Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

"Man muss mehr Unterstützung geben"

Die kleine Figur eines Engels liegt am 22.12.2016 auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin auf einer Grabkerze.
Eine kleine Engelfigur am Ort des Anschlags auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin auf einer Grabkerze. © picture alliance / Rainer Jensen/dpa
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit André Hatting · 12.01.2017
Für die Toten des Breitscheidplatz-Anschlags gab es vor Weihnachten einen Gedenkgottesdienst, aber keinen Staatsakt. Aber wäre das nicht ein wichtiges Signal? Ja, meint Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Nicht nur die Bürger, auch der Staat sollte Trauer zeigen.
Es ist interessant zu beobachten, wie anders als Deutschland Länder wie Frankreich, Polen oder Israel mit der Trauer um durch Anschläge getötete Bürger umgehen. Für die Opfer des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gab einen Gedenkgottesdienst. Und während es in Frankreich wohl einen Staatsakt gegeben hätte, hält man sich in Deutschland mit solchen offiziellen Gesten sehr zurück. Auch stehen in den Medien die Opfer weniger im Vordergrund als der Täter.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerien (FDP), nimmt am 15.05.2015 in Stuttgart (Baden-Württemberg) an der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 2015 teil.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerien (FDP).© dpa / picture alliance / Daniel Naupold
Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger meint: "Wir müssen, glaube ich, stärker lernen, auch dieses Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen, es nicht nur den Bürgern zu überlassen, ihre Anteilnahme zu zeigen." Sie plädiert zudem dafür, den Opfern ein Gesicht zu geben - mit aller gebührender Zurückhaltung.

Das Interview im Wortlaut und in voller Länge:

André Hatting: Heute hat das Berliner Abgeordnetenhaus mit einer Gedenkminute an die Opfer vom Breitscheidplatz erinnert. Der Bundestag will das in einer Woche tun, unter anderem mit einer Rede des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert. Eine offizielle Gedenkfeier, einen Staatsakt gar oder eine Gedenkstätte für die zwölf Todesopfer, das alles ist nicht geplant. Warum eigentlich nicht? Darüber spreche ich mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die FDP-Politikerin war viele Jahre Bundesjustizministerin. Guten Tag, Frau Leutheusser-Schnarrenberger!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich grüße Sie, Herr Hatting!
Hatting: Warum hält sich die Politik eher zurück?
Leutheusser-Schnarrenberger: Sie haben recht, es gibt bei uns nicht diese Tradition auch der Anteilnahme, des Trauerns von Staats wegen mit den Opfern gerade auch solcher fürchterlicher Anschläge, ganz anders als in anderen Ländern. Ich denke mal an Polen oder auch an Frankreich, wo das ja sehr sichtbar ist und auch, glaube ich, von den Bürgerinnen und Bürgern sehr positiv aufgenommen wird. Woran liegt es? Ich glaube, es wird immer so ein Argument genannt, man wolle nicht noch den Terroristen in irgendeiner Art und Weise jetzt noch zeigen, wie fürchterlich ihre Taten waren, also deren Geschäft besorgen. Ich teile das wirklich nicht.

Keine Partei würde von öffentlicher Trauer profitieren

Ich glaube auch nicht, dass da irgendwie andere Parteien von profitieren. Wir müssen, glaube ich, stärker lernen, auch dieses Mitgefühl zum Ausdruck zu bringen, es nicht nur den Bürgern zu überlassen, ihre Anteilnahme zu zeigen, was ich überwältigend finde auch in Berlin, wie sie es machen.
Hatting: Denn das Argument, das Sie genannt haben, das würde ja auch für andere Länder gelten. Man würde ja auch jetzt sagen, in Polen zum Beispiel, Sie haben das angesprochen, da gab es eine Gedenkmesse mit viel politischer Prominenz. Da hätte man auch argumentieren können, man würde jetzt damit noch mal die Täter stärken. Könnte es vielleicht auch so sein, dass ein Argument die Rücksichtnahme ist, dass man die Opferangehörigen in Ruhe lassen will und nicht aufdringlich sein möchte?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich denke, das kann man ja im Vorfeld auch bereden und besprechen, denn es ist ja bekannt, wer die Angehörigen sind, auch die Opfer, die zum Teil noch um ihr Leben kämpfen. Man kann auch versuchen, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, denn niemand soll natürlich ans Licht der Öffentlichkeit gegen seinen Willen gezerrt werden. Aber es kann ja ein Gedenken geben in Form unterschiedlichster Würdigung, ohne dass jetzt alle Opfer auch so sichtbar gemacht werden.
Ich finde, dass es damals nach dieser fürchterlichen NSU-Mordserie es ja doch so eine Art Staatsakt gegeben hat damals in der Staatsoper, wo die Angehörigen der Opfer da waren, wo, finde ich, in einer sehr beeindruckenden und würdigenden Art und Weise der Opfer gedacht wurde. Da trat natürlich noch ganz anders das Staatverschulden auch mit hinzu bei den Überlegungen, aber ich fand das sehr angemessen, und warum soll sich nicht langsam so etwas auch zu einem Teil unseres Erinnerns mit entwickeln?
Hatting: Könnte die Zurückhaltung auch etwas damit zu tun haben, dass man befürchtet, Populisten könnten das ausnutzen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Wenn wir uns von Populisten treiben lassen in unseren Entscheidungen, auch was würdiges Gedenken ist, auch das Mitgefühl ausdrücken und damit ja auch eine Gesellschaft einigen in ihrem Mut, Terror gemeinsam zu begegnen – ich meine, da brauchen wir ja gar nicht mehr Politik zu machen. Also ich halte das für überhaupt gar kein Argument. Die, die dann dagegen demonstrieren oder die dann versuchen, das für sich auszuschlachten, ich denke, die sprechen so sehr für sich, nämlich gegen sich, dass das in der Bevölkerung wirklich auf Widerwillen stoßen wird. Also, das ist für mich überhaupt kein Argument.
Hatting: Jetzt haben wir viel über die Rolle der Politik oder auch die Haltung der Politik gesprochen. Lassen Sie uns noch über die der Medien reden. Ein Beispiel: Als in Israel vier Soldaten von einem Lkw totgefahren wurden – das war auch ein Anschlag –, da haben die Medien dort ausführliche Porträts der vier jungen Menschen gezeigt. Bei uns ist es ganz oft so, dass die Opfer ohne Namen und ohne Gesicht bleiben. Es gibt kaum persönliche Geschichten. Warum?

