Res publica: Ignoranz trifft Inkompetenz

Von Rainer Burchardt · 21.07.2006
Das so genannte öffentliche Leben, die res publica, ist hierzulande ein intellektuelles Trauerspiel. Und jetzt auch noch das Sommertheater um die Gesundheitsreform. Politik und Presse, augenblicklich eine grandiose Nullnummer. Selbst das stimmungsgeladene Fahnenspektakel der gerade zu Ende gegangenen WM fiel der bisweilen eher peinlich angemaßten Deutungshoheit von Journalisten und Politikern anheim.
Es ist noch gar nicht so lange her: Der Bundestag, unsere Volksvertretung sollte über die Europäische Verfassung abstimmen. Die Stimmung war positiv, wer ist hierzulande schon gegen Europa. Und so schritten unsere gewählten Statthalter im Hohen Haus zu Berlin wacker zur Tat. Allerdings stellte sich Ihnen noch ein Fernsehteam des Politmagazins Panorama in den Weg. Die Reporterin wollte natürlich mit Hintersinn wissen, ob die Damen und Herren Abgeordneten denn nun wirklich die Materie kannten, über die sie abstimmen sollten.

Immerhin haben Holländer und Franzosen per Plebiszit die Verfassung abgelehnt. Aus guten Gründen übrigens, die ganz viel mit nationaler Souveränität, Fremdbestimmung und kritischer Haltung zur Europäischen Union zu tun haben. Diese Menschen wussten eben, was Sache ist.

Genau das kann man von vielen unserer Stellvertreter leider nicht behaupten. Es kam nicht eine richtige Antwort zu so leichten Fragen, wie Europaflagge, Haushaltsrecht, Finanzen oder Abstimmungsmodalitäten. Wahrlich ein Trauerspiel! Da lässt sich quer durch alle Parteien ein ganzes Parlament fröhlich und in voller Unwissenheit ureigenste Rechte entreißen und merkt es noch nicht einmal, ja - macht sich der faktischen Beihilfe schuldig.

Man mag gar nicht darüber nachdenken wie es über die Kompetenz unserer Parlamentarier in Sachen Reformpolitik, Bundeswehreinsätze im Ausland oder Staatsentschuldung bestellt ist. Angela Merkel, die dieser Tage ihre weltpolitische Kompetenz mit einer vorbehaltlosen Demutsgeste gegenüber den amerikanischen Kriegspräsidenten Bush peinlich unter Beweis gestellt hat, war sogar mit einem formidablen Etikettenschwindel in den Wahlkampf gezogen.

Kompetenzteam nannte sie ihre Mannschaft. Kompetent war da wohl nur ein Professor aus Heidelberg namens Paul Kirchhof, der gerade noch rechtzeitig wieder aus dem politischen Verkehr gezogen wurde, nachdem sein störendes Fachwissen allzu deutlich zu Tage getreten war. Immerhin hatte er sich nicht an der üblichen Wahlkampf-Camouflage beteiligt, sondern offen und ehrlich seine Meinung zu nötigen Steuererhöhungen und entsprechenden Reformmodellen zum Besten gegeben. Der Mann hatte leider zwei Fehler: Er war zu ehrlich und er verstand zu viel von der Materie. Das kommt in der Tagespolitik ganz schlecht.

Wenn zum Beispiel die Bundeswehr entgegen ihrem Auftrag in Krisengebieten munter mitmischt, dann wird unsere Freiheit mal eben am Hindukusch oder die andere im Kongo verteidigt. Und wenn mit einem Bundeshaushalt erneut gegen die Verfassung verstoßen wird, dann befinden wir uns angeblich mal wieder im gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewicht, obwohl alle politische Welt behauptet, es gehe jetzt endlich wirtschaftlich bergauf.

Ganz davon abgesehen wird hierzulande schon seit Jahren das urdemokratische Prinzip der Gewaltenteilung rücksichtslos mit Füßen getreten. Das Parlament, das doch eigentlich die Regierung kontrollieren soll, ist gerade auch noch in Zeiten einer großen Koalition willfähriger Machtgehilfe der Regenten. Und wer nicht spurt, dem wird unverhohlen mit dem EDEKA-Effekt gedroht. Ende der Karriere heißt dieser kurze Prozess in Langfassung. Und was soll so ein armer Teufel von MdB denn auch machen, wenn er nicht viel anderes gelernt hat, als zu imponieren, intrigieren und reüssieren. Die Zahl der so genannten Berufspolitiker nimmt beängstigend zu.

Die meisten haben sich wohlig warm eingerichtet in ihrem Status und Standesclan. Und wer dies besonders gut gesichert haben will, der hält sich seine Medien. Und da wiederum wimmelt es leider auch von immer mehr willfährigen Schranzen der Machtpolitik. Eine unheilige Symbiose aus Inkompetenz und Ignoranz hat sich da vor allem in der Hauptstadt gebildet. Gegen die selbst verfügte intellektuelle Geiselnahme vieler Hauptstadtjournalisten nimmt sich die berühmt berüchtigte Adenauersche Teestunde damals mit braven Schreiberlingen der Bonner Käseglocke geradezu harmlos aus.

Die Recherche in Berlin, so hat ein Kollege mal formuliert, bestehe im Füttern von Hinterbänklern an den Mittagstischen der Nobelrestaurants am Gendarmenmarkt. Da fällt dann schon mal ein Krümelchen ab, das am nächsten Tag zur exklusiven Schlagzeile hochgejazzt werden kann. Bedeutung und Wahrheit, von Wertigkeit ganz schweigen, uninteressant. Hauptsache exklusiv.

Das so genannte öffentliche Leben, die res publica, ein intellektuelles Trauerspiel. Und jetzt auch noch das Sommertheater um die Gesundheitsreform. Politik und Presse, augenblicklich eine grandiose Nullnummer von Inkompetenz und Ignoranz.

Selbst das stimmungsgeladene Fahnenspektakel der gerade zu Ende gegangenen Weltmeisterschaft fiel der bisweilen eher peinlich angemaßten Deutungshoheit von Journalisten und Politikern anheim. Da ist es fast schon hintersinnig intelligent und irgendwie auch witzig, wenn Klinsmanns Rücktritt öffentlich als Fahnenflucht abgeurteilt wird. Das wenigstens lässt doch irgendwie hoffen …


Prof. Rainer Burchardt lehrt an der Hochschule Kiel im Bereich Medien- und Kommunikationsstrukturen. Er hat zudem seit längerer Zeit eine Honorarprofessur an der Hochschule Bremen inne. Rainer Burchardt war zuvor seit Juli 1994 Deutschlandfunk-Chefredakteur. Vor seiner fast zwölfjährigen Tätigkeit beim Deutschlandfunk war Burchardt langjähriger ARD-Korrespondent in Brüssel, Bonn, Genf und London. Unter anderem schrieb er für DIE ZEIT, Sonntagsblatt und andere Zeitungen und ist Vorstandmitglied der Journalistenvereinigung "Netzwerk Recherche".