Salzburger Festspiele

Hochleistungskraftwerk der Gefühle

Placido Domingo (Mitte) und die russische Sopranistin Anna Netrebko (links) in dem Stück "Il trovatore" auf den Salzburger Festspielen.
Placido Domingo (Mitte) und die russische Sopranistin Anna Netrebko (links) in dem Stück "Il trovatore" auf den Salzburger Festspielen. © dpa / picture alliance / Franz Neumayr
Von Frieder Reininghaus · 09.08.2014
Verdis "Troubadour" handelt von einer Zigeunerin, deren Mutter als Hexe verbrannt wird. Ein aufwühlendes Stück - dessen Inszenierung in Salzburg unseren Kritiker trotz Stars wie Anna Netrebko und Placido Domingo nicht überzeugte.
Seit Monaten, ließen die Betreiber verlauten, sei die Premiere ausverkauft und das halbe Dutzend Vorstellungen mehrfach überbucht gewesen. Die Schönen und Reichen mit mehr oder weniger Interesse für Oper versprachen sich etwas besonders Schönes - und haben es bekommen. Der Herr Direktor, der sich seine Salzburger Amtszeit durch vorzeitigen Abgang nach Mailand verkürzte, ließ - auch unterm Aspekt der Verwertbarkeit am neuen Arbeitsplatz - mit Giuseppe Verdis "Troubadour" ein Werk ins Festspielmenü aufnehmen, das als Hochleistungskraftwerk der Gefühle gilt. Es hält in Zeiten der barbarischen Verfolgung unliebsamer Minderheiten und des blutigen Bruderzwists die Denkform und Praxis der (fast) reinen Liebe hoch, die nicht anders als im Liebestod kulminieren kann. Das Libretto zeigt, wenn man es zu lesen verstünde, ziemlich aktuelle und dabei überaus ungemütliche Komponenten, obwohl es fast 1000 Jahre zurückführt – auf die damals von permanentem Krieg geprägte iberische Halbinsel.
Alexander Pereira vertraute das ins christliche Hochmittelalter ausschweifende Musikdrama von 1853, das auf einem Plot von Antonio García Gutiérrez aus den Vormärzjahren basiert, dem lettischen Regisseur Alvis Hermanis an. Der hat bereits in den vergangenen Jahren bildmächtig zum Salzburger Opern-Entertainment beigetragen – 2012 mit einer adretten Möblierung von Bernd Alois Zimmermanns brutalen "Soldaten" im Breitandformat und 2013 mit einer Fantasy-Orgie anlässlich Harrison Birtwistles Kelten-Mythen-Adaption "Gawain". Von den rauen Sitten der Kelten sind die der Aragonier und Kastilier in den Zeiten der Reconquista nicht weit entfernt – allerdings die heutigen Sichtweisen und Wahrnehmungen der mitteleuropäischen Konzert- und TheatergängerInnen.
Von schrecklichsten Qualen und Blutrache
Beim "Troubadour" geht es um die tragische Geschichte einer Zigeunerin, deren Mutter als Hexe verbrannt wird. Azucena gelobt der unter schrecklichsten Qualen sterbenden Mutter Blutrache. Sie glaubt, den von ihr geraubten kleinen Sohn des verhassten mörderischen Grafen Luna auf jenen Scheiterhaufen zu werfen, auf dem ihre Mutter soeben hingerichtet wurde. In blinder Wut erwischte sie jedoch versehentlich das eigene Kind. Den adligen Säugling zieht sie als eigenen Stammhalter auf. Der wird ein umherziehender Troubadour und (geliebter) Konkurrent seines (verschmähten) leiblichen Bruders in der Rivalität um die schöne und fromme Grafentochter Leonora. Die vordringlichste Frage für Theaterbesucher bei dieser Oper ist – neben der Qualitäts- und Prestigeklasse des singenden Personals –, welche Bildsphären der in ihr nachzuckenden Ritterromantik zugeordnet werden und in welches gesellschaftliche Milieu die von Salvatore Cammarano und Leone Emanuele Bardare verdichtete Dramen-Handlung gezogen (oder gezerrt) wird. Seit Jahrzehnten weichen die markanten Inszenierungen – von Dietrich Hilsdorf wie von Hans Neuenfels, Calixto Bieito oder Robert Carsen – den mittelalterlichen Kontexten aus oder suchen sie nach besten Kräften zu neutralisieren.
