Rische fordert Fortführung der Rentenreform

Herbert Rische im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler · 27.06.2009
Der Präsident der Deutsche Rentenversicherung Bund, Herbert Rische, hat sich dafür ausgesprochen, nach den Wahlen die Rentenreform fortzuführen, um insbesondere erwerbsgeminderte Personen, Langzeitarbeitslose und nicht abgesicherte Selbstständige vor Altersarmut zu bewahren. Auch Selbstständige, die bisher nicht versichert seien, müssten in die Rentenversicherung einbezogen werden, so Rische weiter.
Deutschlandradio Kultur: Die Rentner bekommen zum 1. Juli die höchste Rentenerhöhung seit mehr als zehn Jahren. Können wir uns das überhaupt leisten?

Herbert Rische: Die Rentenerhöhungen, die dieses Jahr stattfinden, ergeben sich letztendlich aus der Lohnentwicklung der vergangenen Jahre. Bei der Rentenanpassung Ost muss man noch berücksichtigen, dass hier eine Korrektur der Lohnentwicklung nachgeholt wird. Deswegen kommt ein besonders hoher Wert raus. Insofern ist die Anpassung durch die Entwicklung der vergangenen Jahre vorbestimmt. Wenn wir die finanzielle Situation der Rentenversicherung zurzeit ansehen und wenn wir sie mittelfristig ansehen, dann können wir uns dies auch leisten.

Deutschlandradio Kultur: Wäre es nicht sinnvoll gewesen, doch wieder mit der Dämpfung zu beginnen, wo man so viel zu verteilen hat?

Herbert Rische: Man kann immer darüber streiten, wann man Dämpfung einsetzt und wann nicht. Letzten Endes war es letztes Jahr eine politische Entscheidung, wie man mit der Dämpfung und dem Riester-Faktor umgeht. Man hat ihn ausgesetzt, um die Rentner zeitnah an der Lohnentwicklung beteiligen zu können. Ich denke, das ist zu akzeptieren. Es hilft auch nicht, in der Diskussion weiter in der Vergangenheit herumzustochern.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt gibt es also mehr Geld. In den nächsten Jahren wird es Nullrunden geben.

Herbert Rische: Es wird in den nächsten Jahren womöglich Nullrunden geben. Wie viele es geben wird, ob das eine oder zwei sind, wird die Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zeigen. Die Aussage, durch die Nachholung der Dämpfung wird es Nullrunden geben, ist zunächst mal falsch. Denn wenn, dann wird die Dämpfung ja immer nur die Hälfte einer eventuellen Rentenanpassung betreffen und die andere Hälfte wird weitergegeben. Insofern ist die Spekulation über die Nullrunden eine Spekulation und wir müssen abwarten, wie es sich tatsächlich entwickelt.

Deutschlandradio Kultur: Trotzdem ist für Sie ja wichtig, wann Sie mit der Dämpfung beginnen müssen. 2012 ist das magische Jahr. Das könnte nach der Rezession sein oder in der auslaufenden Wirtschaftsschwäche. Das ist schon etwas anderes, als ob wir dann wieder Konjunkturauftrieb haben.

Herbert Rische: Was hätten Sie gern für eine Antwort darauf?

Deutschlandradio Kultur: Dass Sie das Problem sehen.

Herbert Rische: Natürlich sehen wir das Problem. Natürlich ist so eine Operation auch immer von den Rahmenbedingungen abhängig, von den politischen, den wirtschaftlichen, den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Wir müssen im Moment sehen, dass wir ja einen Punkt haben – der ist mir ganz wichtig, wenn ich mir die Presse ansehe. Da wird spekuliert, dass Beitragssatzsenkungen nicht stattfinden können. Die wichtige Aussage ist doch heute: Der Beitrag in der Gesetzlichen Rentenversicherung bleibt trotz Krise stabil.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt von der Politik noch die Vorgabe, dass es eine Garantie gegen Rentenkürzungen in Zukunft gäbe. Ist das ein sinnvolles Modell? Ärgert Sie das? Kann man das überhaupt so langfristig halten?

