Regierungsbildung

Koalitionspläne nur schwer finanzierbar

André Hatting im Gerspräch mit Michael Bräuninger · 28.11.2013
Der Wirtschaftsforscher Michael Bräuninger rechnet angesichts der Kosten für die Koalitionsvorhaben von Union und SPD mit einem Defizit. Entweder helfe den beiden großen Parteien eine besonders starke Konjunktur oder es brauche Steuererhöhungen, erklärte er.
André Hatting: Der Koalitionsvertrag ist fertig, alle drei Parteien sind zufrieden, denn CDU, CSU und SPD sind so ein bisschen nach dem Prinzip "Wünsch' dir was" vorgegangen: CDU und CSU bekommen die Mütterrente, Kostenpunkt sechs Milliarden Euro, die SPD bekommt ihre Rente mit 63, macht nochmals geschätzte 20 Milliarden Euro, und die solidarische Lebensleistungsrente für Geringverdiener ergibt noch mal 100 Millionen Euro jährlich.
So, ich stoppe das jetzt mal hier, der Punkt dürfte nämlich klar geworden sein: Woher bitte soll das ganze Geld kommen? Dazu bislang nur die Wiederholung des Versprechens: nicht über Steuererhöhungen – ansonsten beredtes Schweigen. Das wollen wir jetzt mal brechen, mit Michael Bräuninger, er ist Forschungsdirektor am Hamburger WeltWirtschaftsInstitut. Guten Morgen, Herr Bräuninger!
Michael Bräuninger: Guten Morgen!
Hatting: Ohne Steuererhöhungen oder Streichen von Subventionen käme der Bundeshaushalt nach bisheriger Planung auf einen Überschuss von nur 15 Milliarden Euro. Allein die von mir aufgezählten Projekte kosten aber schon ein vielfaches davon. Kann die Koalition zaubern?
Bräuninger: Ja, die von Ihnen aufgezählten Projekte, das sind ja alles Dinge der Rentenversicherung. Hier in der Rentenversicherung wird es sicherlich zu einer Erhöhung der Beiträge beziehungsweise nicht zu der vorgesehenen und rechtlich eigentlich vorgeschriebenen Absenkung der Beiträge kommen. Dazu gibt es auch noch eine ganze Menge Dinge, die direkt in den Bundeshaushalt gehen, die direkt finanziert werden müssen, hier gibt es auch noch mal einen Haufen Kosten, und diese werden dann sicherlich entweder aus Steuererhöhungen oder über Defizite finanziert, oder man muss abwarten, inwieweit die Konjunktur das ermöglicht.
Bei der Rentenversicherung ist es so, dass es hier zu erheblichen Ausgabenerhöhungen kommen wird. Diese werden höchstwahrscheinlich finanziert dadurch, dass man die Rentenbeiträge auf dem Niveau belässt, wo sie derzeit sind, dann sind die finanzierbar, aber eigentlich hätte es zu einer Absenkung kommen müssen.
Hatting: Jetzt habe ich Sie gerade so verstanden, dass nach Ihrer Berechnung es tatsächlich dann doch zu Steuererhöhungen kommen muss.
Bräuninger: Na ja, zunächst mal, wie gesagt: Die Dinge, die Sie genannt haben, gehen in die Rentenversicherung und werden über die Rentenbeiträge finanziert. Dazu gibt es also noch einen ganzen Haufen an Ausgaben, die hinzukommen: Da geht es um die Kitas, da geht es um die öffentliche Verkehrsinfrastruktur, den Städtebau, Entwicklungszusammenarbeit, aber auch zur Eingliederung von Arbeitssuchenden, Forschungsförderung – verschiedenste Dinge, die zum Teil auch sehr sinnvoll sind, zum Teil auch sehr notwendig, in der Summe aber hier auch noch mal zu 23 Milliarden zusätzlichen Ausgaben führen, die so wahrscheinlich nicht über den Bundeshaushalt normal zu finanzieren sind.
Die Bundeskanzlerin blättert im neuen Koalitionsvertrag
Unsicheres Koalitionsversprechen: Wird es doch zu Steuererhöhungen kommen?© picture-alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Hatting: Das sind diese Maßnahmen, diese prioritären Maßnahmen, die also laut Vertrag, Zitat, "nicht unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen", das heißt, die werden auf jeden Fall realisiert. 30 Milliarden Euro ist so eine Summe, von der man immer ausgeht, 15 Milliarden könnte der Überschuss betragen, den man bislang annimmt im Bundeshaushalt. So, also Steuererhöhungen doch?
