Replik auf einen FAS-Kommentar

Theater am Ende? Von wegen!

Szene aus dem Stück "Start- und Landebahn" von David Richter und Dirk Laucke am 10.05.2010 während der Hauptprobe in den städtischen Bühnen in Osnabrück
Szene aus dem Stück "Start- und Landebahn" von David Richter und Dirk Laucke 2010 an den städtischen Bühnen in Osnabrück © dpa / picture alliance / Friso Gentsch
Von Michael Laages · 21.03.2015
"Das Theater ist am Ende" titelte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Doch der Autor, ein Literaturprofessor, irrt, wenn er der zeitgenössischen Stückeschreiberei das Totenglöcklein läutet, kritisiert Michael Laages. Nie zuvor gab es derart viel junges, neues Repertoire-Theater.
Gut – gerade differenzierte Feuilleton-Texte brauchen sicher auch in einer großen, wenn nicht der größten allgemeinen Sonntagszeitung aus Frankfurt eine knackige Überschrift. Insofern ist wohl davon auszugehen, dass Hans Ulrich Gumbrecht nichts kann für das fundamentale Statement am Beginn: "Das Theater ist am Ende". Da ist wohl eher irgendeine Form forcierter Kulturverachtung mit der Redaktion durchgegangen.
Zumal Gumbrecht ja gerade die weltweit vorherrschende Hochachtung beschreibt, die gerade dem Theater im deutschsprachigen Raum zukommt, womöglich sogar als "Weltkulturerbe". Obendrein, und ganz gegen den üblichen Jammertrend, hebt er die Bedeutung speziell des gern gescholtenen Regietheaters hervor: als quasi lebenserhaltende und ins Zeitgenössische verlängernde Maßnahme für den klassischen Kanon des Welttheaters.
Welche Spielpläne gewälzt?
Aber schon die Liste der verehrten Vorfahren, die Gumbrecht zum Beweis für die "alte Kraft" aufstellt, ist ein wenig verwirrend – Shakespeare: natürlich. Aber Lope de Vega, oder Corneille? Nicht mal in Spanien respektive Frankreich liegen die in der Werkstatistik vorn. Ganz und gar ahnungslos aber argumentiert der Herr Professor, wenn er der zeitgenössischen Theaterschriftstellerei das Totenglöcklein läutet - hier sei das Theater (daher die Überschrift!) "an ein Ende" gelangt. Thomas Bernhard und Heiner Müller seien die letzten Repertoire-Autoren der Gegenwart.
Ach.
Handke? Kroetz? Nie gehört? Welche Spielpläne Gumbrecht wohl gewälzt haben mag für die Erkenntnisse übers Repertoire. Nicht nur der Uraufführungs-, sondern auch der Repertoire-Betrieb wird doch bis an entlegenste Theaterorte derzeit (und schon länger!) mitgeprägt von (zum Beispiel) Elfriede Jelinek; aber auch von den 50-Jährigen wie Dea Loher und Roland Schimmelpfennig, von den jüngerem wie Dirk Laucke, Philipp Löhle oder Rebekka Kricheldorf, von ganz jungen wie Wolfram Lotz oder Ewald Palmetshofer.
Fußball-Vergleich überdenken
Sie alle werden nicht nur uraufgeführt, sondern auch nachgespielt – ohne Übertreibung gesagt: Nie zuvor gab es derart viel junges, neues Repertoire-Theater; in Deutschland, in England, selbst in Frankreich. Auch weil junge Autorinnen und Autoren gefördert werden wie nie zuvor. Von wegen: am Ende!
Lieber Hans Ulrich Gumbrecht – zum Zwecke der Horizont-Erweiterung schauen Sie doch Ende April einfach mal beim "Stückemarkt" in Heidelberg oder im Monat darauf beim "Stücke"-Festival in Mülheim an der Ruhr vorbei. Ach ja: Vielleicht überdenken Sie dann dort auch noch mal Ihre finale These vom Publikum als "kollektivem Körper", etwa so munter wie beim Fußball.
Im Theater ist das in der Tat anders: Da grölen die Zuschauer eher selten Fan-Gesänge, saufen sich praktisch nie die Hucke zu, prügeln sich nicht mit anderen Fans und werfen auch nicht mit Flaschen, Dosen und Bengalo-Feuerwerk; hier ist kein "kollektiver Körper", hier finden sich individuell und differenziert denkende Köpfe.
Mir war das bislang eher sympathisch.
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