Sachbuch "Sprachlose Elite?"

Bosse verklären die Sozialdemokratie

Bundeskanzler Gerhard Schröder pafft eine dicke Zigarre; Aufnahme vom Dezember 1998 in der in der Wiener Hofburg.
Gerhard Schröders Agenda 2010 wird von der Wirtschaftselite als "politischer Hochleistungsakt" gewürdigt. © picture-alliance / dpa
Von Peter Marx · 02.05.2015
Die deutsche Wirtschaftselite würdigt Gerhard Schröders Agenda 2010 noch immer als Hochleistungsakt und begegnet den Medien mit tiefer Verachtung. Franz Walter und Stine Marg haben mit Unternehmern gesprochen und teilen in "Sprachlose Elite?" ihre erstaunlichen Erkenntnisse.
Wie tickt Deutschlands Wirtschaftselite? Wie sehen sie sich selbst? In 160 Interviews haben Politikwissenschaftler um Franz Walter danach gefragt. Und sie erhielten eine einmalige Chance. Denn die Kaste der deutschen Wirtschaftsvertreter, die sonst lieber schweigt oder für sich reden lässt, gibt Einsichten und Ansichten preis, die bemerkenswert anders ausfallen, als man erwartet hatte. Alte Feindbilder beispielsweise gelten nicht mehr.
"Das Schreckensszenarium bedrohlich wachsender Kampfbataillone roter, muskulöser Proletarier, die diszipliniert, selbstbewusst und zukunftsgewiss in revolutionärer Vorwärtsbewegung gegen die schwankenden Zitadellen der bürgerlichen Klasse marschieren, ist gänzlich aus den Angstträumen deutscher Unternehmer verschwunden."
Regelrecht verklärt wird von den Bossen die Sozialdemokratie. Obwohl sich die große Mehrheit rechts von der Mitte einordnet, geraten sie ins Schwärmen
"ganz überwiegend für tote oder lebendige Sozialdemokraten: für Herbert Wehner, Willy Brandt, Helmut Schmidt, abgeschwächt auch für Peer Steinbrück und Franz Müntefering."
Über allen steht jedoch Gerhard Schröder, der Held, dessen Agenda 2010 als politischer Hochleistungsakt gewürdigt wird: ein Kanzler einsam und bedrängt von Brutus-Figuren aus den eigenen Reihen, dennoch ungebrochen in seinem Mut.
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"Sprachlose Elite?" von Franz Walter und Stine Marg© Rowohlt Verlag
Geschätzt werden kantige und kernige Politik-Typen, denen es um die Sache geht und nicht um stromlinienförmige Anpassung und puren Karrierismus. So schaffte es aus den konservativen Reihen lediglich Finanzminister Wolfgang Schäuble in die Nähe des sozialdemokratisch geprägten Olymps.
Die Autoren unterstellen den Unternehmern eine gehörige Portion Mitschuld an der eigenen Sprachlosigkeit. Wobei es eigentlich den Leser sprachlos macht, wie felsenfest sie überzeugt sind, dass nur die Unternehmer selbst die produktive Elite im Land bilden, auf deren Energie aller Wohlstand zurückgeht.
Die Leistungen der Mitarbeiter, der Wissenschaftler oder anderen werden übergangen. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass es in Deutschland nicht gibt, was die Bosse für gerechtfertigt hielten: Konfetti-Regen, Dankesreden, Denkmäler an jeder Dorfstraße.
Einigkeit mit der Pegida-Bewegung in Sachen Medien
Und wer hat Schuld an der misslichen Situation? Wenn auch politisch kaum eine Verbindung besteht, in der Beurteilung der Arbeit von Medien sind sich Clanchefs, Vorstände und Geschäftsführer mit der Pegida-Bewegung einig.
"Kein Stichwort bringt sie – je höher im Management angesiedelt, umso stärker – mehr in Rage als ebendas: Medien. Sofort verlieren sie Contenance und Zurückhaltung, setzen mit furiosen Episteln an: Medien pauschalieren, skandalisieren, betreiben Hetzjagden, zerstörend Lebensleistungen, schlachten Menschen, schmeißen mit Dreck."
Nirgendwo würden die Charakterisierungen und Etikettierungen der Unternehmer so martialisch ausfallen, oft geradezu mit tiefer Verachtung und größter Abscheu ausgespien, erklären die Wissenschaftler.
Die Medien seien, aber das ist nur ein Nebenaspekt, ebenfalls schuld daran, dass Unternehmer sich nicht trauen, standesgemäß zu leben. Heißt: das Luxusauto bleibt in der Garage, das Boot am Steg auf Mallorca und die Villa fällt zwei Nummern kleiner aus, als man es sich hätte leisten können. Und das von Leuten, die über Dutzende Pressesprecher und PR-Agenturen verfügen. Reden die nicht miteinander?
Deutsche Manager zeigen sich in diesem Buch janusköpfig, geben sich weltoffen, obwohl die deutliche Mehrheit über keine nachhaltig prägende Auslandserfahrungen verfügt. Sie kritisieren die Politik von Angela Merkel, weil die Kanzlerin keine Visionen habe, Probleme der Zukunft – wie den demografischen Wandel – in den Griff zu bekommen.
Gleichzeitig können sich die wenigsten vorstellen, in die Politik zu wechseln. Primär wichtig ist den Firmenchefs der Rechtsstaat, der ihnen sichere Rahmenbedingungen garantiert. Dem Parlamentarismus, der Solidarität im Volk, gar der Basisdemokratie stehen sie distanziert gegenüber. Stuttgart 21 war und ist für die Bosse der Horror schlechthin. Dann doch lieber eine "gute Diktatur", von denen einige der Befragten träumen würden, heißt es im Buch.
Bleibt am Schluss noch ein Hinweis: Die Texte der Autoren sind zwar schwergängig, aber die Mühe lohnt sich. Die Einblicke in das Innenleben von Wirtschaftsvertretern und über ihre "Denke" machen die Umfrage spannend. Doch das hat Nebenwirkungen. Sie erschüttern das Vertrauen in die politische Urteilskraft der Wirtschaftselite, die sich manchmal nur belächeln lässt.

Franz Walter, Stine Marg (Hg.): Sprachlose Elite? Wie Unternehmer Politik und Gesellschaft sehen
Rowohlt Verlag Reinbek, Hamburg 2015
352 Seiten, 16,95 Euro, auch als eBook erhältlich

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