Salzburger Festspiele zeigen "Dreigroschenoper"

Große Puppen und kopflose Menschen

Szene aus der "Salzburger Dreigroschenoper" mit Sonja Beißwenger (Polly Peachum), Michael Rotschopf (Macheath), Miriam Fussenegger (Lucy).
Szene aus der "Salzburger Dreigroschenoper" mit Sonja Beißwenger (Polly Peachum), Michael Rotschopf (Macheath), Miriam Fussenegger (Lucy). © Foto: Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Von Bernhard Doppler · 12.08.2015
Die "Dreigroschenoper" ist in Salzburg ganz neu instrumentiert zu hören, weshalb diese "einmalige Experimentalfassung" nicht so heißen darf. Sie klingt süffig-kräftig und wie Tom-Waits-trifft-Lloyd-Webber, doch Eindruck machen auchBühne und Kostüme.
"Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!" Bertolt Brechts nach wie vor erfolgreichstes Werk aus den Berliner 20er-Jahren, "Die Dreigroschenoper" nach John Gays "Bettleroper" scheint für die Salzburger Festspiele und ihr Haute-volée-Publikum wie geschaffen – eine Fortsetzung des alljährlich auf dem Domplatz gegebenen "Jedermann", des "Spiels vom Sterben des reichen Mannes"! Und in der Tat war Brecht ja 1950 von den Salzburger Festspielen der Auftrag erteilt worden, einen neuen "Jedermann" zu verfassen. Der Plan zerschlug sich, als bekannt wurde, dass Brecht die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten hatte und eine antikommunistische Kampagne gegen ihn einsetzte.
Die Verbindung von Brecht zu Hofmannsthals "Jedermann" stellt Festspielleiter Sven-Eric Bechtolf aber vor allem dadurch her, dass er zusammen mit Julian Crouch und dem Musiker Martin Lowe die "Dreigroschenoper" inszenierte und neu instrumentieren ließ. Crouch und Lowe hatten auch 2013 eine neue spektakuläre "Jedermann"-Fassung erstellt.
Allerdings wegen der neuen Orchestrierung musste die "Dreigroschenoper" umbenannt werden und heißt nun "Mackie Messer. Eine Salzburger Dreigroschenoper". Untertitel: "Einmalige Experimentalfassung", sie darf nämlich nur in Salzburg gezeigt werden, auch eine weitere Auflage scheint die Kurt-Weill-Gesellschaft zur Bedingung gemacht zu haben. Die Salzburger Festspiele müssen zusätzlich – zum Vergleich wohl – eine konzertante Aufführung nach der kritischen Ausgabe anbieten; sie findet mit dem Ensemble Modern und HKG Gruber mit Max Raabe als Mackie Messer ebenfalls in der Felsenreitschule statt. Die Weill-Gesellschaft wacht jedenfalls sehr streng über Weills Erbe, auch wenn es zumindest vom Mackie-Messer-Song ("Und der Haifisch, der hat Zähne") Hunderte von Cover-Versionen gibt: von Louis Armstrong bis Catarina Valente, von Frank Sinatra bis Harald Juhnke.
Immer wieder überraschender Sound
Die Bezeichnung "experimentell" trifft Lowes Orchestrierung eigentlich nicht, experimentell war ja viel eher in den 20er-Jahren Weills Versuch einer Erneuerung des musikalischen Unterhaltungstheaters. Lowe ist ein Spezialist für Musicals und Film (z. B. "Mamma Mia"), doch die Überführung von Weills Komposition in den Musicalsound des 21. Jahrhundert muss man durchaus nicht nur kulturpessimistisch sehen, und Weills Musik muss auch nicht immer auf ein Caféhaus-Orchester reduziert werden. In der riesigen Felsenreitschule schafft Lowe für jede Nummer einen neuen, immer wieder überraschenden Sound zwischen Tom Waits einerseits und Lloyd Webber andererseits, oft so süffig und kräftig, dass die Schauspieler bisweilen Mühe haben, dagegen anzusingen: "Es geht auch anders, aber so geht es auch!"
Eindruck macht aber vor allem wie bei "Jedermann" die Ausstattung von Julian Crouch, die Aufzüge von Bettlern, kopflosen Menschen, überlebensgroßen Puppen. Attrappen von Möbeln und Häusern werden hin- und hergeschoben, so dass die Szenerie oft wie aus einem aufklappbaren Bilderbuch erscheint, denn Bechtolf und Crouch zeigen in ihrem "Dreigroschenoper-Musical" ein historisches England – von Bettlern und Polizisten wie bei "Oliver Twist", aber auch die barocken Figuren der "Bettleroper" von John Gay. Jeder aktualisierenden Anspielung auf das 20. und 21. Jahrhundert wird geradezu pedantisch aus dem Weg gegangen. So erscheinen die Figuren schablonenhaft wie aus dem Kaspertheater.
Temperamentvoll, aber ohne Aura
Was bei Hofmannsthals gereimten "Mysterienspiel" funktioniert, wirkt sich für Brechts zynische Dialoge freilich sehr unvorteilhaft aus: Sie ziehen sich zwischen den einzelnen Musiknummern in die Länge, vorgetragen wie Sprechtexte in einer Oper oder zähe Pointen in einer Operette. Wären nicht Brechts einzigartige "Lyrics", man würde ihn für einen recht langweiligen Librettisten halten!
Michael Rotschopf als Mackie Messer (hier mehr Graf von Luxemburg als ein gefährlicher Verbrecher), Graham F. Valentine als Jonathan Peachum und Sonja Beisswanger als Polly (in Salzburg ein schrilles Dummerchen) sind temperamentvoll agierende, eindrucksvoll singende Bilderbuchfiguren. Eine Aura, wie man sie von den Dreigroschenoper-Darstellern seit Lotte Lenja, Ernst Busch... immer wieder wünscht, bieten sie allerdings nicht. Am meisten noch Sona McDonald als Spelunken-Jenny. Sie wird als einzige auch in der Originalfassung der Dreigroschenoper am 15.8. zu hören sein.
Dem Publikum gefiel es und für Brechts Bonmot "Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank" gab es sogar Szenenapplaus.
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