Sanktionen

"Äpfel und Kartoffeln haben wir immer"

Eine Frau steht in einem Moskauer Supermarkt vor einer Kühltheke mit Milchprodukten.
Noch sind die Kühltheken und Regale der Moskauer Supermärkte gut gefüllt. © picture alliance / dpa / Yuri Kochetkov
Von Constanze Lehmann · 19.08.2014
Die EU-Sanktionen sollen Russland im Ukraine-Konflikt klar machen: Bis hierher und nicht weiter. Doch lässt sich das große Russland zu Verhaltensänderungen zwingen? Die Debatte im Netz.
In seinem Russland-Blog erinnert Jens Siegert, Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, an den Beginn der Krise im Sommer 2013. Schon damals ging es auch um Sanktionen: allerdings von Russland gegen die Ukraine.
"Erst Mitte 2013 wurde den Entscheidern im Kreml offenbar klar, dass die EU sich in Bezug auf die Ukraine entschieden hatte, endlich ernst zu machen, und die Führung um Präsident Wiktor Janukowitsch vor die Entscheidung stellte, das EU-Assoziierungsabkommen nun zu unterschreiben oder eben nicht. ... Daraufhin begann Russland erheblichen Druck auf die Ukraine auszuüben: Importstopps, verlangsamte Grenz- und Zollkontrollen, Rücknahme von Bestellungen bei ukrainischen Industrieunternehmen und so weiter. Die Daumenschrauben und das 15-Milliarden-Kredit-Angebot stimmten Janukowitsch um. ...er weigerte sich das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen. Die EU war düpiert, der Kreml triumphierte."
Ein Jahr später, die Krise in der Ukraine ist eskaliert, Menschen sterben, die Krim ist in russischer Hand. Jetzt sollen EU-Sanktionen Russland klar machen: bis hierher und nicht weiter. Doch lässt sich das große Russland zu Verhaltensänderungen zwingen?
Der US-amerikanische Wissenschaftler Gary Clyde Hufbauer hat 200 Sanktionsfälle in den Jahren zwischen 1914 und 2000 untersucht. Sein Fazit: In einem Drittel der Fälle gab das sanktionierte Land nach, meist allerdings erst nach mehreren Jahren. Entsprechend skeptisch äußert er sich in der "Zeit" zu den Wirtschaftssanktionen gegen Russland:
"Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die beschlossenen Sanktionen Putins Kurs ändern werden. Die Sanktionen sind nicht ausreichend. Und: Russland ist ein sehr großes und mächtiges Land. Wir wissen aus unserer Forschung, dass Sanktionen dann oft nicht funktionieren.""
"Hart und schnell zuschlagen"
Vor allem, meint Hufbauer, müsse man "hart und schnell zuschlagen" und das sei nicht geschehen:
"Zur Zeit des Völkerbundes gab es eine Invasion Italiens in Äthiopien. Der Völkerbund hat leichte Sanktionen verhängt, die anderthalb Jahre später zusammenbrachen, und mit ihnen scheiterte auch der Völkerbund. Deutschland hat Mussolini damals keinen wirklich scharfen Sanktionen ausgesetzt. Die widerspenstigste Partei aber war Frankreich. Die wollte zwar bestrafen, aber nicht hart. Klingt vertraut, oder?"
Caroline Fehl ist skeptisch, dass eine Verhaltensänderung erreicht werden kann, indem "die Kosten" der russischen Politik in die Höhe getrieben werden. Im "sicherheitspolitik-blog" der Goethe-Universität Frankfurt schreibt sie:
"Vergleichsweise effektiv waren Sanktionen bisher – das bestätigen auch neuere Studien zur Sanktionspraxis der EU – vor allem gegen einseitig vom Westen abhängige Entwicklungsländer und in der Einhegung ... von ABC-Waffenprogrammen, wie im Irak ... oder neuerdings im Iran.... Selbst wenn es möglich wäre, die Großmacht Russland in ähnlicher Weise wirtschaftlich zu treffen wie Iran, Syrien oder Kuba, so zeigen doch gerade diese Beispiele, dass trotz schmerzhafter Effekte von Wirtschaftssanktionen eine Verhaltensänderung entweder gar nicht oder erst nach langen Jahren erfolgt. Als Instrument des kurzfristigen Krisenmanagements sind Sanktionen jedenfalls vollkommen untauglich."
Der Publizist Kai Ehlers, gerade in Russland unterwegs schreibt auf den Nachdenkseiten:
"Es beginnt, kann man sagen, wieder einmal der aus der Geschichte bekannte, vergebliche Kampf des Westens gegen ein Russland, das immer dann stark wird, wenn es sich auf seine Autarkie besinnen muss - auf seine eigenen Ressourcen an Öl, Gas und anderen Rohstoffen."
"Alle Versuche gescheitert"
Eine weitere Stärke macht er im sozialen Kapital des Landes aus:
"Soziales Kapital – das ist in Russland die soziale Grundstruktur einer Gesellschaft, die sich immer noch in der lebendigen ergänzenden Familienwirtschaft ausdrückt, in der Datscha der Städter, im Hofgarten auf dem Lande. An den Grundelementen dieser russischen Selbstgenügsamkeit, dem Naturreichtum des Landes und der ... Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstversorgung seiner Bewohner und Bewohnerinnen, sind bisher alle Versuche Russland in die Knie zu zwingen gescheitert."
"Äpfel und Kartoffeln haben wir immer" – zitiert Kai Ehlers einen russischen Rentner. Wenn das Volk in Selbstgenügsamkeit ausharrt, wie wahrscheinlich ist es, dass sich einer der Oligarchen, die in der derzeitigen Krise Geld verlieren, gegen Putin stellt?
Jens Siegert macht uns wenig Hoffnung:
"Dann würde es ihm ganz schnell schlecht gehen. Alle erinnern sich an Michail Chodorkowskij. Da hat sich nichts geändert. Ich sehe nicht, dass da bald jemand aufmucken könnte."
Aber, so Siegert in seinem Russland-Blog:
"In den vergangenen Wochen haben jedoch immer mehr Leute vor den Folgen der Sanktionen gewarnt. Der Bekannteste ist der ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin, den Putin noch unlängst als seinen Freund bezeichnet hat. Ohne Putin selbst zu nennen, hat er in einem langen Interview aufgezeigt, was mit der russischen Wirtschaft passiert, wenn dieser Kurs fortgesetzt wird. Das war schon eine deutliche Warnung."
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