Roman

Entführung eines Rennpferdes

Englische Vollblut: Ein Fohlen auf einer Wiese.
Ein Pferd steht im Mittelpunkt des Romans "Die Leimrute". © dpa / picture alliance / Ronald Wittek
Von Thomas Wörtche · 18.06.2014
In "Die Leimrute" von John Hawkes geht es um die Manipulation eines Pferderennens im englischen Adlington. In dem Roman mischen sich Einzelszenen von Gewalt und Verbrechen.
Kriminalliteratur und Avantgarde stehen seit jeher in einem besonderen Verhältnis zueinander. Allein der Dadaismus und Surrealismus mit Persönlichkeiten wie Walter Serner, Friedrich Glauser oder Marcel Duhamel (dem Gründer der weltberühmten Série noir bei Gallimard) oder Figuren wie Fântomas stehen für vielfältige, noch kaum systematisierte Beziehungen zwischen populären und avancierten Formen. Alain Robbe-Grillet etwa hat in seiner "Blauen Villa von Hongkong" (1965) Elemente des Kriminalromans neu zusammengesetzt und damit einen Klassiker des Meta-Kriminalromans geschaffen.
Jetzt hat der kleine Verlag Luxbooks aus den Tiefen des Archivs des damals literarisch sehr renommierten Limes Verlags "Die Leimrute" in der 1964 erschienenen Übersetzung von Grete Weil hervorgeholt und in seiner Sub-Reihe "Ohrensessel" wieder veröffentlicht. Das ist ein klein wenig befremdlich, denn "Ohrensessel"-Lektüre war der Roman damals wie heute keineswegs.
Ähnliche literarische Techniken wie die des nouveau roman in Frankreich benutzte der US-amerikanische Avantgarde-Autor John Hawkes (1925 bis 1998) bereits ein paar Jahre früher: "Die Leimrute" ist ein kunstvoll arrangiertes Konglomerat genre-typischer Einzelszenen von Gewalt und Verbrechen, ohne die Tröstung der Art von "Kriminalliteratur", bei der am Ende alles wieder gut ist.
Hawkes beschreibt Details der sinnlichen Art
Der sehr vage gehaltene Plot dreht sich um die Entführung eines Rennpferdes im englischen Aldington. Es geht um Rennmanipulation, aber auch um die allmähliche Kriminalisierung eines zunächst harmlos biederen Spießerpärchen, dessen Gewalterfahrungen sehr unterschiedlich und na ja, sehr pervers ausfallen - vermutlich 1961 noch schockierend.
Anstatt einen stringenten Plot zu inszenieren, erdet Hawkes seine Szenen von Blut und Gewalt, von Mord und Vergewaltigung in sehr zwingend und faszinierend beschriebenen Details der sinnlichen Art: Gerüche, Geräusche, Lichteffekte, Äußerungen der Leiblichkeit, Animalisches – also alles, was in der antiseptischen Kriminalliteratur der frühen 60er-Jahre noch kaum thematisierbar war, wenn man Ausnahmen wie Chester Himes etwa einmal beiseite lässt.
Die Akzentuierung der Kriminalliteratur weg von einer ausgefuchsten, ausgeklügelten und dadurch oft papierhaft und leblos wirkenden Story hin zu physischen und psychischen Zuständen, zu Schmerz, Lust, Zynismus und reinem thrill hat der Avantgardist John Hawkes in der Tat vorausgeahnt. Die Entwicklung eines großen Stranges der Kriminalliteratur, die des Psychopathen-Thrillers, hat ihm tendenziell Recht gegeben.
Auch dort isolieren sich oft die Szenen von Qual, Tortur, von gequälten Leibern und schrägen Befindlichkeiten vom narrativen drive und tragen zu einer nennenswerten Bedeutung der Texte eher wenig bei. Das Märchenhaft-Unplausible dieser Art von Text hat es, so gesehen, von der Avantgarde bis zum billigsten Mainstream geschafft.
Deswegen ist die Wiederentdeckung und Neupräsentation von Hawkes auch wichtig und gut, das prophetische Element ist schon sehr bemerkenswert.

John Hawkes:
Die Leimrute (The Lime Twig, 1961)
Roman
Wiesbaden: Luxbooks 2014,
179 Seiten, 19,80 Euro