Herbert Rische: Man kann sicherlich darüber streiten, ob das langfristig vom System her ein sinnvolles Modell ist. Nur man muss ja auch immer wieder sehen, in welchen Situationen die Politik bestimmte Maßnahmen ergreift. Wir hatten die Situation, dass plötzlich angefangen wurde zu spekulieren, dass es nächstes Jahr Rentenkürzungen gibt – aufgrund von Zahlen, die realistisch oder unrealistisch sind, die aber auf jeden Fall in die Welt gesetzt wurden. Was soll dann eine Politik machen. Eine Politik muss ja gucken, dass sie das Hauptgut der Rentenversicherung, insgesamt der Sozialversicherung, nämlich das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Systems schützt. Das hat sie versucht mit diesem Schutzschirm zu tun. Ob das langfristig und mittelfristig diese Wirkung zeigt, die sich die Politik davon erhofft, wird abzuwarten sein. Aber insgesamt kann man auch sehen, dass bei allen Annahmen, die wir im Moment haben, dieser Schirm voraussichtlich in den nächsten Jahren gar nicht greifen muss. Insofern ist eine Spekulation, ob das sinnvoll ist oder nicht, letzten Endes dann vielleicht auch obsolet.

Deutschlandradio Kultur: Das sollten Sie uns noch mal erklären. Derzeit sind ja Ihre positiven Aussagen wesentlich auf das letzte Jahr gestützt, aber auch auf dieses Jahr, wo der Arbeitmarkt noch nicht so ist, wie er sein könnte, nämlich fünf Millionen Arbeitslose hat. Das kann noch mal im nächsten Jahr schlimmer werden. Was wird dann die Auswirkung sein?

Herbert Rische: Wir stützen uns ja mit unseren Annahmen auf die Annahmen der Bundesregierung. Die Annahmen der Bundesregierung gehen für nächstes Jahr bei den Arbeitslosenzahlen von rund 4,6 Millionen aus. Das ist keine positive und auch keine optimistische Annahme, sondern wahrscheinlich eine realistische Annahme. Das kann durchaus beinhalten, dass – wenn man 4,6 Millionen im Jahresdurchschnitt hat – in das in einzelnen Monaten auch etwas höher oder niedriger sein kann.

Wenn wir diese Annahmen, die 4,6 Millionen, zugrunde legen, können wir sagen: Auch bei höherer Arbeitslosigkeit wird der Rentenversicherungsbeitrag stabil bleiben. Das ist das Eine. Das Zweite: Natürlich wird die Rentenversicherung auch durch die Arbeitslosigkeit betroffen. Aber bei denjenigen, die Arbeitslosengeld I beziehen, haben wir ja einen Beitrag, der auf 80 Prozent des vorherigen Einkommens berechnet ist. Insofern haben wir über die Bundesagentur einen entsprechenden Puffer. Das wird dann schwieriger, wenn viele in ALG II fallen würden. Aber dies ist nächstes Jahr nicht zu erwarten. Insofern werden wir dann mal sehen, wie sich die nächsten Jahre darstellen. Zunächst sind die Wirtschaftsannahmen doch so gesetzt, dass sie a) realistisch sind und b) für uns die Aussage bedeuten, Beitragssatzerhöhungen sind nicht nötig.

Deutschlandradio Kultur: Noch mal: Wir hören Ihre Botschaft, aber es sind ja die Prognostiker der anderen auch unterwegs, die sagen, es wird schlimm werden, es wird hohe Beitragssätze geben. Was antworten Sie denen, dass sie die falschen Computerprogramme für ihre Prognosen haben?