So auch Alvis Hermanis. Er ließ, was alles andere als originell ist, die Story in ein Museum transportieren, das dem KHM in Wien nachempfunden scheint. In den in Ehren ergrauten Hallen wird ein Kompilat verschiedener Sammlungen gezeigt – Ölgemälde von Dürer und Cranach, Jan van Eyck, Rubens und Zeitgenossen, die nicht nur an der Wiener Ringstraße beheimatet sind, sondern auch in München und London, in den Uffizien, im Louvre oder im Weimarer Schloss: Diverse Marien- und Dogenbilder, Patrizier und Lautenspieler, Schwur der Horazier und Leda mit dem Schwan, Adam und Eva et cetera. In diese Bilderwelt tritt, nach dem dreifachen leisen Pauken-Signal und dem Einsatz des vollen Orchesters, Riccardo Zanellato als Museumsführer Ferrando. Er stimmt, gefolgt vom Opernchor als Besuchergruppe, sein "All' erta, all' erta!" an – und die Meute fällt im fröhlichen Fortissimo ein (was gegenüber den individuellen Museumsbesuchern zumindest grob ungehörig ist). Auch Anna Netrebko kommt mit ihrer Freundin Ines als Mitglied des Museums-Teams (sieht aber in der Aufseherinnenuniform nicht besonders vorteilhaft aus). Hermanis verschränkte heutige Sänger mit den Protagonisten einer traurigen Liebes- und Rivalitätsgeschichte aus uralten Zeiten, ohne dass das Transitorische des Zeiten- und Kostümwechsels zu plausiblen Theaterereignissen würde.
Nachlässige Personenführung
Überhaupt wirkt die Personenführung zumindest nachlässig: Die Sänger durften irgendwie Gesten der von den Bildern dargestellten Personen imitieren, ohne dass deren meist bestens getroffenen Haltungen angemessen nachgearbeitet worden wären: Im Unterschied zu den Sängern wurden die Bilder hinter ihnen inszeniert. Die Kostüme von Eva Dessecker hingegen wurden streng nach den verschiedenen Renaissance-Moden gearbeitet und unterstreichen die Aura des Musealen beziehungsweise der Museums-Inszenierung zielführend.
Lustig ist das Zigeunerleben unter den alten Prachtsgemälden, die - beziehungsweise deren Wände - mitunter ohne Sinn und Verstand herumrangiert werden. Deren wohl vornehmlich auf die TV-Aufzeichnung hin zugeschnittene Imposanz und Wucht verhält sich freilich zur verhandelten Story anachronistisch: Der Plot ist in der Zeit der Trouvère angesiedelt, im 12. und 13. Jahrhundert also – die Bilder aber stammen überwiegend aus dem späten 15. und 16. Jahrhundert. Die rot getönte Ästhetik der Bilder setzt der grausamen Handlung und insbesondere dem Arme-Leute-Dasein der Zigeuner die krasse Beschönigung entgegen – erst im letzten Akt werden die prächtigen Museumsstücke weggeräumt (aber es schieben sich dann doch wieder allerschönste Madonnen-Darstellungen ins Bild). Ein Teil der Rahmen wird zerkleinert und zum Scheiterhaufen für Azucena geschichtet (es gibt preiswertere Heizmaterialien).
Strahlender Tenorheld mit imposanter Durchschlagskraft
Aber Geld ist genug da heuer in Salzburg, auf beiden Seiten des Grabens, in dem die Wiener Philharmoniker eine kräftig grundierte, flächige, pauschal gehaltene Lesart des Orchestersatzes anbieten – von der Differenzierung, die diese Kapelle unter Franz Welser-Moest vor wenigen Tagen beim "Rosenkavalier" herausprozessierte, ist unter Daniele Gattis Stabführung wenig zu bemerken (und diverse Wackler müssten eigentlich zu vermeiden sein). Auch das sündhaft teure Sängerteam macht nicht wunschlos glücklich. Am ehesten die kanadische Altistin Marie-Nicole Lemieux. Diese wuchtige Azucena bestimmt dank ihrer durchschlagkräftigen Stimme über weite Strecken das musikalische Geschehen mit großer Klarheit sowie völliger Spursicherheit und entwickelt in der Tiefe mütterliche Wärme.
Francesco Meli erscheint zwar als strahlender Tenorheld mit imposanter Durchschlagskraft. Die Stimme dieses Manrico basiert freilich auf Kraftentfaltung, nicht auf der Leichtigkeit des ungewissen Seins oder gar erotischem Flair (was aber bei einem Troubadour nicht ganz aus der Welt wäre). Bruder Luna wird vom ehemaligen Tenor Placido Domingo bestritten: Der inzwischen 73-jährige Star stemmt den Bösewicht mit erstaunlichem Durchhaltevermögen (Respekt!). Die animierende Stimme von Anna Netrebko ist, gemessen an früheren Salzburg-Auftritten, technisch gereift; aber noch immer werden einzelne Töne leicht von unten angesteuert, um sich dann erst einzupegeln (das ist so charmant wie ein Dialekt, den manche mögen, andere nicht). Netrebko sorgte, neben dem Orchester, für einen österreichischen Anteil an der herzhaft beklatschten Produktion, die einem restaurativen Museumsgeist huldigte. Aber gerade bei ihm ist Verdis Werk nicht gut aufgehoben.
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