Rivka Galchen: "Amerikanische Erfindungen"

Unterkühlte Neurotikerinnen

Eine Frau in einer Straße in Manhattan mit einem Kaffeebecher in der Hand
Die Geschichten in "Amerikanische Erfindungen" strahlen eine Kälte aus, die teilweise gruseln lässt. © imago/Westend61
Von Johannes Kaiser · 23.01.2017
Unpolitisch, abgehoben und irrational wirken die Erzählerinnen in "Amerikanische Erfindungen". Sie schauen seltsam distanziert auf sich selbst und ihre Umgebung. Das macht die Kurzgeschichten von Rivka Galchen etwas irritierend und verstörend.
In den USA sind – anders als in Deutschland – Kurzgeschichten mindestens ebenso wichtig wie Romane. Sie werden ausführlich gewürdigt. Das gilt auch für die jetzt auf Deutsch erschienenen zwölf Geschichten der Schriftstellerin Rivka Galchen. Die Titelgeschichte "Amerikanische Erfindungen" setzt Tonfall wie Inhalt aller Geschichten.
Eine junge Frau stellt eines Morgens fest, dass ihr auf den Rücken einen dritte Brust gewachsen ist. Allzu sehr scheint sie das nicht zu beunruhigen. Sie besucht weiterhin ihre Seminare in Bibliothekswissenschaften und gibt Kurse für junge Frauen mit Gesundheitsproblemen. Schließlich sucht sie eine Ärztin auf, die mit ihr ein absurdes Gespräch über ihre psychische Verfassung führt.
Als ein Bild von ihr mit dieser Rückenverformung in den sozialen Netzen auftaucht, ist es mit der Ruhe vorbei. Man diskutiert über sie und sie kann nichts daran ändern. Sie ignoriert die Kommentare und geht los, um sich ein neues Kleid zu kaufen, das den Zustand kaschieren soll. Alle Geschichten haben eine leicht neurotische, irreale Note, spielen mit absonderlichen Ideen. Keine folgt konventioneller Logik.

Emotionsloser Tonfall

Die Erzählerinnen, meist junge Frauen, schweifen ständig vom Thema ab, folgen merkwürdigen Assoziationen. Sie schauen seltsam distanziert auf sich selbst und ihre Umgebung, ihre Mitmenschen, so als beträfe sie das Geschehen nicht wirklich. Vieles wirkt unterkühlt, die Akteurinnen scheinen irgendwie unbeteiligt. Der Tonfall ist emotionslos, selbst wenn von Gefühlen die Rede ist, so als seien sich die Erzählerinnen ihrer eigenen Gefühle nicht sicher.
So listet Rivka Galchen in der Geschichte "Preisschock" anfangs detailliert auf, wie viel Mutter und Tochter verdienen und an Vermögen angelegt haben. Dann kauft die Mutter als Geldanlage ein Apartment. Das soll später einmal ihrer Tochter gehören. Doch als die sich scheiden lässt, verlangt die Mutter von ihr, dass sie zu ihrem Ehemann zurückkehrt und endlich ein Kind bekommt. Andernfalls soll sie keinen Cent bekommen. Die will sich darauf nicht einlassen, doch beim Treffen zum Kaffee redet die Mutter nur über Outfit und Diäten. Die Geschichte strahlt eine Kälte aus, die gruseln lässt.
Cover "Amerikanische Erfindungen" von Rivka Galchen
"Amerikanische Erfindungen" von Rivka Galchen© Rowohlt

Erzählerinnen können einem leidtun

Eine junge Frau verliebt sich in einen Physiker, doch der hat mit ihr nichts im Sinn und verschwindet. Sie sucht ihn, trifft dessen Exfreund, nur um sich von ihm sagen zu lassen, wie lächerlich der Mann sie fand. Trotz dieser Demütigung gibt sie nicht auf, findet ihn schließlich, nur um zu verfahren, dass er physikalischen Wahnvorstellungen nachjagt. Schweren Herzens lässt sie von ihm ab.
Erschreckend ist, wie unbeteiligt die Erzählerinnen an ihrem eigenen Leben scheinen. Sie wissen wenig mit sich anzufangen, sind völlig unpolitisch, an gesellschaftlichen Themen total uninteressiert, wirken abgehoben, verhalten sich irrational. Eigentlich können sie einem leidtun. Doch dazu sind sie einem dann doch zu fremd. Irritierende, geradezu verstörende Kurzgeschichten, wie man sie so noch nie gelesen hat.

Rivka Galchen: Amerikanische Erfindungen
Aus dem Englischen von Grete Osterwald und Thomas Überhoff
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017
199 Seiten, 19,95 Euro

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