Ressourcenverbrauch

Stinkwut im Bauch

Einmal volltanken: Ein Hybrid-Auto am Stecker
Hybridwagen stoßen zwar weniger CO2 aus, verbrauchen aber mehr Ressourcen, kritisiert Schmidt-Bleek. © picture-alliance/ dpa
Von Philip Banse · 11.09.2014
Die Reduktion von Treibhausgasen kann das Klima schützen, das bestreitet der Chemiker Friedrich Schmidt-Bleek nicht. Viel wichtiger ist aber nicht, was hinten heraus kommt, sondern was vorn hinein gesteckt wird, also wie viele Ressourcen verbraucht werden. Mit dieser Ansicht steht er noch relativ allein da - doch er kämpft unermüdlich weiter.
"Wussten sie, dass Sand heute schon zur Mangelware geworden ist?"
Die Menschen verbrauchen ihre Erde - das ist das Lebensthema von Friedrich Schmidt-Bleek, Chemiker und Kernphysiker. Der 82-Jährige sitzt auf der kleinen Terrasse seiner Zwei-Zimmer-Wohnung am Berliner Grunewald. Er beklagt, dass niemand auf ihn hört. Über 20 Bücher hat er geschrieben, war im Umweltbundesamt beschäftig, in der OECD, dem Lobbyverein der Industrienationen und könnte es sich gut gehen lassen in seinem Haus in der Provence. Aber er will wirken. Als Störenfried.
"Ja, klar. Ich habe eine Stinkwut im Bauch. Weil ich weiß, es kann so nicht weiter gehen mit wachsender Geschwindigkeit."
Denn die Welt achte nicht darauf, welche natürlichen Ressourcen wir in unsere Wirtschaft rein stecken. Alle schauten nur, was hinten raus kommt - Abgase, Gifte, CO2.
Eine alte Idee
"Dass der Klimawandel ein wichtiges Problem ist, da brauchen wir nicht drüber zu reden. Nur wenn irgendeiner mir sagt, wir wissen jetzt alles über CO2 und die Umwelt, dann sage ich: Du spinnst. "
Denn was genau CO2 - oder irgendein anderer Stoff - in der Umwelt bewirkt, das werde nie jemand berechnen oder vorhersagen können. Nicht Output entscheide daher, sondern Input: Um unseren Planeten zu erhalten, dürften wir nicht mehr verbrauchen, als nachwächst. Diese Idee ist alt.
Vor über 40 Jahren erschien eine Studie des Club of Rome: "Die Grenzen des Wachstums". Der Bericht sagte vorher, dass die Weltwirtschaft bis 2100 zusammenbricht, weil die Politik nur an Symptomen herumdoktere und das Grundproblem nicht löse, den Ressourcenverbrauch, sagt Studien-Co-Autor Dennis Meadows noch heute:
"Es ist, als ob Dein Freund Krebs hat und auch Kopfschmerzen. Die Kopfschmerzen sind ein Symptom, nicht das wirkliche Problem. Du kannst Schmerztabletten nehmen, aber wenn die Kopfschmerzen weggehen, erwartest Du nicht, dass das Problem nicht gelöst ist. Klimawandel und Energiemangel sind Symptome. Selbst, wenn wir sie in den Griff bekommen, lösen wir nicht das Grundproblem: materielles Wachstum, Bevölkerungswachstum, anhaltendes Wachstum der materiellen Lebensstandards in einer Welt, die endliche Grenzen hat."
Diese Idee hat Schmidt-Bleek inspiriert. Er hat das deutsche Chemikaliengesetz in die Welt gesetzt, das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie mitgegründet und geleitet, und das Modell vom ökologischen Rucksack entwickelt, ein Maß für den Ressourcenverbrauch unserer Wirtschaft. Und trotzdem sprechen alle nur vom Klimawandel und der Energiewende. Daher seine Stickwut, deswegen noch mal ein Buch. "Grüne Lügen" heißt es.
In Dubai werden die Häuser mit Sand aus Australien gebaut
"Lüge ist für mich - ich würde es nicht ganz so nennen - ist für mich Missinformation und eine Falschdarstellung der Wirklichkeit, wenn eine Bundeskanzlerin als promovierte Physikerin sagt: Wir machen Deutschland fit für die Zukunft. Sie weiß, dass es ohne eine Dematerialisierung der Gesellschaft keine ökologische Stabilität gibt. Das weiß sie! Wussten sie, dass in Dubai die Häuser mit Sand aus Australien gebaut werden?"
Um den gesamten Ressourcenverbrauch eines Produkts messen zu können, hat sich Friedrich Schmidt-Bleek den ökologischen Rücksack ausgedacht. Diese Kennzahl beschreibt, wie viele Tonnen natürlicher Ressourcen bewegt und verbraucht werden müssen, um eine Tonne des Endprodukts zu gewinnen, zu gebrauchen und zu entsorgen. Für ein zwei Tonnen schweres Mittelklasse-Auto würden etwa 40 Tonnen Ressourcen wie Wasser, Erze, Öl verbraucht, schreibt Schmidt-Bleck. Er macht diesen ökologischen Rucksack zum Maß aller Dinge - und sieht überall grüne Lügen. Beispiel: das Hybrid-Auto.
Ein Hybrid-Auto fährt halb mit Benzin und halb mit Strom, produziert also relativ wenig CO2. Dafür müsse aber in ein normales Auto zusätzlich ein Elektromotor eingebaut werden.
"Das verdoppelt de facto diesen ökologischen Rucksack. Wir kommen also auf 70, 80 Tonnen insgesamt und sparen dabei 20 Tonnen Benzin. Jetzt kann man sagen: Viel wichtiger ist doch aber das CO2. Wer weiß das eigentlich? Wissen wir doch gar nicht."
Wie umweltschädlich ist ein Stoff? Das kann auch Schmidt-Bleek nicht sagen - und versucht es gar nicht erst. Denn in seinem ökologischen Rucksack ist jede verbrauchte Ressource gleich schlecht: Wasser, Holz, Sand.
Ein Mensch darf im Jahr nur zehn Tonnen natürlicher Ressourcen verbrauchen
"Ja, das ist wissenschaftlich und technisch natürlich im Grunde Unsinn, das ist überhaupt keine Frage."
Denn der Verbrauch einer Tonne Wasser kann ökologisch schädlicher sein, als der Verbrauch einer Tonne Sand. Kann sein, sagt Schmidt-Bleek:
"Das Blöde ist nur, bei nicht-linearen Systemen - und hier geht es um nicht-lineare, komplexe Systeme, können sie eigentlich nichts rechnen. Sie können nur Szenarien machen."
Schmidt-Bleeks Szenario heißt Faktor10. Darin darf ein Mensch pro Jahr nur zehn Tonnen natürlicher Ressourcen verbrauchen.
"Was bedeutet das wirtschaftlich? Was bedeutet das für die Finanzwirtschaft? Was bedeutet das für Arbeitsplätze in diesem Land? Genau diese Überlegungen bleiben bis heute immer stecken und werden mit den riesigen Geldern, die ja in diesem Land für Forschung zur Verfügung stehen, nicht ernsthaft und nicht ordentlich durchgeführt. Und das ärgert mich."
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