Revolution in 140 Zeichen

Von Philipp Eins · 30.10.2011
Über das Internet kann man sich nicht nur informieren, sondern via Twitter, Facebook und Youtube selbst zum Reporter werden. Wie sich dadurch traditionelle Medien verändern, diskutierten über 200 Journalisten, Blogger und Wissenschaftler auf dem Berliner Symposium "Learning from Fukushima".
Nachdem Mitte der 80er-Jahre im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl ein Reaktor explodierte, verfolgten Millionen Menschen die nukleare Katastrophe vor dem Fernseher. Als es im März diesen Jahres im japanischen Fukushima zur Kernschmelze kam, war wieder die ganze Welt dabei - diesmal aber nicht nur vor den TV-Geräten, sondern auch über das Internet. Das hat Folgen, meint Christoph Neuberger, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität München:

"Durch die digitalen Medien ist die Vielfalt der Informationen deutlich höher, als es damals bei Tschernobyl der Fall war. Da war ja auch die politische Situation eine ganz andere. Es gab nur ganz wenige Informationen, die dort weitergegeben wurden aus der Sowjetunion. In Japan gab es ganz viele Bürgerreporter, viele Betroffene haben angefangen, darüber zu schreiben, zu informieren. Und es war im Gegenteil jetzt eher das Problem, bei der Fülle der Information, dort das Relevante herauszufinden, um sich ein Gesamtbild machen zu können."

Neuberger ist überzeugt: Der klassische Journalismus, wie wir ihn kennen, hat ausgedient. Über das Internet formiert sich eine neue Zivilgesellschaft, die Nachrichten nicht nur konsumiert, sondern auch kommentiert - und somit auf die Berichterstattung einen unmittelbaren Einfluss ausübt. Die Journalisten stellt das vor völlig neue Aufgaben:

"Sie müssen jetzt viel stärker moderieren, sie müssen interagieren mit den vielen, auch nicht nur mit wenigen Politikern, ein paar Experten, sondern auch mit den Bürgern. Und die andere Rolle wird darin bestehen, uns zu helfen, mit der Informationsflut, mit dem Informationsmüll, den man auch häufig im Internet findet, da einfach Herr zu werden und uns zu sagen, wo denn die Perlen im Netz zu finden sind und da die wichtigen Informationen herauszugreifen."

Die US-amerikanische Journalistin Lila King hat auf den Wandel in der Medienlandschaft frühzeitig reagiert und für den Nachrichtenkanal CNN das Portal iReport aufgebaut. 950.000 Nutzer weltweit haben sich in den vergangenen drei Jahren auf der Plattform registriert, die Bürgerreporter und professionelle Journalisten zusammenbringen soll.

Von Atlanta im US-Bundesstaat Georgia aus sichten acht Redakteure täglich Bilder, Videos und Texte von Amateuren. 30 Beiträge kommen in die engere Auswahl - und werden in Telefongesprächen mit den Bürgerreportern auf ihre Echtheit hin geprüft. Ist das Material gut genug, wird es auf CNN gesendet. Damit ihnen nichts entgeht, haben King und ihre Kollegen iReport mit anderen sozialen Netzwerken verknüpft:

"iReport ist mit Plattformen wie Twitter und Facebook verlinkt, außerdem sichten wir ständig Material auf Youtube. Doch iReport ist weitaus mehr als ein Portal, mit dem Bürgerreporter ihre Geschichten an CNN senden können. Es ist eine Gemeinschaft von Menschen, die sich darüber austauschen, über welche Themen CNN berichten sollte. Es ist ein System, das uns als Produzenten mit dem Publikum verbindet."

Dass man mit einem Handy nicht nur Bilder machen und Videos drehen, sondern auch brisante Daten sammeln kann, zeigen die Netzaktivisten von Safecast.org. Mittels eines mobilen Geigerzählers, der sich mit dem iPhone verbinden lässt, können Freiwillige in Japan die radioaktive Belastung ihrer Umgebung messen und die Ergebnisse sofort online notieren. Auf einer digitalen Straßenkarte werden Regionen mit erhöhten Werten farblich gekennzeichnet - immer auf dem neuesten Stand.

Am Ende des Symposiums stellt sich die Frage: Braucht man überhaupt noch professionelle Medien und ausgebildete Journalisten, wenn jeder ein Reporter sein kann? Lila King glaubt, dass der Berufsstand so schnell nicht aussterben wird:

"Es wird auch in Zukunft wichtig sein, die ganzen Fotos, Videos und Texte, die Bürgerreporter zu einem Ereignis liefern, kritisch zu prüfen. Diese Rolle werden professionelle Journalisten übernehmen. Sie werden womöglich seltener auf die Straße gehen und Interviews führen. Sie werden eher so etwas sein wie Kuratoren, die aus tausenden von Bildern die besten auswählen - und dem Publikum eine möglichst realitätsgetreue Darstellung garantieren."

Links:

Weitere Informationen zu den Hintergründen des Symposiums gibt es auf der Internetseite der Berliner Gazette