Herbert Rische: Ich würde denen ganz deutlich antworten: Sie mögen mir mal erklären, wie sie zu ihren Annahmen kommen. Wenn sie Annahmen sehen, die davon ausgehen, dass wir bei den Pro-Kopf-Löhnen dieses Jahr ein Sinken von sechs Prozent und mehr unterstellen müssen, dann ist dies unrealistisch. Wenn ich die Zahlen der Rentenversicherung hinsichtlich der Einnahmen sehe, haben wir im ersten Jahr noch immer ein leichtes Steigen der Pro-Kopf-Löhne nach unseren Einnahmen. Wo dieses Jahr sechs Prozent minus der einzelnen Löhne dieses Jahr herkommen sollen, das mag man mir dann doch noch mal erklären, damit ich es dann vielleicht auch verstehe – aber ich halte es für unrealistisch. Wenn man auf solchen unrealistischen Annahmen weiterrechnet, kommt man zu entsprechenden Beitragssatzannahmen.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, der Bundesarbeitsminister hat recht, wenn er sagt, die Beitragssätze werden mittelfristig nicht angehoben?

Herbert Rische: Nach der Aussage der Wirtschaftsdaten, nach den Rahmendaten, ist diese Aussage zutreffend.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt auch, Sie haben im Moment genügend Geld in der Kasse, um die laufenden Zahlungen, auch wenn die Wirtschaft weiterhin nach unten geht, auszahlen zu können, ohne irgendwie die Politik zu fragen, ob sie Ihnen noch mal nachschießen kann?

Herbert Rische: Gott sei Dank sind wir im Moment in einer Situation, dass unsere Nachhaltigkeitsrücklage bei rund einer Monatsausgabe liegt. Das ist nicht dramatisch viel, aber es ist natürlich wesentlich mehr als die Untergrenze, die bei 0,2 Monatsausgaben liegt. Mit diesen Beträgen können wir die nächsten Jahre - wenn die Annahmen, die in die Welt gesetzt sind, zutreffen – auch überstehen und die Finanzierung der Rentenversicherung sicherstellen.

Deutschlandradio Kultur: Aber das war ja eine wichtige Frage. Man hat immer gesagt, Sozialversicherung braucht eine Konjunkturrücklage, damit man nicht in der Rezession Beiträge anheben muss, weil das Gift ist für die Beschäftigung. Ist da eine Monatsausgabe wirklich das Polster, das man braucht für alle Fälle?

Herbert Rische: Wissen Sie, das ist immer so zwiespältig. Zum einen würde ich mich ja schon freuen, wenn man aus der jetzigen Situation die Erkenntnis mitnimmt, man braucht mindestens eine Monatsausgabe, um etwas zu bewegen und um vielleicht auch etwas zu verhindern. 0,2 Monatsausgaben als Untergrenze sind zu wenig. Das Zweite, was man natürlich auch immer wieder bedenken muss: Je höher die Rücklage ist, je höher die finanziellen Reserven der Rentenversicherung sind, desto mehr Phantasie wird bei der Politik geweckt, dass man dann irgendwelche Wohltaten beschließt und verkündet. Insofern bin ich durchaus für eine ausreichende Rücklage, aber letzten Endes für eine knappe Rücklage, damit die Phantasie nicht ins Unendliche schießt.

Deutschlandradio Kultur: Herr Rische, es gibt noch einen anderen Aufreger, zumindest diese Wochen und auch die Monate davor. Das ist die Rente mit 67. Die einen sagen immer, das sei ein Rentenkürzungsprogramm. Die anderen sagen, das ist notwendig, weil die Gesellschaft älter wird. Stimmt denn beides?

Herbert Rische: Es kann im Einzelfall beides zutreffen, aber ich glaube, man muss das in der gesamten Situation sehen. Zum einen ist die Diskussion über die Rente mit 67 ja kein Thema, das heute neu auf den Tisch kommt, sondern das seit Verkündung dieser Maßnahme immer wieder links und rechts, rum und num gewendet wird.

