Reich der Mitte

Chinas Angst vor dem Abstieg

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hält in Peking bei einem deutsch-chinesischen Forum für Energieeffizienz vor einer Plakatwand stehend eine Rede.
Deutschland und China wollen nach einem Besuch von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) enger zusammenarbeiten. © dpa picture alliance / Tim Braune
May-Britt Stumbaum im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 23.04.2014
Der Umschwung vom Wachstumsmodell zum Hochlohnland schaffe die Notwendigkeit von Reformen in China, sagt die Wissenschaftlerin May-Britt Stumbaum. Massive Umweltprobleme wie auch Korruption müssten bekämpft werden.
Korbinian Frenzel: Sigmar Gabriel ist in China, der Bundeswirtschaftsminister auf Reisen. Das müsste uns nicht weiter interessieren, wenn China nicht gerade so spannend wäre. Weil China ganz offenbar an einem Punkt angelangt ist, wo es nicht mehr nur aufwärts geht, nicht mehr nur alles wächst und wächst und wächst, mal abgesehen von den Umweltproblemen. May-Britt Stumbaum ist zu Gast bei uns im Studio, Leiterin einer Forschungsgruppe an der Freien Universität Berlin, die sich mit dem asiatischen Blick auf uns beschäftigt, auf die EU. Guten Morgen, schön, dass Sie da sind!
May-Britt Stumbaum: Ja, schönen guten Morgen!
Frenzel: Wir haben ja in den letzten Jahren so ein bisschen wie das Kaninchen auf diese große chinesische Schlange geschaut, waren immer beeindruckt von diesem Aufstieg. Was ist das, was wir da gerade jetzt beobachten? Ist das eine Delle oder ist das möglicherweise so etwas wie der Beginn des Abstiegs?
Stumbaum: Ich würde sagen, was wir beobachten, ist eigentlich eine erwartbare Konsolidierungsphase. Wir haben über Jahre diese enormen Wachstumsraten. Und jetzt haben wir zum ersten Mal seit 24 Jahren nur 7,4 Prozent.
Frenzel: Was ja für europäische Verhältnisse immer noch enorm ist.
Auf dem Volkskongress fiel 59 Mal das Wort Reform
Stumbaum: Absolut. Wir kommen auch von einem sehr hohen Wert da herunter, und wir sehen halt den Umschwung von einem Wachstumsmodell, das auf Export orientiert war und auf billige Arbeitskraft hin zu einem Hochlohnland. Und praktisch ein Umschwung, den China schaffen muss zu einem Innovationsstand. Und man hat eben jetzt von der Regierung aus gesagt, wir brauchen tiefgreifende Reformen. Auf dem letzten Volkskongress wurde 59 Mal das Wort Reform genannt. Also es ist ihnen sehr ernst, und man will dort vor allen Dingen auf Marktkräfte vertrauen.
Frenzel: Die Frage ist ja, ob China diese Kurve kriegen kann in wahrscheinlich zweierlei Hinsicht. Wir haben einerseits, das ist ja jetzt auch das große Thema dieser Reise von Sigmar Gabriel, die massiven Umweltprobleme, wie reagiert man auf diese offenbaren Grenzen des Wachstums. Andererseits natürlich die Frage des politischen Systems. Ist das politische System, das chinesische System insgesamt so flexibel, um diese Veränderungen hinzukriegen?
Kernfrage Umweltverschmutzung
Stumbaum: Ich denke, das ist genau die Frage, die Kernfrage, die sich jetzt stellt. Also Umweltverschmutzung, Sie erinnern sich bestimmt noch an die großen Zahlen, über den Feinstaub, also dass die Werte des Feinstaubs in Peking weit alle Gesundheitswerte übertreffen. Sie haben 16 der 20 schmutzigsten Städte der Welt in China. Und Sie haben in Peking zum Beispiel auch das Problem einer großen Wasserunsicherheit. Sie haben verschmutzte Wasser, und sie haben eben auch sehr wenig Zugang zu frischem Wasser. Das heißt im Grunde genommen, wenn man es berechnet – die UN hat letztens einen Bericht rausgegeben – im Jahr 2010 waren die Kosten für die Umweltverschmutzung ungefähr 3,5 Prozent des GDPs. Und das Wachstum ist jetzt 7,4. Also die Kosten für die Umweltverschmutzung sind sehr hoch, aber das Bekämpfen ist natürlich genauso schwierig. Und Xi Jinping hat ja auch gesprochen, er möchte die Korruption bekämpfen. Also das Schwierigste an der Umsetzung der Politik ist natürlich, wie kann man das umsetzen auf einen Level, und da kommt die Korruption ins Spiel.
Der chinesische Traum
Frenzel: Xi Jinping hat von einem chinesischen Traum gesprochen, davon habe ich gelesen. Das ist ja sicherlich die Anlehnung an den amerikanischen Traum in der Rhetorik. Wie sieht er denn aus, dieser chinesische Traum?