Bräuninger: Ja. Also man hat hier 15 Milliarden, das ist weniger … also das reicht zunächst mal nicht, um die Ausgabenwünsche zu finanzieren. Diese 15 Milliarden sind natürlich auch unsicher, und man tut so, wir hätten also einen Überschuss von 15 Milliarden nach der Prognose, und dass man diesen Überschuss vollständig verteilen kann. Es ist aber eigentlich so, dass wir das Ziel haben, in Zeiten guter Konjunktur – und diese 15 Milliarden erhalten wir nur in guter Konjunktur – … auch mal Überschüsse im Bundeshaushalt stehen lassen sollte, damit man sich in Zeiten schlechter Konjunktur dann später mal wieder Defizite leisten kann. Das ist völlig vernachlässigt worden. Hier ist so getan worden, als ob man alles, was jetzt in den Haushalt reinkommt, auch wieder ausgeben kann.
Es wäre Sinnvoll, Ausgaben an anderer Stelle zu kürzen, meint Bräuninger
Hatting: Welche Möglichkeiten hat die große Koalition noch, das Ganze zu bezahlen, außer über Steuererhöhungen?
Bräuninger: Sie könnte natürlich – und das wäre sinnvoll – an verschiedenste Ausgaben mit Kürzungen herangehen. Es gibt noch einen Haufen an Subventionen, es gibt einen Haufen an Ausgaben, die aus ökonomischer Sicht nicht besonders sinnvoll sind …
Hatting: Zum Beispiel die Hotel- und Gaststätten-Steuererleichterung, die damals ja von der FDP durchgedrückt wurde?
Bräuninger: Das wäre sicherlich ein wunderbares Beispiel. Es wäre aber auch sicherlich die Förderung oder die Gelder, die jetzt an die Mütter gehen für Kinderbetreuung, auch diese sind nicht besonders sinnvoll, hier hat man gerade auch Ausgaben beschlossen, die ökonomisch und familienpolitisch eigentlich nicht besonders sinnvoll sind, hat man gerade hier durchgesetzt. Also es gibt verschiedenste Dinge, die man eigentlich streichen könnte, um die zum Teil sehr sinnvollen Ausgaben, die man beschlossen hat, auch zu finanzieren, also in den Bereichen, die beschlossen worden sind, Ausgaben, die sicherlich notwendig und richtig sind, also insbesondere den Ausbau der Kinderbetreuung oder auch die öffentliche Verkehrsinfrastruktur sind Ausgaben, wo wir notwendigerweise mehr investieren sollten, und hier sollten wir durch entsprechende Sparmaßnahmen das finanzieren. Das Problem ist, dass über diese Sparmaßnahmen nichts gesagt ist und überhaupt keine Beschlüsse vorliegen.
Hatting: Das Betreuungsgeld, das Sie gerade ja auch angesprochen haben, das hat die CSU ja sozusagen geschenkt bekommen, das bleibt bestehen, also hier offensichtlich wird nicht gekürzt.
Bräuninger: Genau. Ja, und das ist sicherlich eine ökonomisch wie auch familienpolitisch höchst fragwürdige Ausgabe.
Hatting: Die Bundeskanzlerin hat sogar angekündigt, dass der Haushalt ab 2015 sogar ausgeglichen sein werde. Sie sagt, Zitat: "Der Bundesfinanzminister hat plausibel dargestellt, dass das möglich ist." Wie ist denn das möglich?
Bräuninger: Also, wie gesagt, das wäre möglich, wenn man zu entsprechenden Sparmaßnahmen kommt. Es unterstellt außerdem, dass wir einen weiterhin guten Konjunkturverlauf haben, das ist tatsächlich im Augenblick wohl die Erwartung, die alle ökonomischen Prognosen haben, die aber natürlich mit hohen Unsicherheiten belastet ist und mit Risiken. Aber das ist naturgemäß so. Wir haben immer die Planung über Unsicherheiten. Wir sollten natürlich umgekehrt auch sagen, dass wir in Zeiten von sehr guter Konjunktur – und das ist hier die Unterstellung – letztlich auch irgendwann mal nicht nur einen ausgeglichenen Haushalt brauchen, sondern tatsächlich einen Überschuss, damit wir uns die Defizite in der Folge oder bei schlechterer Konjunktur dann auch leisten können.
Hatting: Ob die Regierungsvorhaben ohne Steuererhöhungen die Quadratur des Kreises sind, darüber habe ich mit Michael Bräuninger gesprochen, Forschungsdirektor am Hamburger WeltWirtschaftsInstitut. Vielen Dank, Herr Bräuninger!
Bräuninger: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema