der Ben Gurion-Universität Beersheva. Sie erzählt, dass dies schon in ihrer Kindheit so war:

"Meine Eltern kamen aus dem Jemen, mit einer sehr großen Familie, und der Schabbat gehörte der Familie. An diesem Tag haben alle zusammen gegessen, was unter der Woche nicht möglich war, weil jeder tagsüber woanders war. Höchstens die Kinder, wenn sie mittags aus der Schule kamen, aßen zusammen, aber alle anderen konnten das nicht. Und der Schabbat bei uns in der Familie war so, wir saßen zusammen, zuerst haben wir den religiösen Teil absolviert, also den Kiddusch, danach kam der 'gastronomische' Teil, der in meiner Kindheit allerdings nicht so besonders war. Israel war in dieser Zeit ziemlich arm, es gab nicht viel zu essen, aber die Freude bestand vor allem darin, dass wir alle zusammen am Tisch saßen. Wir haben zusammen gesungen und uns unterhalten und jeder hat erzählt, was er in der vergangenen Woche gemacht hat."

Trotz der Armut erinnert sich Esther Bowalski gern an diese Zeit zurück. Was am Essen fehlte, sagt sie, gab es dafür umso üppiger beim Gesang:

"Das waren ganz besondere Lieder, die man nur zum Schabbat singt. Ein Teil davon kam aus dem Jemen, ich konnte sie nicht mitsingen, weil ich die Sprache nicht konnte, aber wir Kinder kannten die Melodien, und die Männer haben diese Lieder gesungen. Und was auf Hebräisch war, haben wir alle gemeinsam gesungen, meine Eltern und andere Leute aus dem Jemen mit einem starken Akzent natürlich, aber das war nicht wichtig, wir haben sehr feierlich und mit Inbrunst gesungen. Das waren Lieder zum Beispiel von Shabazi, das war der Dichter des 16./17. Jahrhunderts, und diese Lieder haben über die Bedeutung des Schabbats gesprochen. Es gibt spezielle Lieder zu jeder Mahlzeit, zum Schabbatbeginn, zu Mittag andere Lieder und wieder andere schließlich zum Ende des Schabbats."

Bis heute hat sich für Esther Bowalski wenig an der Art der Schabbatfeier geändert. Auch ihre drei inzwischen erwachsenen Kinder kommen jeden Freitagabend zu Mama und Papa nach Beersheva, der verheiratete Sohn bringt schon seine eigene Familie mit, es wird gemeinsam gegessen, gesungen und geplaudert – und es passiert auch, dass die Kinder irgendwann vom Tisch aufstehen und sich verabschieden:

"Nach dem Essen und den langen Gesprächen hat dann schon jeder vielleicht auch noch andere Pläne. Unser Studenten-Sohn zum Beispiel trifft sich mit seinen Freunden und sie unternehmen etwas, also er hält den Schabbat nicht ganz so streng. Und unsere Tochter, die auch den Schabbat nicht hält, geht vielleicht nicht gerade mehr in die Diskothek, aber in einen Club oder eine Bar oder trifft sich mit ihren Freunden oder schaut auch fern, also jeder macht dann schon etwas anderes."

Und obwohl Esther Bowalski und ihr Mann selbst traditionell leben, haben sie dennoch Verständnis für den anderen Lebensstil ihrer Kinder:

"Natürlich! Unsere Kinder sind in einem sehr pluralistischen Haus aufgewachsen. Das heißt, sie haben von uns zwar eine gewisse Richtung mitbekommen, die ich als 'modern-orthodox' bezeichnen würde, aber am Ende hat jeder für sich eine Entscheidung getroffen. Anders als viele religiöse Mädchen ist meine Tochter auch zur Armee gegangen, die Söhne auch, aber dann haben sie ihre eigenen Entscheidungen für ihr Leben getroffen, auch in religiöser Hinsicht. Und ich respektiere die Freiheit meiner Kinder, sich so oder so zu entscheiden, und sie sollen damit glücklich sein."

Ob in der Synagoge, mit dem Torahstudium, mit einem Ausflug oder einfach nur mit Faulenzen – trotz unzähliger Möglichkeiten, den Tag zu verbringen, geht auch der längste Schabbat irgendwann zu Ende. Und dazu sind wir bei Familie Schapiro eingeladen. Wenn drei Sterne am Himmel zu erkennen sind, können wir auch wieder mit dem Auto vorfahren, ohne die orthodoxe Familie in ihrer Schabbatruhe zu stören. Nurit und Jonathan Schapiro erwarten uns mit ihren fünf Kindern zur "Hawdala", das ist die kleine Zeremonie, mit der der Schabbat wieder verabschiedet wird.

Der älteste Sohn hält schon die geflochtene Kerze in der Hand, die später in einem Becher Wein gelöscht wird, nachdem Vater Jonathan darüber das kleine Gebet und die Segen über den Wein und die wohlriechenden Kräuter gesprochen hat. In kleinen Säckchen verteilt Mutter Nurit wohlriechende Gewürzkräuter, die den angenehmen Schabbat symbolisieren. Indem man an ihnen riecht, nimmt man noch einmal den Geist des Friedens in sich auf, um gestärkt in die neue Woche gehen zu können. Die Kerze wird im Wein gelöscht und ein letzter Dankessegen dafür gesprochen, dass es für uns den Tag der Ruhe, aber auch den Alltag gibt. Schließlich wünscht man sich gegenseitig "Schawua tov", eine gute Woche, und wohl nicht nur bei Familie Schapiro wird noch ein Lied zum Abschluss des Schabbats gesungen. Es ist dem Propheten Elijahu gewidmet, der zusammen mit Maschiach, dem Messias aus dem Hause Davids, recht bald kommen möge.