Rot-Rot-Grün in Thüringen

Ramelows linkes Wagnis

Der Linken-Politiker Bodo Ramelow
Mit Bodo Ramelow könnte die Linke zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten stellen. © Imago
Von Jacqueline Boysen · 04.12.2014
Hat die Linke wirklich totalitärem Denken abgeschworen? Bodo Ramelows rot-rot-grünes Projekt in Thüringen könnte darüber Klarheit bringen und die Debatte um seine Partei versachlichen, meint die Journalistin Jacqueline Boysen.
Ideologieverhaftet oder politiktauglich – was kann die Partei mit dem anmaßenden Namen "Die Linke"? Emanzipiert sich der Vielredner Bodo Ramelow von Parolen geschwängerter Parteipropaganda? Kann er sich von Altlasten trennen und in Thüringen eine Politik machen, die sich nennenswert von der anderer Landesregierungen roter Färbung unterscheidet?
Der Vertrag, den Linke, SPD und Grüne zusammengezimmert haben, lässt vieles offen. Das Regierungsvorhaben lebt vom spektakulären Novum: Ein "Linker" könnte erstmals in einem Bundesland Ministerpräsident werden - und das mit nur einer Stimme Mehrheit gegenüber der mutmaßlichen Opposition aus CDU und AfD.
Dieser arg knappe Vorsprung mag die eigenen Reihen disziplinieren oder demonstrative Akte provozieren. Die einstige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Simonis sucht noch heute den politischen "Heide-Mörder". Und so sehr dieser im Geheimen operierte, so offen verweigerten in Hessen vier Abgeordnete Andrea Ypsilanti einst die Gefolgschaft.
Ein Regierungsschef von den Linken? Schwer erträglich für Bürgerrechtler
Regieren um jeden Preis ist nicht jedermanns Sache – jedenfalls nicht mit einer Partei, die aus SED, WASG und PDS hervorging. Der PDS kam immerhin das Verdienst zu, Nostalgiker, SED-Funktionäre und staatsnahe Anhänger der DDR in die Demokratie gelotst zu haben. Auf diesem Dampfer fanden viele Schiffbrüchige Platz.
Zur Galionsfigur wurde Sahra Wagenknecht, aber den Kurs gaben Pragmatiker an. Der wortgewaltige Gregor Gysi – lernfähig, aber ohne Schuldgefühle – segelte durch postsozialistische Untiefen. Er war es allerdings auch, der durch die Vereinigung mit der westdeutschen WASG den Markenkern der ostdeutschen PDS über Bord warf.
Wenn nun im Freistaat Thüringen ein Bündnis mit der Linken an der Spitze regieren sollte, ist das nicht nur für Bürgerrechtler, die einst mutig gegen den vergreisten SED-Sozialismus aufbegehrten, schwer erträglich. Und doch brächte eine demokratisch gewählte Regierung unter Bodo Ramelow im Jahr 25 nach dem Fall der Mauer auch Klarheit: Hat die "Linke" wirklich totalitärem Denken abgeschworen und wie verhaftet ist sie der Staatsgläubigkeit?
Eine Koalition unter linker Führung muss durch Leistung überzeugen
Kämpferisch-antikapitalistisch oder progressiv ist der Erfurter Koalitionsvertrag nicht. Er belegt den Willen zum Regieren - Opportunismus inklusive. Das ausdrückliche Bekenntnis zur Aufarbeitung der Diktatur und das überstrapazierte Wort "Unrechtsstaat" zeigen: Hier will jemand um jeden Preis in die Staatskanzlei einziehen und auch im Bundesrat für voll genommen werden.
Im Jahr 1990 war Bodo Ramelow für die damalige Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen aus dem Westen nach Thüringen gekommen. Bereits 1997 warb er, bekennender Christ, für Rot-Rot-Grün. Wird er jetzt gewählt, tritt er sein neues Amt mit dem Risiko an, dass seine Arbeit jederzeit von damaligen Systemträgern der DDR in Fraktion und Partei und vom langen Schatten ostdeutscher Vergangenheit belastet werden kann. Als Politprofi weiß er, dass er dies gar nicht verhindern kann.
Also ist er darauf angewiesen, dass eine Koalition unter linker Führung durch Leistung überzeugen muss, auf dass die Akzeptanz unter den Wählern wachsen möge. In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise gelang dies nicht. Die damalige PDS verlor nach rot-roter Regierungszeit erheblich, entzaubert nach vier stillen Jahren, obwohl die Regierung keine schweren Fehler begangen hatte.
Immerhin könnte Ramelows Projekt der Radikalisierung derer vorbeugen, die sich aus Regierungsverantwortung herausgehalten und diskriminiert fühlen. Und er könnte einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte um seine Partei leisten.
Jacqueline Boysen, Journalistin und Historikerin, Autorin einer Biografie über Angela Merkel, hat als Korrespondentin für das Deutschlandradio gearbeitet und war Studienleiterin für Politik und Zeitgeschichte an der Evangelischen Akademie zu Berlin.
Jacqueline Boysen
Jacqueline Boysen© Bundesstiftung Aufarbeitung
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