Wir müssen davon ausgehen, dass wir nach wie vor eine steigende Lebenserwartung haben. Wenn wir eine steigende Lebenserwartung haben, dann werden wir auch davon ausgehen müssen, dass wir länger arbeiten müssen. Wenn Sie den jüngsten Bericht der OECD über Alterssicherungssysteme sehen, dann ist dies ein Punkt, der als zentraler Punkt immer wieder hervorgehoben wird und wo Deutschland auch gute Noten hinsichtlich der Reformfähigkeit und der Zukunftsfähigkeit bekommt.

Natürlich wird es immer Situationen geben, wo Einzelne nicht bis 67 arbeiten können. Hier wird man sich die Frage stellen müssen: Wie kann man da begegnen? Muss man da die Erwerbsminderungsrente rechtzeitig einsetzen? Oder muss man sich fragen: Wie sieht es in einzelnen Branchen aus? Müssen die Branchen vielleicht nicht auch selber vorsorgen für bestimmte Berufsgruppen, die dann nicht länger arbeiten können? Wir haben alle möglichen Zulagen beim aktiven Leben, aber Zulagen für Schwerarbeit, die dann in betrieblichen Altersvorsorgesystemen vielleicht dazu benutzt werden, damit man früher als mit 67 in Rente oder ohne Abschläge gehen kann, die sehe ich noch zu wenig – sage ich mal ganz deutlich. Insofern muss man diese Diskussion so führen.

Das Zweite: Wir haben im Gesetz die Aussage stehen, dass nächstes Jahr der Bundestag überprüfen muss beziehungsweise im Bundestag ein Bericht vorgelegt werden muss, wie es denn mit der Beschäftigungschance Älterer aussieht. Sind die Anteile der Älteren an der Beschäftigung gestiegen? Sind die ausreichend gestiegen und, und, und?

Auf diesem Hintergrund wird man sicherlich diese Frage auch noch mal weiter diskutieren müssen. Nur insgesamt führt an der Rente mit 67 auf mittlere und längere Sicht kein Weg vorbei.

Deutschlandradio Kultur: Aber wo kommen Sie denn her? Denn die Frage ist doch, dass noch nicht mal die Rente mit 65 umgesetzt ist.

Herbert Rische: Sie werden nie eine volle Umsetzung bis zum endgültigen Renteneintrittsalter haben. Sie werden immer Zu- und Abgänge vor 65 haben. Sie werden auch Leute haben, die bewusst in Kauf nehmen, dass sie mit Abschlägen vorher in Rente gehen. Insofern geht es nicht darum, dass man etwas umsetzt, sondern es geht darum: Wohin entwickelt sich der Trend?

Wenn Sie heute die Altersrenten ansehen, dann sind wir in der Regel schon in Richtung 63 unterwegs. Wir haben vor ein paar Jahren noch bei 61 gelegen. Insofern ist ein Trend in Richtung 65 und darüber hinaus zu erkennen. Und eins sollte man doch nicht vergessen: Wir reden immer über demografische Probleme der Rentenversicherung. Die demografischen Probleme betreffen doch den Arbeitsmarkt insgesamt. Die Firmen werden in Zukunft wesentlich stärker als heute auf Leute im Alter ab 60 oder ab 55 zurückgreifen, weil eben nicht mehr genügend vorhanden sind, weil letzten Endes die erwerbsfähige Bevölkerung auch über die demografische Entwicklung schrumpft. Auch dies wird dazu führen, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter nach oben wandert.

Deutschlandradio Kultur: Die Menschen müssen aber gesund sein, wenn sie bis 65 oder 67 arbeiten sollen. Sie bieten vom Bund her Reha-Programme an. Gibt es denn Zahlen, Erfahrungen, wo Sie sagen, ja, das wirkt tatsächlich? Die Gelder, die wir da investieren, führen dazu, dass die Menschen länger arbeitsfähig sind.