Stumbaum: Ja, ganz in der Tat. Es kam auch nach Xi Jinpings Besuch in den USA, dass er sozusagen dem amerikanischen Traum etwas Chinesisches entgegensetzen wollte. Ganz ähnlich wie der amerikanische, nur mit mehr Blick auf das Kollektiv. Man hat das individuelle Level, das nationale und das internationale. National soll China einfach das starke Land werden, individuell soll man sein Glück finden, und international wieder die Anerkennung. Das Interessante daran ist, es verfängt sich nicht so ganz in der Bevölkerung. Die Bevölkerung hat eigentlich andere Probleme als zu überlegen, sind sie jetzt glücklich. Und es ist auch wieder so ein bisschen dieser Top-Down-Approach, der chinesische Traum, auch ein bisschen in dem Wunsch, den Menschen etwas Neues und Sinnhaftigkeit zu geben.
Frenzel: Welche Probleme sind das, die Sie da gerade angesprochen haben, die die Menschen haben?
Stumbaum: Also zum einen zum Beispiel, sie haben einen explodierenden Immobilienmarkt. In Peking ist es inzwischen genauso teuer wie in München, sich eine Wohnung zu kaufen. Wenn Sie heiraten wollen, brauchen Sie als junger Mann eine Wohnung. Das heißt, Sie haben viele junge Männer, die einfach unverheiratet bleiben. Sie haben das Problem der Lebensmittelsicherheit. Junge Familien haben die Schwierigkeiten, dass sie einfach unbelastete Milch für ihre Kinder bekommen. Vor einem Jahr gab es Rationierungen in Ländern wie Neuseeland, Australien, aber auch in Holland, für Babymilch, für chinesische Einkäufer – das zeigt so ein bisschen diesen Verdrängungsmarkt. Und Sie haben auf der anderen Seite die Schwierigkeiten, dass die Menschen – sie haben inzwischen sieben Millionen Graduierte, die jedes Jahr die Universitäten verlassen, aber sie haben nicht die adäquaten Chancen auf der anderen Seite. Man sieht auch in China, dass die Kosten höher werden, die Herausforderungen immer höher werden und man eigentlich so das Ganze im Zeitraffer gemacht hat. Den Eltern ging es wesentlich schlechter. Man hat dann sozusagen den Kindern alles gegeben, und jetzt hat man fast schon diesen Peak überschritten.
Frenzel: Wenn Sie das so beschreiben, das klingt ja nach einer enormen Unzufriedenheit, die sich da aufstaut, und Unzufriedenheit, wir sehen das in vielen Weltregionen, hat ja in der Regel politische Konsequenzen. Zeichnet sich da in China was ab, eine unzufriedene Mittelschicht, die politisch aus diesen Situationen, aus diesen Gedanken Konsequenzen zieht?
Unzufriedenheit und Unruhen
Stumbaum: Das Interessante ist, man sieht die Unzufriedenheit. Also, Sie haben diese Mittelschicht von ungefähr 350 Millionen Leuten, die eben sich mit diesen Problemen herumschlagen, aber Sie haben dort doch immer noch dieses starke Vertrauen in einen starken Führer. Und Xi Jinping stellt genau diesen starken Führer da. Also Sie haben das durch die Geschichte mit einem starken Kaiser und jetzt mit einem starken Führer, und mit seinen Aktionen, dass er auch gegen die Tiger, sozusagen die großen Funktionäre in der Korruption vorgehen will, beweist ja diese Stärke, und das heißt, dass eigentlich das System an sich, auf der obersten Ebene im Moment noch nichts zu befürchten hat und dass sich auch dieser Unmut noch nicht flächendeckend verbindet. Sondern es gibt eben immer wieder Unruhen, es gibt Demonstrationen, aber es gibt nicht etwas in unserem Sinne, wo man sich vorstellen würde, da würde das System an sich jetzt schon in Frage gestellt werden.
Frenzel: Sie haben im Zusammenhang des chinesischen Traums angesprochen, es gibt da eben auch die Suche nach Stärke, nach Stärke nach außen hin. China hat ja sehr viel investiert ins Militär auch in den letzten Jahren. Ist es verkehrt, wenn man diese Parallele zieht. Wenn man auf Russland blickt, da haben wir ja auch im Prinzip verschleppte Innovation in einer Gesellschaft und dann eine Stärkung dieses außenpolitischen Machtbestrebens. Könnte China einen solchen Weg gehen?
Stumbaum: Den Weg, den China gehen könnte – Sie haben sozusagen die Revolution des Militärs, um das auf den gegenwärtigen Stand zu bringen, auf dem es noch lange nicht steht. Das Problem ist, Sie haben auch einen aufkeimenden oder eigentlich schon sehr starken Nationalismus im Land. So ein bisschen, man möchte seine Rolle auch zurückfordern. Und da ist natürlich schon die Frage, sie haben zunehmend die Kapazitäten, im Moment noch nicht, aber zunehmend die Kapazitäten, auch die territorialen Ansprüche zumindest zu versuchen durchzusetzen, und sie haben die Konflikte im südchinesischen Meer und auch ein neues Anstreben, diese Großmachtstellung vor Ort auszudrücken. Sie haben jetzt den Besuch von Obama in der Region, der ja die Alliierten versichern möchte und gleichzeitig China nicht brüskieren möchte. Und da sieht man schon, wie diese Spannung zunimmt, und natürlich die Militärausgaben tun ihr Übriges.
Frenzel: May-Brit Stumbaum, Leiterin der Forschungsgruppe, und jetzt sage ich es, wie es im Original heißt, Asian Perceptions of the EU an der Freien Universität Berlin. Vielen Dank für Ihren Besuch im Studio, vielen Dank für das Gespräch.
Stumbaum: Herzlichen Dank, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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