Religionen

Kirche muss intellektuell attraktiver werden

Regionalbischof Christian Stawenow spricht in Erfurt (Thüringen) die Predigt während des Kantatengottesdienstes im Augustinerkloster.
Eine Predigt im Gottesdienst muss die Zuschauer begeistern. Zu oft tut sie das nicht, kritisiert unser Autor Knut Berner. © dpa/ picture-alliance/ Marc Tirl
Von Knut Berner · 12.05.2016
Wenn die Predigt Allgemeinplätze und harmlose Anekdötchen verkoppelt, dann wird das als langweilig, vormodern oder überflüssig empfunden, meint der evangelische Theologe Knut Berner.
"Wer Gott ist, das bestimme ich!" – diese verbreitete Einstellung begegnet gegenwärtig in zwei Varianten. Anhänger der Wellness-Religion suchen sich aus dem Basar spiritueller Angebote Gefälliges und Wohltuendes, finden Gott im Kopfkissen, beim Pendeln, im Horchen auf die innere Stimme oder beim Waldspaziergang.
Fundamentalisten hingegen beziehen sich auf heilige Schriften, lassen aber nur ihre eigene Auslegung zu. Argumentative Kritik ist unerwünscht, Widersprüche innerhalb der Texte werden geleugnet und man immunisiert sich gegen Wissenschaft und Aufklärung. Dass mit dieser Variante politische Radikalisierung einhergehen kann, ist bekannt und wird zu Recht gefürchtet.

Enttäuschung über eine anspruchslose Bibelauslegung

"Wer Gott ist, das bestimme ich!" – diese Auffassung resultiert auch aus einer Enttäuschung von Kirche und Theologie. Diese werden oft als Gralshüter von Traditionen erlebt, deren Art und Weise der Auslegung des Evangeliums gerade viele gebildete Zeitgenossen nicht mit ihren intellektuellen Ansprüchen und emotionalen Erwartungen überein bringen.
Wenn in Gottesdiensten eine schlechte Performance geboten wird, die Predigt Allgemeinplätze und harmlose Anekdötchen mit wohlfeilen moralischen Vorschriften verkoppelt und Widersprüche zu wissenschaftlichen Erkenntnissen ignoriert, dann wird das als langweilig, vormodern oder überflüssig empfunden.
Wenn routiniert auf den Skandal des Kreuzes Christi verwiesen, aber zugleich ein Kuschelgott offeriert wird, der niemanden in Frage stellt und wenig erhellende Potentiale für den Umgang mit sperrigen Lebenssituationen anbietet, dann kann man sich gleich selber sein Gottesbild konstruieren. Wozu Kirchensteuer zahlen?
Sicher: Es gibt in Kirche und Theologie viele Verantwortliche, die Glauben und Verstehen verbinden, diskursfähig und sorgfältig die befreiende Kraft des christlichen Glaubens zur Sprache bringen, dabei Wissenschaft und Aufklärung berücksichtigen. Generalschelte trägt nichts aus. Zumal es viele Menschen eben auch einfach haben wollen und schlicht kein Interesse an religiöser oder weltlicher Bildung mitbringen.

Predigten ohne Raffinesse und Einfallsreichtum

Dennoch sind intellektuelle Defizite im religiösen Raum nicht zu übersehen. Wird in biblischen Texten produktiv gestritten und subtil argumentiert, so zeichnen sich immer weniger Predigten durch Raffinesse und Inhaltsreichtum aus.
War das Pfarrhaus einst Bildungsstätte, in der Kant und Goethe studiert sowie historisch-kritisch gearbeitet wurde, so sind mittlerweile immer weniger Pfarrer willens oder in der Lage, einem Muslim die Trinitätslehre zu erklären.
Und so mancher, der von der Freiheit eines Christenmenschen spricht, fügt nicht hinzu, wo das Freiheitspostulat schon bei Martin Luther an schroffe Grenzen geriet, und hat vielleicht auch von der Determinismusdebatte, welche die Hirnforschung auslöste, wenig oder gar keine Ahnung.

Religiöser Glaube mit zeitgemäßer Plausibilität

Kennzeichen von Bildung ist das Aushalten-Können von Widersprüchen und Ungewissheiten sowie die Fähigkeit, selber urteilsfähig zu sein. In Kirche und Theologie sollte mehr damit gerechnet werden, dass Menschen intellektuelle Erwartungen haben und es sich lohnt, die innere Plausibilität des christlichen Glaubens auf der Höhe der Zeit darzulegen.
Das Taufwasser wird auf den Kopf gegossen. Daher darf dem Denken und der Auseinandersetzung speziell mit naturwissenschaftlich-philosophischen Gottesbildern Raum gegeben werden, ohne sie zum Maß aller Dinge zu erheben.
Wo aber nicht mehr geboten wird als die lahme These 'Wir glauben alle irgendwie an denselben Gott', da verwundert es nicht, wenn Menschen von anderen Instanzen als der Kirche Antworten bevorzugen, die religiöse Bedürfnisse befriedigen.

Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er in Wuppertal zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum.

Knut Berner ist stellvertretender Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst. Außerdem lehrt er als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.

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