Herbert Rische: Es gibt im Moment verhältnismäßig wenig Erfahrungen, die speziell auf die Gruppe der Älteren zielen und diese untersuchen. Es gibt aber im Bereich Reha die eine Erfahrung, dass sich letzten Endes jeder investierte Euro in der Rehabilitation hinsichtlich des Einsparens von anderen Leistungen im Bereich Krankenversicherung, Medikamenten, Arbeitsunfähigkeitszeiten und, und, und rechnet, aber sich auch rechnet in der Rentenversicherung hinsichtlich der Frage: Wann und in wie viel Fällen haben wir Erwerbsminderungsrente zu zahlen oder nicht?

Hinsichtlich der Frage der älteren Menschen warne ich davor, sich kurzfristig über Rehabilitationsmaßnahmen große Erfolge zu versprechen. Wir müssen hier sicherlich auch noch selber in neue Programme investieren, in neue Arten von Rehabilitationsmaßnahmen, Maßnahmen, die letzten Endes nicht da ansetzen: Jetzt müssen wir den Menschen mit 60 irgendeine Maßnahme anbieten. Sondern wir müssen sozusagen lebenslanges Lernen unterstützen. Wir müssen die Fähigkeit, sich lebenslang verändern, sich anpassen zu können unterstützen. Das ist kein Prozess, den wir von heute auf morgen machen können, und auch kein Prozess, den die Rentenversicherung alleine machen kann, sondern ein Prozess, der insgesamt in der Gesellschaft und natürlich auch in den Betrieben ablaufen muss.

Deutschlandradio Kultur: Tun Sie als Sozialversicherer genug für die Risikogruppen – vorausschauend? Denn in Ihrem Boot sitzen ja auch Arbeitgeber und Gewerkschafter drin. Tun wir also in der Vorsorge, in der Altersvorsorge für Risikogruppen, die vielleicht früher aus dem Berufsleben ausscheiden, genügend?

Herbert Rische: Natürlich kann man immer noch mehr tun, zum Beispiel unter dem Stichwort "betriebliches Eingliederungsmanagement". Da ist in den Großbetrieben viel an Bewegung. Da gibt es schon in Automobilfabriken ganze Produktionslinien, die auf alternde Belegschaften abgestellt sind. Da ist in den kleineren und mittleren Unternehmen, so genannten KMUs die Bewegung noch nicht so stark, noch nicht flächendeckend. Da haben wir eine Aufgabe als Rentenversicherung, gerade dieses Know-how zur Verfügung zu stellen, Anlaufstellen, wo man Entsprechendes planen kann. Denn die können das aus eigener Kraft nicht. Die haben einfach die Ressourcen nicht.

Insofern hat sich da auch in den Köpfen der Rentenversicherer oder derjenigen, die dafür handeln, einiges bewegt. Vielleicht muss sich noch ein bisschen mehr bewegen, aber ich glaube, gerade die Betriebe unterstützen bei Maßnahmen und die Betriebe darauf hinweisen, dass sie was tun müssen, ist ein ganz wesentliches Feld. Ich kann dazu auch nur ganz deutlich sagen: Ich bin dankbar dafür, dass wir eine Selbstverwaltung haben, wo die Arbeitgeber und Gewerkschaften mit im Boot sitzen und insbesondere natürlich auch die Arbeitgeber dann auch immer wieder nachfragen, was können wir da, was können wir dort tun. Ich hoffe nur, dass das auch weiterhin so bleibt.

Deutschlandradio Kultur: Aber Invalidenrente wäre ja auch so ein Thema.

Herbert Rische: Invalidenrente ist ein spannendes Thema, ein Thema, das mich auch verstärkt umtreibt in den letzten Monaten, man kann fast schon sagen, Jahren. Der erste Punkt ist: Wir haben ja im Rahmen der Rentenreformen die Beitragssatzstabilität trotz demografischer Belastung einigermaßen im Griff, aber natürlich auf Kosten der Niveauabsenkung im Bereich der Gesetzlichen Rentenversicherung, insbesondere der Altersrenten, und haben dann ja gesagt, das soll ergänzt werden durch betriebliche und private Altersvorsorge – Stichwort Riester und so weiter.

