Särge als Marktlücke

Wenn der Tod zur Ware wird

Innenausstattung eines Sargs mit dem Schild "20 Prozent Messerabatt" auf der BEFA, der weltgrößten Bestatterfachmesse mit Produkten rund um Bestattung, Friedhof und Grabpflege
Immer mehr Unternehmen drängen in die neue Marktlücke, die vom Sarg-Set für Heimwerker bis zur extravaganten Urne aus Birkenrinde so ziemlich alles anbieten.. © imago/sepp spiegl
Von Anette Schneider · 23.08.2016
Es muss nicht immer Eiche rustikal sein: Auch Särge sind inzwischen Vermarktungsware und damit in allen möglichen Formen zu haben. Urnen für Fußballfans mit Vereinsemblem oder ein Sarg in Form eines Handys - unsere Individualität wirkt mittlerweile über das Leben hinaus.
Zitator: "Der Kubus-Schrein ... besteht aus Bambus, einer der ältesten Nutzpflanzen der Welt. ... Der Farbton ist naturbelassen, das Material wird lediglich geschliffen und lackiert. So ergibt sich ein milder und eleganter Glanz."
Wirbt ein Sarghersteller im Internet. Ob "Kubus-Schrein" oder Sarg-Modell "Weidenkorb", geflochten aus Weidenrouten und bauchig wie eine Muschel, ob begrünt mit frischem Gras oder in Form eines Handys – der vielzitierte Sarg "Eiche, rustikal" war gestern. Heute reicht die Spannbreite vom Sargdiscounter für Arme bis zum edlen Designersarg für Gutbetuchte.
Diese Vielfalt ist neu, doch nach kurzem Überlegen eigentlich längst überfällig. Denn, so Christian Hillermann vom alternativen Bestattungsanbieter "Trostwerk":
"Ich meine, wir leben im Kapitalismus. Es gibt von jedem Produkt, auch von Särgen, tausende!"
Handgetöpferte oder geschnitzte Urnen als künstlerisches Unikat. Kastenförmige Fan-Urnen mit dem Emblem des Lieblingsfußballvereins. Industriell gefertigte Urnen in Herz- oder Engelform, Särge mit aufgedruckten Einheits-Motiven wie "Motorräder", "Blumenornament" oder "Rose des Abschieds" wirken, als solle sich die Individualisierung im Leben fortsetzen im Tod...
"Da setzt sich, glaube ich, vor allem die Vermarktwirtschaftlichung mit dem Tod im Moment durch. Es ist ein bisschen so, dass der Markt reagiert auf eine vermeintliche Individualität und flutet den Markt mit neuen Produkten."

Neue Formen des Abschiednehmens

Wie so oft vereinnahmen Unternehmen dafür eine fortschrittliche gesellschaftliche Idee, die sie nun profitbringend banalisieren.
In den 90er-Jahren begannen nämlich Hospiz-Bewegung und Hinterbliebene junger Aids-Toter erstmals Unbehagen an den bestehenden Bestattungsriten zu äußern. Dabei ging es ihnen allerdings weniger um neue Formen und Farben für Särge als um neue Formen des Abschiednehmens.
"Und was wir jetzt erleben in der Folge ist eine Schere, die aufklappt: nämlich in der Abkehr von der als ein bisschen verstaubt und auch verstockt und verklemmt gelebten Abschieds- und Bestattungskultur der 50er-, 60er- und 70er- und 80er-Jahre, hin zu zwei Entwicklungen."
Die eine, so Christian Hillermann, verzichte völlig auf Trauerfeiern. Die andere wolle die Formen des Abschieds selbst bestimmen.
Hillermann gründete deshalb vor 13 Jahren in Hamburg das erste Bestattungsunternehmen, das es Hinterbliebenen ermöglicht, genau dies zu tun. Dafür gibt es ein Abschiedshaus, in dem Trauernde Tag und Nacht bei dem Verstorbenen sein können. Und es gibt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die durchweg Quereinsteiger aus sozialpädagogischen Berufen sind.
"Was wir versuchen ist im Grunde: Seelsorge, Trauerbegleitung in diese Bestatterarbeit zu integrieren."

Mittlerweile gibt es sogar einen "Sarg-Award"

Doch weil das einst gesellschaftlich organisierte Bestattungswesen längst privatisiert wurde, wurde der Tod zur Ware. Anstatt andere Formen der Trauer zu ermöglichen, drängen Unternehmen in die neue Marktlücke, die vom Sarg-Set für Heimwerker bis zur extravaganten Urne aus Birkenrinde so ziemlich alles anbieten. Mittlerweile ruft die Bestatterzunft sogar einen "Sarg-Award" aus und prämiert jährlich die schönsten Särge.
"Also, wir kriegen wöchentlich irgendwelche Angebote von Herstellern, was sie sich jetzt alles Tolles ausgedacht haben bezüglich neuer Urnen. Und jede Künstlerin in diesem Land, die irgendwie was auf sich hält, macht jetzt auch irgendein Trauerutensil. Das hat manchmal schon etwas von Trauer-Merchandising, wenn ich das mal so überspitzt sage.
Damit können selbst wir, die wir eigentlich schon an der Spitze so eines bestimmten Umbruchs der Bestattungswelt stehen, was eine bestimmte Entwicklung angeht zu mehr Individualität, können damit teilweise nicht mehr viel anfangen."
Wieso auch sollte ein preisgekrönter Truhensarg aus geöltem Lärchenfurnier und im Gegenwert eines Kleinwagens das Abschied nehmen menschlicher machen? Auch wenn der Sarg vom Hersteller angepriesen wird als...
Zitator: "Ein Schritt in die neue Zeit."
Und selbst, wenn er über wahrhaft außerordentliche Fähigkeiten verfügt?
Zitator: "Der Sarg kann zu Lebzeiten bereits als Schrank genutzt werden, um den Tod als Teil des Lebens begreifbar zu machen."
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