Sachbuch

Was Denker an Diktatoren fasziniert

Martin Heidegger
Der Philosoph Martin Heidegger unterstützte den Hitler-Faschismus öffentlich. © imago / United Archives International
Von Ingo Arend · 16.07.2015
Warum unterstützten Intellektuelle - wie der Philosoph Martin Heidegger - totalitäre Regime? Der US-amerikanische Politologe Mark Lilla sucht in seinem Buch "Der hemmungslose Geist" nach Erklärungen - und kann unseren Kritiker nicht so recht überzeugen.
Beherrschte Herrschende, so hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu einmal die Intellektuellen genannt. Machtlos gegenüber der direkten staatlichen Gewalt, herrschen sie indirekt, prägen Begriffe und Gedanken. Glaubt man dem amerikanischen Geisteswissenschaftler Mark Lilla, gibt sich diese Spezies jedoch keineswegs damit zufrieden, bloß geistige Macht auszuüben.
Der amerikanische Politologe, Jahrgang 1956, lehrt an der New Yorker Columbia-University politische und religiöse Ideengeschichte des Westens. In seinem jüngsten Buch "Der hemmungslose Geist" klagt er die "Tyrannophilie der Intellektuellen" an: Den Hang vieler großer Denker, einem Tyrannen oder seiner Bewegung zu dienen, um ihre philosophischen Ideen praktische Politik werden zu lassen.
Als Beleg für seine These führt er sechs Denker von ganz rechts, wie Martin Heidegger, bis ganz links, wie Jacques Derrida, ins Feld. Am Beispiel Carl Schmitts wird sein Ansatz besonders deutlich. Sah der deutsche Philosoph und "Kronjurist Hitlers" doch in den Nationalsozialisten die Exekutoren seiner Vorstellung, dass an die Stelle von letztgültigen Begründung eine Entscheidung für oder wider ein politisches System treten müsse, eine Vorstellung, die er in der "Politik der Feindschaft" für überlebensnotwendig ansah. Insgesamt sind seine Beispiele dennoch so selektiv gewählt, dass sie für eine Systematik des Phänomens "Tyrannophilie" nicht ausreichen.
Eine ziemlich hausgemachte Psychologie
Lilla will die "intellektuellen Wurzeln" der "Tyrannophilie" freilegen, landet aber bei einer ziemlich hausgemachten Psychologie. Er sieht den "uralten, irrationalen Impuls, das Kommen des Gottesreiches in der Welt zu beschleunigen" als "Teil unserer Seele". Und leitet ihn - unter Rückgriff auf Platon - aus einem ungezügelten "Eros" ab. Gerade Philosophen müssten aber die privaten und die öffentlichen Leidenschaften kanalisieren, statt sie aufzurühren.
Für einen seriösen Wissenschaftler gehen Lilla diese Leidenschaften allerdings selbst oft durch. Bücher und Personen überzieht er oft unvermittelt mit Idiosynkrasien. Seine vier Jahre als Redakteur der neokonservativen US-Zeitschrift "The Public Interest" merkt man dem Autor oft deutlich an. Und er hat einen problematischen Hang, das Denken der diversen Philosophen direkt aus ihrer Biografie zu erklären.
An die Grenze zur Diffamierung gerät diese Beweisführung spätestens, wenn er Michel Foucault als einen "im Wesentlichen aufs Persönliche konzentrierten Denker, der von Nietzsches Beispiel berauscht mit seinen inneren Dämonen kämpft, diese auf die Sphäre des Politischen projiziert" charakterisiert.
Einerseits verabschiedet Lilla den politisch intervenierenden Intellektuellen. Andererseits versteht er sein Traktat als Weckruf vor dem "Dogma des Libertarismus", der der "neuen politisch-theologischen Ideologie" des islamischen Fundamentalismus nicht gewachsen sei. Das ist nicht der einzige intellektuelle Widerspruch eines mitunter erratischen Buches. Diskurshoheit dürfte Lilla damit kaum erringen.

Mark Lilla: Der hemmungslose Geist. Die Tyrannophilie der Intellektuellen.
Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Liebl
Kösel-Verlag, München 2015
224 Seiten, 20,60 Euro

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