Publizist Jürgen Todenhöfer über Aleppo

"Ein ganz schlimmes Spiel" auf Kosten der Syrer

Ein Mann trägt sein Kind in Aleppo am Samstag, 24.09.2016, aus den Trümmern eines zerstörten Gebäudes.
Aleppo: Ein Mann trägt sein Kind aus den Trümmern eines zerstörten Gebäudes © AFP / Ameer Alahlbi
Jürgen Todenhöfer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 26.09.2016
Es scheint nicht möglich, die Gewalt in Syrien zu stoppen. Der Publizist und CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer war gerade in Aleppo – die Gräuel des Bürgerkrieges seien so schlimm, dass es ihm den Atem nehme, sagt er.
Immer mehr Gewalt, neue Luftangriffe auf Aleppo, eine Stadt in Schutt und Asche. Alle diplomatische Bemühungen versanden. Kann man noch etwas tun, um den Menschen in Syrien zu helfen?
Der Publizist und CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer war gerade wieder in Syrien, inzwischen zum siebten Mal. Gewalt und Zerstörung hätten ein Ausmaß erreicht, dass es selbst ihm, der schon öfter in Kriegsgebieten gewesen sei, die Sprache verschlage, sagte er im Deutschlandradio Kultur.
Die syrische Bevölkerung sei total verzweifelt, so Todenhöfer. Und eigentlich wüssten alle, dass nicht nur Regierung und Rebellen die Schuldigen seien, sondern dass im Hintergrund andere Akteure wie der Iran, Saudi-Arabien, Russland und die USA um die Macht im Mittleren Osten kämpften. Diese Mächte spielten dort "ein ganz schlimmes Spiel" auf dem Rücken des syrischen Volks.
Die Lösung? Todenhöfer gesteht, dass er keine kenne. Man müsse mit allen Seiten sprechen, aber die Perspektiven seien düster. Auf der einen Seite gebe es eine "Diktatur", auf der anderen radikale Rebellen, mit denen man "keinen Staat machen" könne. (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Sollte sich das Szenario von Homs wiederholen, könnte auf Aleppo eine lange Belagerung durch Assads Militär mit kontinuierlichen Bombardements zukommen. So hat es ein Journalistenkollege 2012 geschrieben – das war vor vier Jahren – und genau das ist geschehen.
Die Bilder, die aus Aleppo übermittelt werden, die erinnern gerade uns Europäer an die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, an das völlig zerstörte Warschau, an Dresden, Coventry, Berlin. In der Osthälfte der geteilten Stadt Aleppo leben noch immer 250.000, eine Viertel Million Menschen, die von jeder Hilfe abgeschnitten sind. Und noch immer ist nicht klar, wer den Hilfskonvoi angegriffen, viele Menschen getötet und viele Lastwagen samt dringend benötigter Güter zerstört hat.
Fragen, die wir Jürgen Todenhöfer stellen wollen, den Sie vielleicht am Freitag bei uns gehört haben, als es um den Irak ging – nicht das einzige Krisengebiet, in das der Publizist, einstige Medienmanager und Ex-Bundestagsabgeordnete gereist ist. Jürgen Todenhöfer war kürzlich in Aleppo. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen. Herr Todenhöfer, welches Bild hat sich Ihnen dort geboten?
Jürgen Todenhöfer: Ja, das Ganze, was man in Syrien erlebt, ob das jetzt Homs, wo ich auch war, oder Aleppo ist, hat ein Ausmaß erreicht, dass selbst mir, der ich viele Kriege jetzt erlebt habe, schlicht die Sprache verschlägt.

