Sachbuch

Verketzert, verraten, überrannt

Von Ernst Rommeney · 16.08.2014
Anhand von Romanen, Zeitungsartikeln und Tagebucheinträgen zeichnet die Belgrader Philologin Gordana Ilic Markovic nach, wie Serben den Ersten Weltkrieg erlebten. Ein erschrocken erzähltes Dokument der Grausamkeiten.
Das politische Belgrad und die Serben hätten den Krieg nicht kommen sehen. So groß sei die Unbekümmertheit gewesen, dass der Oberkommandierende zur Kur nach Österreich gefahren war. Nicht einmal die Emotion, die zur Julikrise 1914 führte, wäre recht verstanden worden. Denn Franz Ferdinand, der in Sarajevo während einer Reise durch die Provinz erschossen wurde, galt allseits als höchst unbeliebter österreichischer Thronanwärter.
Auch zeigte sich die serbische Regierung keiner Schuld bewusst, zumal ihr nicht nachgewiesen werden konnte, in die Attentatspläne eingeweiht gewesen zu sein. Vielmehr glaubte sie, dem erbosten Wien höchst diplomatisch und äußerst entgegenkommend auf dessen Ultimatum geantwortet zu haben.
Als aggressiver slawischer Störenfried auf dem Balkan gebrandmarkt
Gordana Markovic erzählt aus serbischer Sicht, wie jene den Ersten Weltkrieg erlebten, die von Österreich-Ungarn als aggressiver slawischer Störenfried auf dem Balkan verketzert wurden. Die Philologin ist 1964 in Belgrad geboren, stammt also aus der Enkelgeneration und lehrt am Institut für Slawistik der Wiener Universität.
Sie erzählt – und vor allem dokumentiert, was Journalisten, Schriftsteller und Soldaten in Artikeln und Romanen, Tagebüchern und Briefen zu berichten haben – erschrocken über die Grausamkeit, mit der Österreicher, Ungarn und später Bulgaren durch ihre Dörfer und Städte zogen, obschon ihnen der Tod nach zwei Balkanfeldzügen nicht fremd war.
Lesart-Cover: Gordana Ilic Markovic (Hg.) "Veliki Rat – Der große Krieg. Der erste Weltkrieg im Spiegel der serbischen Presse und Literatur"
Cover: Gordana Ilic Markovic (Hg.) "Veliki Rat – Der große Krieg. Der erste Weltkrieg im Spiegel der serbischen Presse und Literatur"© Promedia Verlag
Die Besetzung macht Serbiens Kultur zunichte
Drei Jahre Besatzung trockneten eine blühende künstlerische und intellektuelle Szene aus, die kyrillische wurde durch die lateinische Schrift ersetzt, serbische Zeitungen und Bücher verschwanden. König, Politik und Heer waren zuvor auf einem langen Marsch über die Berge und nach kurzer Seereise auf die griechische Insel Korfu ausgewichen.
Nur leise deutet sich bei den Zurückgebliebenen das Gefühl an, von den Regierenden verlassen worden zu sein – oder die Einsicht, dass Slawen nicht nur verschiedene Sprachen sprechen, sondern unterschiedliche nationale Vorstellungen haben und selbst Brudervölker serbischer Politik voller Skepsis gegenüber stehen.
Doch der Herausgeberin geht es nicht um distanzierte Zeitgeschichte, sondern um das persönliche Erleben der Autoren, um deren Leid, Verzweiflung und Selbstaufgabe – und um Kriegsverbrechen.

Gordana Ilic Markovic (Hg.): Veliki Rat – Der große Krieg. Der erste Weltkrieg im Spiegel der serbischen Presse und Literatur
Übersetzt von Jelena Mascha, Antonija Dabić und Richard Schuberth
Promedia Verlag, Wien 2014
72 Seiten, 19,90 Euro

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