Punkrock ist eine Haltung

Von Thilo Guschas · 28.04.2012
Vor zehn Jahren hat Michael Muhammed Knight mit seinem Buch "Taqwacores" eine liberal-islamische Jugendbewegung ausgelöst. Nach der Veröffentlichung haben sich reale Islam-Punk-Bands gegründet und eine eigene Musik entwickelt. Jetzt ist der Roman auch in Deutschland erschienen.
Zitat aus dem Roman "Taqwacore":
"Obwohl Rabeya eine ebenso überzeugte Muslima war wie jeder andere hier, lebte sie den Islam, wie sie es für richtig hielt. Bei der gestrigen Party war sie es, die völlig verschleiert ans Mikrofon gesprungen war, um eine Coverversion von 'Nazi Girlfriend' von den Stooges zum Besten zu geben; durch ihren Niquab sang sie langsam und geisterhaft in Iggy Pops morbider Altmännerstimme: 'I want to fuck you on the floor, among my books of ancient lore'."

Eine Leseprobe aus dem Roman "Taqwacore" des Amerikaners Michael Muhammad Knight. Dass dieser Stoff die deutschen Medien geradezu magisch anzieht: kein Wunder. Die Kopftuchdebatte, der "Euro-Islam" oder auch das Thema "Ehrenmorde". Die Diskussion um den Islam in Deutschland erscheint so festgefahren wie verkrampft.

Und nun kommt Taqwacore daher. Ein Roman über eine WG von Punkmuslimen, die feuchtfröhliche Partys feiern, sich aber als vorbildliche Muslime sehen und schon mal einen Joint rauchen, während sie aus dem Koran rezitieren. Ein fiktiver Roman, aus dem sich in Amerika reale Punkbands entwickelt haben. Los ging das 2005. Damals bekam Kourosh Poursalehi, ein schmächtiger Student in Round Rocks, Texas, den Roman "Taqwacore" in die Hände:

"Am Anfang dachte ich wirklich, es sei eine reale Beschreibung. Sobald ich das Buch gelesen hatte, habe ich Michael Muhammad Knight kontaktiert. Ich fragte ihn: Wo kann ich diese Leute treffen? Da erklärte er mir, er habe sich alles nur ausgedacht. Trotzdem fühlten sich die Figuren aus dem Buch für mich immer noch real an. Da sagte ich mir: Warum soll ich sie nicht einfach in die Wirklichkeit holen? Das Gedicht 'Muhammad was a punk rocker', das am Anfang des Buches steht, schien mir geeignet für einen Song."

Musik: "Mohammed was a punk rocker"

Kourosh Poursalehi: "Das war der erste Song von Taqwacore, behauptet man heute."

Kourosh Poursalehi gründete eine Einmann-Band mit dem provokanten Namen: Vote Hezbollah. Weitere Bands entstehen in dieser Zeit, in Washington, Vancouver und Boston. Ihre Stücke haben Texte wie "Jagt den ganzen Mist in die Luft, wir wollen keine Assimilation". Taqwacore hatte einen Nerv getroffen. Der Grund liegt, paradoxerweise, begründet im Erfolg der amerikanischen Muslime.

Ein Großteil von ihnen sind Akademiker. Sie oder ihre Vorfahren wurden nicht wie in Europa als billige Arbeitskräfte angeworben. Der amerikanische Traum, der Plan von Karriere und Aufstieg, hat gut ausgebildete Muslime in die USA gelockt. Sie integrierten sich geräuschlos. Bis zum 11. September 2001 spielte es keine Rolle, dass sie Muslime waren. Doch dann gerieten sie unter Generalverdacht, auch die dritte Generation: Junge Erwachsene, die in Amerika mit Basketball, Skateboard und Popmusik aufgewachsen waren, wurden plötzlich angefeindet - als Muslime.

Zitat aus dem Roman "Taqwacore":
"In der Mitte des Raumes, umgeben von fertigen Typen (...), saß ein Punk (...). Er saß auf seinen Fersen (...) und hatte sich dem Loch in der Wand zugewandt, das Umar mit einem Baseballschläger in die billige Gipsverkleidung geschlagen hatte, um Qibla anzuzeigen."

Qibla ist die Richtung, in der Mekka liegt. Nach ihr richten sich Muslime beim Gebet aus. Dass ein Loch in der Wand Qibla anzeigt, ist provokativ. Und zeugt von einem leichten, spielerischen Umgang mit Grundelementen des Islam. Den Bands geht es aber eigentlich nicht um Theologie. Kourosh Poursalehi von der Band "Vote Hezbollah":

"Meine Eltern kommen beide aus dem Iran. Sie sind Muslime. Sie haben mich nie gezwungen, den Islam zu praktizieren. Es ging mehr darum, dass ich gesund lebe und gute Noten nach Hause bringe. Religion spielte kaum eine Rolle. Das ist auch ein Grund, warum mich die muslimische Ebene von Taqwacore nicht so sehr interessiert, sondern der Punk. Das Muslimische gehört zu meiner Herkunft, meiner Kultur. Aber was uns alle so gepackt hat, war die Musik."

