Qualitätsoffensive für Gelenk-Operationen

Von Peter Kaiser · 04.11.2012
Wer ein künstliches Gelenk hat, weiß um die möglichen Probleme. Inzwischen gibt es Zentren, die nach einheitlichen Standards operieren. Das Zertifizierungssystem "EndoCert" soll dabei unter anderem regeln, welche Schritte für eine Knie- oder Hüft-OP nötig sind.
Alltag in einem Operationssaal einer Klinik. Der Einsatz eines künstlichen Kniegelenks wird sorgfältig vorbereitet. Routiniert arbeiten die OP-Schwestern dem Arzt zu. Wie in dieser Klinik bei der Knie-Operation werden jährlich in Deutschland etwa 400 000 künstliche Hüft- und Kniegelenke implantiert.

Ist der Eingriff erfolgreich, erhalten in den meisten Fällen die Patienten ihre alte oder nur um ein Weniges verringerte Mobilität zurück. Aus gesundheitsökonomischer Sicht eine gute Sache. Damit das immer und überall realisiert werden kann, sagt Fritz Uwe Niethard, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, ist ein einheitlicher Qualitätsstandard für diese Operationen nötig. Denn inzwischen ist auch aus anderen medizinischen Bereichen erwiesen, dass die Festlegung von Standards zu insgesamt besseren Behandlungsergebnissen führt. Auf der Vorab-Pressekonferenz zum Orthopäden-Kongress im Oktober in Berlin, sagt Professor Niethard:

"Nicht jede Klinik kann in jedem Fall alle endoprothetischen Versorgungen vornehmen. Nehmen wir zum Beispiel auch mal Endoprothesenwechsel, also wenn ein künstliches Gelenk ausgewechselt werden muss. Dann müssen gewisse Vorhaltungen gemacht werden, die Operation ist ja sehr viel komplizierter. Wir erwarten, dass in diesen Kliniken bestimmte Prozesse eingehalten werden. Dass vor allem die Qualität hinsichtlich der Operateure gewährleistet ist. Die Operateure müssen ein gerütteltes Maß an Erfahrung haben und eine Mindestmengenanzahl pro Jahr erbringen, um diese Qualität auch weiterhin aufrecht erhalten zu können."

Um all das zu gewährleisten und in Deutschland die gleiche Qualität immer und überall aufrecht zu erhalten, haben Fritz Uwe Niethard und seine Kollegen das weltweit erste Zertifizierungssystem im Bereich des Gelenkersatzes entwickelt. Das System mit dem Kürzel "EndoCert", sagt Wolfram Mittelmeier, Klinikdirektor an der Universitätsklinik Rostock, ist nicht nur eine einmalige Qualitätsoffensive in der Endoprothetik, es regelt auch genau, was, wie und wann zu passieren hat bei einer Knie- oder Hüft-Operation:

"Die Aufklärung muss eine bestimmte Mindestdauer haben. Das Gespräch nach der Operation, was wirklich gemacht wurde, muss wirklich stattgefunden haben. Da gibt es da einen Patientenbogen, bei dem die bestimmten Aufgaben, die zu erledigen sind durch das Team, an bestimmten Tagen abgearbeitet werden. Sie müssen dann ihre Kreuzchen machen, dass es stattgefunden hat. Also das Patientengespräch findet mit statt, das Arzt/Patientengespräch. Und es soll in Zukunft noch stärker stattfinden. Auch das Entlassungsgespräch muss stattfinden."

Bei manchen Patienten könnte das Abhaken einer Checkliste zur Hüft - oder Knie-OP Unverständnis hervorrufen. Denn jeder Mensch ist mit seiner - wenn auch ähnlichen Erkrankung - dennoch individuell und etwas anders. Steht ein solcher "Listen-Check-up" dem nicht entgehen?

"Eher im Gegenteil, in dem Sie in diesem System bestimmte Dinge festlegen, die stattfinden müssen."

Was bedeutet, dass der Arzt nach dem Check-Up der notwenigen Punkte zur jeweiligen Operation den Kopf frei hat für individuelle Fragen. Damit, meint Fritz Uwe Niethard, werden auch Komplikationen vermieden, denn es wird erschwert, etwas im Ablauf zu vergessen:

"Das heißt also, der Patient kann dann in einer solchen Klinik davon ausgehen, dass alles standardmäßig bis zum Abschluss der Rehabilitation läuft."

Ein ebenso wichtiger Punkt wie die Aufklärung des Patienten und dessen Nachsorge, sagt Wolfram Mittelmeier, ist im Qualitätssystem "EndoCert" die Fähigkeiten der Ärzte am Operationstisch:

"Es geht darum, dass am Tisch ein ausgebildetes Team steht, das nachweisen kann, jederzeit auf Prüfung nachweisen kann, dass es an der jeweiligen Endoprothese geschult wurde. Jedes einzelne Mitglied, jede einzelne Schwester, die damit zu tun hat, jeder Arzt. Das immer einer am Tisch steht, der sich wesentlich mit der Endoprothetik befasst, an Hüfte, Kniegelenk, und dass er sich also schult. Es geht da darum: früher gab es diese Mindestzahl für Krankenhäuser. Wenn in einem Krankenhaus zehn Ärzte jeweils 5 Prothesen machen, sind es auch 50. Das ist nicht das Ziel. Es geht darum, dass der jeweilige Akteur am Tisch, einer drin ist, der sich ganz wesentlich damit befasst, und dass die anderen aber auch daran geschult sind. Das ist ein Grundprinzip."

EndoCert wird jetzt an rund 100 deutschen Kliniken eingeführt. Die Experten rechnen damit, dass weitere Kliniken folgen werden. Auch aus dem Ausland gibt es schon Interesse an dem Zertifizierungssystem:

"Es wird davon sicherlich ein gewisser Saugeffekt ausgehen, denn die hundert Kliniken, die sich jetzt angemeldet haben für den ersten Start, da sind schon große Klinikketten dabei Und ich bin mir sicher, dass eben über die Qualitätssicherung, hinter der ja auch die Krankenkassen stehen, auch andere Kliniken sich logischerweise bemühen müssen."

Klar ist, in Zeiten des demographischen Wandels ist besonders im Bereich des Gelenkersatzes eine Kostenlawine schon jetzt sichtbar:

"Der Punkt ist, dass durch diesen demographischen Wandel der Anspruch daran, dass unsere Leute, Sie und ich gesünder und älter werden sollen, aktiver älter werden wollen, müssen wir die Prothesen noch haltbarer machen und noch qualitativ besser einbringen. Das heißt, noch besser im Durchschnitt. Wir müssen dafür sorgen, dass wir wenige Komplikationen haben. Wir müssen dafür sorgen, dass sie möglichst lange halten. Dazu ist "EndoCert" ein wesentlicher Schritt."
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