Rechtliche Bedenken, Gesichter zu zeigen

Leutheusser-Schnarrenberger: Bei uns ist wirklich auch mit Blick auf unser Verständnis, eigentlich jemanden nicht mit Bildern zu zeigen, mit Namen zu nennen, gerade auch, was Opfer angeht, besonders ist es aber auch bei den Tätern ausgeprägt. Da hat es auch noch rechtliche Grundlagen. Ich glaube, da haben wir eine ganz andere Haltung auch mit Achtung, Blick auf die Privatsphäre und die Persönlichkeit. Erinnern Sie sich noch, als der tote Junge angeschwemmt wurde, fürchterlich, der Flüchtling dalag und versinnbildlichte, wie grausam eben auch diese Situation ist, auch das Verweigern von Hilfe.
Da gab es schon Debatten, ob man das überhaupt hätte zeigen können, obwohl der kleine Junge mit dem Gesicht nicht zu erkennen war. Also ich glaube, da haben wir grundsätzlich, was so Privatsphäre, Persönlichkeitsschutz, Achtung auch dann letztendlich des Ansehens der Person, auch der Angehörigen, eine etwas andere Haltung. Wir haben nicht diese große aufschäumende Öffentlichkeit, aber es geht ja auch, ohne dass man jetzt Porträts zeigt. Aber ich finde es entsetzlich, wenn ich pausenlos den Amri in der Presse sehe mit seinen Bildern. Über den ist pausenlos zu lesen, aber die Berichterstattung selbst über Opfer und Angehörige, wenn, dann überhaupt nur sehr punktuell erfolgt wie jetzt bei der einen Dame, die noch um das Leben auch ihres Lebensgefährten zittert.
Hatting: Würden Sie sich da mehr Darstellung der Opfer wünschen?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich würde mir nur Darstellung in Absprache mit Angehörigen wünschen. Und dann eine sehr maßvolle und eine sehr würdigende. Ich denke, dass die Medien wirklich sehr wohl dazu in der Lage sind und das auch sehr gut machen würden. Aber ich würde jetzt nicht so eine öffentliche Medien-Opferberichterstattung kultivieren, ohne dass da mindestens mal Angehörige vorher gefragt worden sind.
Hatting: Ich habe es zu Anfang unseres Gesprächs erwähnt, es hat heute im Berliner Abgeordnetenhaus eine Gedenkminute gegeben, und es wird in der kommenden Woche im Bundestag eine stattfinden. Reicht Ihnen das – jetzt ganz persönlich gefragt –, oder würden Sie sich auch mehr wünschen für die Terroropfer vom Breitscheidplatz?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich finde, es hat zu lange gedauert, dass das überhaupt passiert. Man hat gedacht, mit dem Gedächtnisgottesdienst hätte man jetzt die Anteilnahme zum Ausdruck gebracht und das sei ausreichend. Ich finde es jetzt gut, dass das erfolgt, wenn es auch spät ist, auch mit Reden. Aber ich denke, das sollte es nicht gewesen sein. Es sollte jetzt nicht dann ausschließlich über wieder Sicherheitsfragen und was man alles tun sollte, nur geredet werden als Konsequenz aus diesem Anschlag, sondern man sollte zum Beispiel diejenigen, die auch gefragt werden, Opferbeauftragte, die bisher das ehrenamtlich machen, ich glaube, denen muss man mehr Unterstützung geben. Und ich fände es gut, wenn dann noch mal in einiger Zeit, in einigem Abstand man sehr wohl noch mal etwas zusammen mit den Angehörigen machen würde, um eben auch daran zu erinnern.
Hatting: Die langjährige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über das unterschiedliche Gedenkbedürfnis in Deutschland. Ich danke für das Gespräch!
Leutheusser-Schnarrenberger: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.