Revolution

Ein Wort steigt vom Himmel herab

Die kubanischen Revolutionäre Ernsto "Che" Guevara (r.) und Camilo Cienfuegos im August 1959 in der kubanischen Hauptstadt Havanna.
Beliebte Fotomotive: Die kubanischen Revolutionäre Ernsto "Che" Guevara (r.) und Camilo Cienfuegos. © picture-alliance / dpa / epa AFP
Von Arno Orzessek · 12.11.2014
Revolution: In der europäischen Neuzeit gibt es keinen Begriff, der die Menschen derart elektrisiert wie dieser. Arno Orzessek erläutert, wie das Wort in unsere Sprache und Vorstellungswelt eingedrungen ist.
Keine Frage! In der Alltagssprache ist "Revolution" ein aufgeweichter Begriff.
Die Creme-Werbung kennt die "Revolution in der Hautpflege", Wikinews die "Revolution auf dem Kaugummimarkt", Zeitungen berichten über die "gastrosexuelle Revolution" und die "Revolution in der Begräbniskultur".
Von all dem konnte der Hobby-Astronom Nikolaus Kopernikus nichts ahnen, als er sein 1543 veröffentlichtes Hauptwerk "De revolutionibus orbium coelestium" nannte - "Über die Umschwünge der himmlischen Kreise".
Damals war 'Revolution' in erster Linie ein astronomisch-astrologischer Fachterminus. Er bezeichnete den geordneten Umlauf der Gestirne - eine Wortbedeutung, die vom lateinischen "revolutio" für "Zurückwälzen", "Umdrehung", aus der Spät-Antike stammte.
Allmählich jedoch begannen sich im Begriff "Revolution" himmlische und irdische Dinge zu vermischen.
Johannes Kepler, der Mathematiker und Astronom, der Kopernikus' heliozentrisches Weltbild weiterentwickelte, sah zwischen Gestirnbahnen und menschlichem Geschick eine stabile Wechselwirkung. Mehrfach konstatierte er für den kaiserlichen Heerführer Albrecht von Wallenstein eine "stattliche Revolution" - heute würde man sagen: ein gutes Horoskop.
Als der Begriff "Revolution" immer tiefer in den politischen Diskurs eindrang, blieben zunächst astronomische Bedeutungs-Aspekte erhalten.
Thomas Hobbes, der englische Philosoph, verstand "revolution" [engl.] in seiner Schrift "Behemoth oder das Lange Parlament" weder als wünschenswerten Umsturz noch als Aufruhr.
"Behemoth" entstand nämlich im Blick auf den englischen Bürgerkrieg 1642-49, in dessen Folge die Monarchie kurz abgeschafft, aber schon bald restauriert wurde. Das bedeutete für den Philosophen: Die Dinge waren letztlich planetengleich in geordneter Bahn verlaufen - also revolutionär.
Mit dem Sturm auf die Bastille entfaltete das Wort seine Wirkkraft
Erst die sogenannte "Glorious Revolution" [engl.], die endgültige Durchsetzung des parlamentarischen Regierungssystems in England ab 1688, ging - der Name sagt es - als positive Umgestaltung in die Annalen ein.
Noch war es ein Wort unter vielen, noch mussten die Europäer die Lichter der Aufklärung entzünden. Doch mit dem Sturm auf die Bastille entfaltete das Wort seine ungeahnte Wirkkraft. Die Französische Revolution war die erste, die von Akteuren und Beobachtern ganz bewusst als Revolution gestaltet, erlebt und reflektiert wurde.
Seither ist die 'Revolution' - das hat der Historiker Reinhart Koselleck betont - zum "welthistorischen Handlungsträger geronnen". Ein "Teufel", ein "Würgeengel" - oder ein "ideologischer Kompensationsbegriff, ... in den alle Hoffnungen eingehen konnten". Ein Sehnsuchtsort.
Während der Frühromantiker Friedrich Schlegel die Französische Revolution als eine der "großen Tendenzen des Zeitalters" feierte, konterte Goethe:
"Ich hasse jeden gewaltsamen Umsturz, weil dabei ebenso viel Gutes vernichtet als gewonnen wird."
So wurde Revolution zum Begriff, in dem das antagonistische Ringen der Moderne scharf zum Ausdruck kommt: Fortschritt oder Gewalt; Verheißung oder Bedrohung. Und dazwischen? Hanna Arendt, die Philosophin, die meinte, das Ziel jeder Revolution "könne nichts anderes sein als eben Freiheit".
Wenn das stimmt, hat die 'Revolution' ihre alte Verbindung zur Astronomie verloren. Denn die Umlaufbahnen der Gestirne haben mit einem gewiss nichts tun - mit Freiheit.
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