Die Niveauabsenkung betrifft aber natürlich auch die Invalidenrenten. Die Frage ist: Haben wir hier die richtigen ergänzenden Produkte? Haben wir im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge, im Bereich der privaten Altersvorsorge die richtigen Produkte auf dem Markt, die nahtlos passen, die man sich leisten kann, die die schwer oder schwerstbetroffenen Personengruppen gerade erfassen? Da ist so langsam eine Bewegung am Entstehen in der zweiten und dritten Säule, also bei der betrieblichen und privaten Vorsorge, dass man auch dies dort als Problem sieht. Denn es ist schon problematisch, sich auf dem freien Markt eine Invalidenversicherung oder eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung zu kaufen für Leute, die in Berufen sind, die besonders schwer sind, oder mit Vorerkrankungen und Ähnlichem.

Ich bitte auch immer darum, wenn man betriebliche Altersvorsorgesysteme neu einführt oder neu justiert in den Betrieben, dass man das Feld der Invalidität bei diesen betrieblichen Altersvorsorgen nicht vergisst. In der Vergangenheit war das selbstverständlich, aber die neuen Formen sind weitgehend auf Altersvorsorge und nicht auf Invaliditätsvorsorge ausgerichtet. Insofern ist das ein weites Feld, über das man reden muss. Das ist die eine Schiene.

Die zweite Schiene ist natürlich auch die Frage: Wie sieht es aus in der Gesetzlichen Rentenversicherung? Haben wir hier auch eine passgenaue Lösung? Wir werden sehen, ob wir hier in den nächsten Jahren Änderungen bekommen. Ich denke, wir müssen dieses Feld schon intensiv beobachten und müssen sehen, was passiert mit diesen Menschen, wenn die Reformen hinsichtlich Absenkung des Niveaus langsam greifen. Die greifen ja im Moment noch gar nicht. Produzieren wir nicht in dieser Schiene womöglich Altersarmut? Das ist so ein Thema, das einen dann schon umtreiben muss.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie sehen da schon dringenden Handlungsbedarf?

Herbert Rische: Es muss nicht gleich der Gesetzgeber aktiv werden. Wir haben das System Lebensstandardsicherung aus drei Säulen. Warum kann man nicht die zweite und dritte Säule stärker in die Pflicht nehmen als bisher und kann sagen: Leute, wenn ihr denn auch schon eure Geschäfte aufgrund dieses Systems machen wollt, dann denkt euch auch die entsprechenden Lösungen aus. Erst dann, wenn dieses scheitern sollte, dann muss der Gesetzgeber überlegen, ob er irgendwas Zusätzliches tut, sei es durch die Gesetzliche Rentenversicherung oder andere Möglichkeiten.

Deutschlandradio Kultur: Die zweite und dritte Säule, die private Altersversorgung und auch die betriebliche, fallen ja eigentlich für all die Leute weg, die wenig Geld verdienen oder auch gebrochene Lebensbiografien haben oder lange Zeit arbeitslos sind. Also, was muss man tun für die Geringverdiener? Brauchen wir eine Mindestrente?

Herbert Rische: Mindestrente ist ein Thema, das aus meiner Sicht nicht zielgerichtet wirkt. Die Mindestrente ist dann so ein Schuss mit der Schrotflinte. Da werden dann alle bedient damit, diejenigen, die dieser Maßnahme bedürfen, oder diejenigen, die es nicht bedürfen. Insofern muss man zunächst darauf hinweisen, wenn Sie das Beispiel Riesterrente nehmen, dass hier ja auch Geringverdiener mit wenig Geld sämtliche Zulagen in Anspruch nehmen können. Und es gibt kaum ein Produkt, das so hoch subventioniert ist, wie der Bereich Riesterrente, auch und gerade für Geringverdiener. Insofern sollte man nicht von vornherein sagen, Geringverdiener können nicht und Geringverdiener sind sozusagen in der Reform gekniffen.

