Regisseurin Catherine Corsini

"Weibliche Homosexualität existiert für viele nicht"

Regisseurin Catherine Corsini in Cannes (2012)
Regisseurin Catherine Corsini bei den Filmfestspielen in Cannes © picture alliance / dpa / Frédéric Dugit
Von Jörg Taszman · 02.05.2016
Der Kinofilm "La Belle Saison" handelt von der Liebe unter Frauen im konservativen Frankreich der frühen 1970er-Jahre. Im Gespräch erklärt Regisseurin Catherine Corsini, weshalb er nicht so erfolgreich war wie "Blau ist eine warme Farbe" von Abdellatif Kechiche.
Paris im Sommer 1971. Der Mai 1968 liegt schon eine Weile zurück und unter Präsident Pompidou hat sich das konservative Frankreich wieder gefangen. Da wirken dann junge Frauen, wie Carole - gespielt von der wie immer überzeugenden Cécile de France - die lautstark neue Rechte einfordern, wie beispielsweise das Recht auf den eigenen Körper und Abtreibung, auf eine junge Frau aus der Provinz wie Delphine fast schon exotisch.
Regisseurin Catherine Corsini inszeniert diesen ganz anderen Culture Clash in warmen, sinnlichen Sommerfarben mit einer großen Lust am Spiel, am Happening:
"Es gab damals eine Gesellschaft, die genug hatte von diesen archaischen Strukturen und Denkmodellen. Man strebte nach einer Veränderung und die Frauen wollten die Emanzipation. Zu Beginn der 70er-Jahre waren die Dinge vielleicht etwas einfacher, aber deswegen nicht weniger schmerzhaft oder kompliziert. Die Risiken waren hoch, denn die Gesellschaft reagierte noch sehr repressiv ebenso wie die Polizei. Und gewisse Positionen - wie zur Liebe unter Frauen - galten auch als skandalös."

Unflexible patriarchalische Strukturen

Der Regisseurin gelingt es, das Zeitkolorit einzufangen. Sie reiht sich damit ein in eine Reihe jüngerer französischer Filme, wie Olivier Assayas "Die wilde Zeit" oder Julie Delpys "Familientreffen mit Hindernissen", die genau die Zeit nach 1968 einfangen, als Frankreich in den 70er-Jahren noch wie erstarrt wirkte, voller unflexibler patriarchalischer Strukturen.
Catherine Corsini erzählt dabei von starken Frauen wie Carole, die sich politisch engagieren und ihre Sexualität freier ausleben. Dabei verliebt sich Carole in Delphine, ein Mädchen vom Land, das bald wieder zurück auf den Hof der Eltern muss. Dort allerdings steht sie nur heimlich zu ihrer Freundin. Für die Regisseurin, die selber aus einem Dorf stammt ist das nachvollziehbar:
"Als Delphine nach Paris kommt, da kann sie sich ganz gut verstecken unter all diesen vielen Menschen. So traut sie sich auch etwas. Zuhause bei ihr auf dem Dorf glaubt sie, jeder könne sie sehen. Da fühlt sie sich beobachtet. Sie wird ängstlich und fürchtet sich vor dieser unerschrockenen Carole, die aus Paris kommt und ihr Leben durcheinander bringt. Und Delphine fühlt sich schnell schuldig. Ansonsten ist sie eine mutige, junge Frau, aber nun wirkt sie wie gelähmt und kann nicht offen für ihre Sexualität einstehen, nicht zugeben, dass sie Frauen liebt. Das gelingt ihr einfach nicht."

Kein feministisches Werk, sondern ein Liebesfilm

In erster Linie ist "La Belle Saison" ein Liebesfilm und kein feministisches Werk, dass den Zuschauer überzeugen will. Allerdings spielt der Film in einer ganz konkreten Zeit und wurde von einer Filmemacherin gedreht, die dazu steht, lesbisch zu sein und sich so ihre Gedanken macht, warum ihr Film in Frankreich zwar über 200.000 Zuschauer erreichte, aber eben nicht eine Million wie "Blau ist eine warme Farbe", der sehr viel explizitere Sexszenen hatte.
"Die weibliche Homosexualität existiert für viele gar nicht oder sie schockiert sogar mehr als männliche Homosexualität. Bei Männern ist gleichgeschlechtliche Liebe schon mehr verankert, sie wird auch lautstärker bekräftigt und eher akzeptiert. Das ist meine Analyse, die auf meinen Beobachtungen beruht. Ich kann mich auch irren. Ich weiß, dass mein Film innerhalb der homosexuellen Community sehr gut ankam. Viel besser als 'Blau ist eine warme Farbe' von Abdellatif Kechiche, in dem sich lesbische Frauen weit weniger wiedererkannten. Allerdings erreichte 'Blau ist eine warme Farbe' viel mehr männliche und weibliche Zuschauer, wohl auch weil er von einem Mann gedreht wurde."
Regisseurin Catherine Corsini findet für ihre ebenso sinnliche wie leidenschaftliche Liebesgeschichte überzeugende Bilder und großartige Darstellerinnen. Neben Cecile de France überzeugt auch die bei uns aus Samba bekannte Izia Higelin. Und so nimmt man als Zuschauer Teil an diesem Konflikt zweier Frauen, die sich über alles lieben, die aber auch gesellschaftlich und sozial zu vieles trennt. Das bleibt bis zum Schluss spannend und emotional und ist nach der großen Komödienschwemme endlich mal wieder ein anderer französischer Film in unseren Kinos.
Mehr zum Thema