Resümee "Tanztreffen der Jugend"

Jeder ist Gewinner

Ein Jugendlicher im Sprung über der Berliner Mauer. Jugendliche treten am 09.11.2014 in Berlin an der East Side Gallery in einer Vorstellung des Cabuwazi Zirkus und der Hochseilgruppe Geschwister Weisheit mit dem Titel "Zirkus berwindet Grenzen" auf.
Die Leiterin des Tanztreffens der Jugend meint, mit den Jugendlichen solle auf Augenhöhe gearbeitet werden. © picture alliance / dpa / Maja Hitij
Von Elisabeth Nehring · 01.10.2015
Sieben Produktionen jugendlicher Ensembles aus ganz Deutschland wurden zum "Tanztreffen der Jugend" in Berlin eingeladen. Die Anforderungen an die Jugendlichen sind hoch, aber um einen Leistungsgedanken im Sinne von höher, schneller, weiter geht es dabei nicht.
Sehnsucht hat viele Gesichter. Sehnsucht kann heißen: dass man sich umkreist, aber nicht zueinander kommt. Dass sich eine Umarmung niemals vollendet. Aber auch, dass das Objekt der Begierde berührt werden kann, aber niemals reagiert.
"Tantalos", die Eröffnungsproduktion des Tanztreffens der Jugend beschäftigt sich mit dem Mythos jenes gleichnamigen Königs, der alles Begehrenswerte stets um sich hatte, es aber niemals erreichen konnte. Die Jugendlichen finden in dem 50-minütigen Tanzstück ihre eigenen Bilder und Bewegungen für dieses Gefühl von Unerreichbarkeit. Dabei sind sie so konzentriert und professionell, dass man vergessen könnte, dass einige von ihnen vor dem Beginn der Probenphase noch überhaupt keine Tanz- und Bühnenerfahrung hatten. Und so geht es den jungen Tänzern offensichtlich auch.
Hanna Mathaes: "Sobald man auf der Bühne ist und es losgeht, hat man diesen Rush, dass alles weg ist; und dann fängt man an, diese Geschichte zu erzählen, und es ist natürlich besonders gut, wenn man direkt drin ist. Und dann läuft es. Das fühlt sich an wie fünf Sekunden auf der Bühne. Das geht so schnell vorbei, und man denkt, schon wieder vorbei, krass. Ja, man geht jedes Mal wieder auf eine neue Reise."
Hanna Mathaes und ihre elf jungen Kollegen zwischen 14 und 24 vom Jugendclub tanzsturm am Staatstheater Mainz haben für "Tantalos" mit dem jungen Choreografen Felix Berner zusammen gearbeitet. Er ist schon das zweite Mal mit einer Produktion beim Tanztreffen der Jugend. Was ist das Geheimnis seiner erfolgreichen Arbeit mit Jugendlichen?
"Ich korrigiere sehr wenig. Ich versuche immer, eher zu ermutigen, größer zu machen oder langsamer oder kleiner oder wilder. Also es geht ganz viel über eine Bestärkung in dem, was die tun, dass man sich nicht Gedanken um das Publikum macht oder wie man aussieht. Und da haben wir auch streithafte Diskussionen drüber; weil Teilnehmer gesagt haben, das fühlt sich komisch an, sich dann im Spiegel gesehen haben und gesagt haben, das sieht doof aus; und ich Überzeugungsarbeit leisten musste und sagen: nein, das ist ganz besonders, was du machst."
Workshops und Gesprächsrunden
Das Tanztreffen der Jugend verwandelt das Haus der Berliner Festspiele, das lange Jahre bei Veranstaltungen eher einem Seniorenclub glich, in einen Ort voll jugendlicher Geschäftigkeit und Energie. Obwohl die Veranstaltung unter dem Motto: Bundeswettbewerb läuft, sind es weniger die sportlichen Kriterien, die Leiterin Christina Schulz interessieren.
"Es geht gar nicht immer um höher, schneller weiter, sondern: Was ist gerade interessant an der Arbeit mit Jugendlichen? Welche Formen werden präsentiert? Welche ästhetische Form findet man auf der Bühne mit den Jugendlichen dafür? Und Partizipation ist dabei ein riesen Stichwort. Es geht ja nicht darum, dass Regisseure oder Choreographen ihre Ideen verwirklichen, sondern dass dort auf Augenhöhe mit den Jugendlichen gearbeitet wurde."
Die Auswahl ist getroffen, der Wettbewerb ist vorbei – so bringt es Christina Schulz auf den Punkt. Während des einwöchigen Treffens der von einer Jury ausgewählten Stücke und einiger Vertreter von Tanzproduktionen, die in die engere Auswahl gekommen sind, werden keine weiteren Sieger gekürt – jeder, der hier ist, ist Gewinner. Und vor allem da, um weiteren Input zu bekommen. Denn die abendlichen Vorstellungen der Tanzproduktionen sind nur ein Programmpunkt unter vielen: Den ganzen Tag über laufen Workshops in verschiedenen Tanztechniken, aber auch Gesprächsrunden, in denen das Gesehene diskutiert wird. Dort, wo die Jugendlichen sich untereinander austauschen, sind Erwachsene nicht zugelassen. Diskussionsleiterin Josephine Pöhlmann erzählt hinterher, worum es geht:
"Es geht darum, eine andere Reflexionsebene mit rein zu bringen über die Stücke. Und wie kann man über Tanz reden, ist eine ganz wichtige Frage. Wie schaffen wir es, das rüber zu bringen, was wir möchten, was wird verstanden? Wie gehen wir mit Kritik um? Wie können wir Kritik annehmen, aber auch eine konstruktive Kritik leisten, die die Stücke und vor allem die Jugendlichen weiterbringt? Und unter den Jugendlichen geht es vor allem darum, die Fragen zu klären, die sie nach so einem Abend haben. Und zu merken, dass über Tanz zu reden gar nicht so einfach ist."
Den Tanz zur Jugend bringen und umgekehrt
Die künstlerischen und intellektuellen Herausforderungen an die Jugendlichen sind hoch – nicht im Sinne eines Leistungsgedankens, der von außen auf sie projiziert wird, sondern in dem sie bestärkt werden, sich ganz auf ihre eigene kreativen und geistigen Interessen zu konzentrieren. Im Gegenzug erleben viele professionelle Choreografen die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen nicht mehr nur als pädagogische Tätigkeit.
"Ich sage immer: Wir machen 100 Prozent künstlerische Arbeit. Und die ist ein sozialer Prozess. Aber die habe ich auch selbst als Tänzer in Companien empfunden. Es gibt immer einen sozialen Aspekt und ich glaube, der Unterschied ist: Wir müssen mehr Material oder Wege bereiten, um zu einem Ergebnis zu kommen, weil die nicht die Werkzeuge haben, dass einfach sofort herzustellen wie ein professioneller Tänzer. Da sehe ich den Unterschied in der Arbeit, aber nicht indem wir sagen: Wir arbeiten pädagogisch."
Bundesweit haben sich in den letzten Jahren unzählige Initiativen erfolgreich darum bemüht, den Tanz zur Jugend und die Jugend zum Tanz zu bringen. Das Tanztreffen markiert einen weiteren Schritt in dieser Entwicklung und zeigt, dass choreografische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auch Kunst sein kann.
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