Hinsichtlich des Niedriglohnsektors, aus dem ja letzten Endes dann auch die Folgen für Mindestrente oder ähnliche Instrumente kämen, muss ich immer wieder deutlich sagen: Verdammt noch mal, das ist zunächst mal ein Thema der Lohnfindung. Das ist nicht ein Thema, das die Rentenversicherung im Nachhinein immer kontrollieren kann. Wenn wir Mindestlöhne haben oder wenn wir Löhne im Niedriglohnsektor für eine Vollzeittätigkeit haben, die sozusagen noch einen Zuschuss des Staates über Grundsicherung oder Ähnliches notwendig macht während der aktiven Zeit, dann darf man sich ja nicht wundern, dass hier keine Renten rauskommen, die ausreichen, um leben zu können.

Der zweite Punkt, den man auch immer berücksichtigen muss: Es ist ja nicht jeder, der im Niedriglohnbereich beschäftigt ist, 40 Jahre in diesem Niedriglohnbereich beschäftigt. Und er dritte Punkt: Es gibt ja auch eine ganze Menge, die Niedriglöhne beziehen, weil sie eben nicht mehr arbeiten wollen, weil sie sich nur was hinzuverdienen wollen, sei es zu ihrem normalen Entgelt oder sei es zu irgendwelchen anderen Situationen. Insofern ist das sehr differenziert zu beobachten.

Ich meine, wir werden über den Niedriglohnsektor sicherlich auch in der nächsten Legislaturperiode sprechen müssen. Ich hoffe, es fällt uns dann auch Entsprechendes ein, wo wir entsprechende Leistungen in der Rentenversicherung womöglich ergänzend zur Verfügung stellen können – aber bitte dann zielgerichtet für diejenigen, die es wirklich bedürfen, und nicht für alle.

Deutschlandradio Kultur: Vorbeugen ist besser als Bohren. Und Sie sind möglicherweise jemand, der dann sich auch klar für deutlich bessere Mindestlöhne einsetzt, damit die Rentenversicherung zukünftig auch ordentlich bezahlen kann.

Herbert Rische: Wissen Sie, wenn Sie jetzt aus meinem Interview oder unserem Interview hier die Meldung ableiten, "Rische für Mindestlöhne", dann kann ich nur sagen, das wäre eine Fehlmeldung oder eine Falschmeldung. Ich sage nur eines: Wenn man über das Thema Mindestlohn spricht, dann muss man natürlich auch darüber reden: Welchen Lohn brauche ich, um ausreichend fürs Alter vorzusorgen? Insofern ist es eine Diskussion, die zusammen geführt werden muss, aber die man nicht als Aussage festmachen kann, wir brauchen den oder jenen Mindestlohn.

Deutschlandradio Kultur: Aber es ist doch schon eine wichtige Frage, ob jemand sagt, lohnt es sich für mich überhaupt für das Alter vorzusorgen, ich bekomme eh Sozialhilfe, wenn ich es nicht mache. Da würde man doch schon sagen: Wie kriegt der Rentner seine Sparleistung gesichert, selbst wenn er ein rechnerischer Sozialhilfefall ist?

Herbert Rische: Wenn wir heute sehen, dass viele auch mit kleinen Renten – deswegen, weil sie selber eben noch gespart haben – nicht in die Grundsicherung oder in die ehemalige Sozialhilfe fallen, dann ist doch die Grundeinstellung unserer Bürger die, auch für die Zukunft, auch für das Alter möglichst selbst vorzusorgen. Zu unterstellen, dass jeder drauf spekuliert, er muss sozusagen den Grundsicherungsanteil immer bekommen, ich glaube, das entspricht nicht der Lebenswirklichkeit.

Das andere, das man sehen muss: Schafft es die Gesetzliche Rentenversicherung mit ihrem System, mit den auch zukünftig noch wirkenden Reformen, über Sozialhilfesatz oder über Grundsicherungssatz hinauszukommen? Schafft die Gesetzliche Rentenversicherung für einen langjährig Versicherten – 35, 40, 45 Jahre, solche Erwerbsbiografien haben wir ja überwiegend -, dass er hier mit seinen Beiträgen über der Grundsicherung liegt? Dieses erreichen wir nach wie vor und ich denke, das müssen wir auch nach wie vor erreichen, um die Legitimation der Rentenversicherung aufrecht zu erhalten.