Den Bands geht es um Punk, nicht um religiöse Fragen. Um Protest, nicht um ein Glaubensbekenntnis, weder für noch gegen den Islam. Aber die Musiker übernehmen aus dem Roman das Spiel mit einem ironisch gebrochenen Islamimage. Die US-Medien stürzen sich geradezu auf sie. Ein Hype, der die Bands in eine ernste Krise bringt.

Musik: "Sharia Law in the USA"

Basim Usmani von der Band "The Kominas", ein US-Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln, ist die Galionsfigur der Szene. Da sitzt er vor dem Mikrofon. In Lederjacke, charismatisch, immer einen sarkastischen Spruch auf den Lippen. Sein bekanntester Song, "Sharia Law in the USA", ist eine kampfesmutige Replik auf die Verschwörungsfantasien der Islamkritiker. Der Song entstand 2008. Den Irokesenschnitt, den sich Basim im Sog der Romanlektüre zulegte, trägt er längst nicht mehr:

"Viele kritisieren uns heftig, weil sie glauben, wie seien religiös. Wir stammen alle aus muslimischen Familien. Daher konnte man so einfach sagen: Alle diese Bands hier gehören dazu, dies ist ihr Logo, und das hier ist ihre Botschaft. Wir wurden da in ein Spiel hineingezwungen, das sie sich für uns ausgedacht haben."

Ein leichter, ironischer Umgang mit der muslimischen Herkunft: das ließ sich der Öffentlichkeit nicht vermitteln.

Basim Usmani: "Viele Medien wollen, dass wir als Islampunks auftreten, als Stimme für wütende Muslime, die ihre eigene Kultur nicht mögen. Die Medien brauchen einen neuen Salman Rushdie. Sie hatten die Mohammed-Karikaturen. Das hat schon ziemlich gut funktioniert. Jetzt versuchen sie sich an mir. Sie wollen mich zu einer Mohammed-Karikatur machen. Das werde ich aber nicht sein."

Vor den Karren einer pauschalen Islamkritik wollen sich die Bands nicht spannen lassen. Es wäre auch ein Bruch mit dem ironisch-hintergründigen Ton des Romans.

Zitat aus dem Roman "Taqwacore":
"Bist du hier, um die Fatwa zu vollziehen?"
"Was?"
"Du weißt schon - ich bin eine Abtrünnige, theoretisch kannst du mich töten."
"Aha", sagte ich mit dem Anflug eines Lachens.
"Gib mir die Salman-Rushdie-Spezialbehandlung", sagte sie mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Augen.


Basim bezeichnet sich als "atheistischen Muslim". Im Grunde denken viele nominelle Christen im Westen nicht anders. Aber es ist ein Bekenntnis, das für nominelle Muslime eben nicht so selbstverständlich ist - aufgrund einiger Koranverse, aber auch angesichts der aufgeladenen Islamdebatte. Basim sagt heute kritisch: Mit Taqwacore sei nicht wirklich etwas Neues erfunden worden:

"Einer der größten Dichter Pakistans, der muslimische Reformer Allama Iqbal, hat sich mit dem Kapital" von Karl Marx auseinandergesetzt, er war in Deutschland und hat Nietzsche gelesen. All solche Philosophen hat es schon gegeben, in den 30er- und 40er-Jahren. Und wir heute sind daher nicht die Muslime neuen Typs.

Das belastet mich schon sehr. Man baut Erwartungen auf, dass ich mein ganzes Leben dann genau so ein Muslim bleibe. Diese selbst erfundene Definition sollen sie mal schön für sich behalten. Wir versuchen einfach nur einen Raum zu finden, um neue Kunst zu schaffen."

Basim und seine Band, die Kominas, haben sich weiterentwickelt. Ihr erstes Album hieß noch, sehr plakativ, "Wild nights in Guantanamo Bay". Nun haben sie islamische Sufi-Texte vertont. Gesungen im indischen Punjabi-Dialekt. Wohl auch, um den Journalisten keine einfachen Vorlagen mehr zu liefern. Und tatsächlich: Die US-Medien haben das Interesse verloren. Die Aufbruchstimmung des Romans: Das scheint lange her.

Punkislam in Amerika ist heute in der Krise. Die kanadische Punkfrauen-Band "The Secret Trial Five", die sich einst zu Taqwacore bekannte, hat sich offiziell distanziert. Kouroush, der die erste Taqwacore-Band in Texas gegründet hatte, macht mittlerweile gar keinen Punk mehr, sondern elektronische Ambientrhythmen. Obwohl er sagt: Das mit dem Punk werde immer schnell so eng gesehen:

"Punkrock ist eine Ideologie, eine Haltung. Das lässt sich nicht an Äußerlichkeiten festmachen. Es geht nicht um Frisuren und Klamotten, oder welche Bands man hört. Es geht darum, wer du bist und was dich glücklich macht. Die eine oder andere Norm brechen, das könnte man zwar "Punkrock" nennen. Aber letztlich geht es nicht darum, anders zu sein, sondern darum, sich selbst treu zu bleiben - das ist Punkrock."
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