Dieser Krieg ist grauenvoll, unverständlich, brutal

Aber eben nicht nur in Ost-Aleppo, wo 250.000 Menschen ausharren, sondern auch auf der anderen Seite, in West-Aleppo, sind ganze Viertel dem Erdboden gleichgemacht.
Dieser Krieg ist inzwischen so grauenvoll, so unverständlich, so brutal, und er hat so viel, nicht nur Zerstörung, sondern so viel Leid geschaffen, auf beiden Seiten, ich wiederhole das, dass es mir selbst bei einem solchen Interview immer wieder den Atem nimmt.
von Billerbeck: Lässt sich da eigentlich noch nachvollziehen, denn das versteht man ja kaum noch, wer da gegen wen kämpft?
Todenhöfer: Also die Bevölkerung versteht das inzwischen nicht mehr, die syrische Bevölkerung ist total verzweifelt, und sie ist auch mit beiden Seiten verzweifelt – mit dem, was die Regierung tut, und mit dem, was die Rebellen tun.
Eigentlich wissen alle, dass eben nicht nur die Rebellen und die Regierung, das Regime, die Hauptschuldigen sind, sondern dass im Hintergrund andere Akteure um die Macht im Mittleren Osten kämpfen – also Saudi-Arabien, Iran, Russland, Amerika – und dass diese Mächte dort ein ganz schlimmes Spiel auf dem Rücken eines Volkes spielen. Das Ganze ist grauenvoll, und es ist auch keine Lösung in Sicht.
Porträt von Jürgen Todenhöfer in Anzug und Krawatte
Der Publizist Jürgen Todenhöfer: Die Gewalt nimmt ihm den Atem, und eine Lösung des Konflikts in Syrien kann er sich kaum noch vorstellen© dpa / Karlheinz Schindler
von Billerbeck: Nun haben Sie einen hochrangigen Kommandeur von Al-Nusra getroffen, das ist ja der Al-Kaida-Ableger, der sowohl gegen die syrischen Regierungstruppen kämpft als auch gegen die Freie Syrische Armee. Wie kommt denn so ein Treffen zustande?
Todenhöfer: Ich war jetzt zum siebten Mal während des Bürgerkrieges in Syrien, und ich habe da Kontakte, und ich habe dieses Treffen mit einem Kommandeur – der ist nicht hochrangig, sondern einfach ein Kommandeur, der ein paar Hundert Mann, vielleicht 200 Mann unter seinem Befehl hat … das hab ich über Rebellen arrangieren lassen.
Es fand statt in einem Steinbruch, im Niemandsland zwischen dem von der Regierung beherrschten Westen Aleppos und dem von Rebellen beherrschten Osten Aleppos in Schuss- und Sichtweite der Rebellen von Jabhat Al-Nusra, und es war eine gespenstische Szenerie.

Auch Al-Nusra will keine Hilfskonvois

Aber am bedrückendsten waren dann auch doch die Äußerungen dieses Mannes, der ganz offen seine Strategie geschildert hat. Und die Strategie ist genauso wenig vertrauenserweckend und sympathiegewinnend wie das, was die Regierung dort tut.
von Billerbeck: Was waren denn die wichtigsten Informationen aus diesem Treffen?
Todenhöfer: Man erfährt sehr genau, von wem sie für welche Aktion welches Geld bekommen, also von Saudi-Arabien, von Katar und Kuwait. Man erfährt auch, von wem sie politisch unterstützt werden, aber der Auffassung sind, dass sie nicht genügend unterstützt werden. Sie loben Amerika, aber sie sagen auch, Amerika mache viel zu wenig und müsse noch viel mehr tun.
Aber sie sprechen auch darüber, dass sie – und das war das Verblüffende und, ich sagte Ihnen, das Erschreckende, das war einen Tag, bevor es den Angriff auf den Hilfskonvoi, auf den internationalen Hilfskonvoi gegeben hat – sie sagen, wir wollen diesen Waffenstillstand nicht, wir kämpfen das bis zum Schluss aus. Das ist dieselbe Haltung, die die Regierung hat. Und er sagt auch, wir wollen keine Hilfskonvois. Und wenn die Hilfskonvois nicht ganz bestimmte Bedingungen erfüllen, die wir hier fordern, die allerdings nicht die Bedingungen des Waffenstillstands waren, dann werden wir, wenn sie trotzdem kommen, ihre Fahrer verhaften.
von Billerbeck: Da stellen sich mir zwei Fragen: Die erste ist, schließen Sie aus diesem Gespräch, wer diesen Hilfskonvoi angegriffen hat, und zweitens, was folgt daraus an politischen Schlüssen?

Wie weiter? Die Perspektiven sind düster

Todenhöfer: Nein, ich glaube, da haben zu viele Leute, die ganz weit weg sind, ganz schnell gewusst, wer angegriffen hat. Ich habe mit einer Seite gesprochen, ich finde, man muss mit allen Seiten sprechen, um eine Lösung zu finden, und bei den Hilfskonvois weiß ich einfach nicht, wer der Schuldige ist.
Aber die Perspektiven sind düster. Wenn man die Kampfgruppen sieht und sieht, wie radikal das ist, weiß man, das können nicht unsere Partner sein.
Aber wer soll denn dann Partner in Syrien sein, mit wem soll man eine friedliche Lösung aushandeln, wenn auf der einen Seite eine Diktatur steht und auf der anderen Seite stehen radikale, radikalste Rebellen, mit denen wir in Deutschland nie verhandeln würden? Und natürlich müssen wir mit ihnen reden, aber mit diesen Rebellen können Sie keinen Staat machen.
von Billerbeck: Ein sehr pessimistischer Jürgen Todenhöfer also nach seinem Besuch in Aleppo. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Todenhöfer: Ich danke Ihnen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Und wenn Sie auf Todenhöfers Facebook-Seite gehen, dann finden Sie dort Filme und Berichte von diesem Aleppo-Aufenthalt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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