Deutschlandradio Kultur: Was wollen Sie da tun? Wollen Sie die Arbeitslosen beispielsweise besser bewerten?

Herbert Rische: Es gibt verschiedene Bereiche, an die man denken muss. Zum einen ist es natürlich der ALG-II-Bezieher, der mit seinen 2,17 Euro für ein Jahr ALG-II-Bezug dann als zusätzliche Rente natürlich keine ausreichenden Ansprüche aufbauen muss. Hier muss man sich sicherlich drüber Gedanken machen, ob man auch hier – so wie beim Arbeitslosengeld I – einen Bezugspunkt hinsichtlich des vorherigen Einkommens nimmt, falls es möglich ist, zum Beispiel etwas weniger als 80, aber doch ein bisschen mehr als heute. Das ist sicherlich ein Punkt.

Der zweite Punkt, der mich schon länger beschäftigt, ist das Thema: Was haben wir in Zukunft für Versichertenbiografien? Haben wir noch die durchgängigen Versichertenbiografien der abhängig Beschäftigten, wie in der Vergangenheit oder wie auch heute letzten Endes noch? Oder haben wir doch viel mehr so genannte Patchwork-Biografien, wo wir abhängige Beschäftigung, selbständige Beschäftigung, was sich dahinter auch noch alles vorstellen kann an irgendwelchen Möglichkeiten, haben, die sich dann ergänzen. Da muss man schon darüber nachdenken, ob man die Selbständigen, die heute nicht abgesichert sind, nicht auch in die Gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen muss – nicht diejenigen, die heute in berufsständischen Versorgungswerken abgesichert sind, das ist nicht unsere Sorge. Sondern die Sorge muss dahin gehen, dass die selbständige Tätigkeit, die eigentlich als Ersatz für abhängige Tätigkeit heute in vielen Bereichen entsteht, auch abgesichert werden muss in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Wenn Sie Europa ansehen, dann sind wir eines der letzten Länder, wenn nicht das letzte Land, die die Selbständigen noch nicht pflichtversichert haben.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, wir bräuchten perspektivisch möglicherweise eine Erwerbstätigenversicherung? Das fordert beispielsweise auch die Partei Die Linke, die dann sagt: Na ja, nehmt die Selbständigen, die Beamten und die Politiker alle mit rein. Dann ist das Volumen größer und man kann es gerechter verteilen.

Herbert Rische: Es geht hier nicht darum, dass ein größeres Volumen an Einnahmen erzielt wird, das dann nach politischem Willen oder Wollen irgendwie verteilt wird, sondern es geht darum: Wie ermöglichen wir einzelnen Personengruppen, die heute keine Absicherung in der Gesetzlichen Rentenversicherung haben, in der Zukunft diese Absicherung. Insofern spreche ich bewusst bei der Frage, wie erweitern wir den Personenkreis, immer nur von denjenigen, die als Selbständige heute nicht abgesichert sind.

Wenn wir die Beamten einbeziehen in die Gesetzliche Rentenversicherung, dann wäre das vielleicht systematisch gerecht, nur dies würde dann im Zweifel nicht dazu führen, geschweige denn, dass wir irgendwelche sozialen Verteilungsprobleme lösen, aber auch nicht dazu führen, dass wir mehr Geld in dem System hätten, sondern wesentlich mehr Lasten in dem System hätten. Insofern bin ich eigentlich gegen diese Richtung und gegen diese Regelung. Aber das ist auch nicht das Thema, glaube ich, im Moment. Im Moment geht es um das Thema, Selbständige, die nicht versichert sind, einzubeziehen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Rische, wir danken für das Gespräch.

Herbert Rische: Bitteschön.