Psychoanalyse der Neinsager

Pegida auf die Couch

Teilnehmer einer Pegida-Kundgebung mit Plakaten in Dresden
Teilnehmer einer Pegida-Kundgebung mit Plakaten in Dresden © dpa / picture alliance / Arno Burgi
Von Hans von Trotha · 16.12.2014
In der "Süddeutschen" versucht der südkoreanische Philosoph Byung-Chul Han, das Phänomen Pegida zu erklären und kommt zu dem Schluss, dass diese Menschen einen imaginären Feind konstruieren, der die Seele entlastet. Dem könne man nur mit Psychoanalyse begegnen - oder mit Helene Fischer.
Dass das Jahr zu Ende geht, merkt man daran, dass in den Feuilletons diese Listen auftauchen, in denen Helene Fischer immer ganz vorn landet. Im TAGESSPIEGEL referiert Joachim Huber das "Google-Ranking 2014", mit dem der freundliche Dienstleistungskonzern uns daran erinnert, dass er wirklich alles speichert und auswertet. Wer also wurde in Deutschland 2014 am meisten gegoogelt? - Falsch! Es war Michael Schumacher. Aber, keine Sorge:
"Nach einer vom Suchmaschinenkonzern am Dienstag veröffentlichten Rangliste liegt der frühere Formel-1-Fahrer damit vor der Schlagersängerin Helene Fischer (2013 noch die Nummer eins)."
Und:
"Bei den Musikern generiert erneut Helene Fischer das größte Suchinteresse."
Geht doch.
Die SÜDDEUTSCHE liefert "Ein Glossar für das Popjahr 2014". Das lehrt uns unter "A", dass es sich bei AC/DC um "das Oktoberfest der Popmusik" handelt, und unter "L", warum Friedrich Liechtenstein so toll ist, nämlich:
"Weil er besitzt, was Helene Fischer nie besitzen wird: lässige Ironie."
Helene Fischer und die Seelenlage der Deutschen
Wer aber bei der SÜDDEUTSCHEN hat den südkoreanischen Philosophen Byung-Chul Han genötigt, seine hochtheoretische Analyse der Pegida-Bewegung mit dem ausführlichen Text-Zitat eines Helene-Fischers-Songs zu beginnen - "Verplant und verpeilt, danebengestylt, so komme ich mir manchmal vor" und so weiter. Der Philosoph schreibt:
"Dieser Song bringt genau die Seelenlage vieler Deutscher zur Sprache."
Und dann auch noch Pegida:
"Aus der lähmenden Angst, abgehängt zu werden oder nicht mehr dazuzugehören, befreien sich Menschen, indem sie einen imaginären Feind konstruieren. ... Die externalisierte Angst entlastet die Seele. Hier liegt eine Verneinung vor, zu der nur eine Psychoanalyse Zugang hätte."
Das Bild vom Philosophen, der 10.000 Dresdner auf die Couch legt, wird gleich vom nächstliegenden Einwand zerstäubt: Dazu ist es doch viel zu kalt. Wer diese Feststellung für banal hält, hat nicht ins WELT-Feuilleton geschaut. Dort überrascht uns Hannah Lühmann mit der Feststellung:
"Wir haben das Frieren verlernt".
Unter Caspar David Friedrichs "Eismeer" – der konnte noch frieren! – zündet Lühmann in einer Art theoretischem Bungee-Jumping ein ganzes Feuerwerk steiler Thesen. Etwa:
"Das Kalte ist das Andere."
Wissen die das bei der Pegida? Und heißt das, dass wir die im Frühjahr wieder los sind? Oder:
"Dass wir frieren können, ist eine Grundbedingung von Kultur".
Schließlich haut sie uns die Frage um die Ohren:
"Was ist schlimmer: Wenn die Heizung ausfällt oder wenn das Smartphone kaputtgeht?"
Solange Heizung und Smartphone noch beide funktionieren, könnte man googeln, was Frau Lühmann sonst so für Thesen stemmt. Braucht man aber gar nicht, weil die TAZ darüber in ihrer Kultur berichtet – in der es übrigens auch um Kälte geht. Tim Caspar Böhme stellt das Winterheft der Zeitschrift Wespennest vor. Thema: Norden. Da wird's richtig kalt:
"Skandinavier kommen darin ebenso zu Wort wie Russen."
Der Schriftsteller Alexander Ilitschewski wird mit der Beobachtung zitiert:
"Kälte und Frost sind häufigere Todesursachen als Hitze. Allein deshalb sind sie dem Bösen näher ... Gedanken und überhaupt Zivilisation sind Produkte der Wärme und eines zuträglichen Klimas."
Der neue Feminismus
Während sich das allenfalls implizit gegen Hannah "Die aus der Kälte kam" Lühmann richtet, regt sich Margarete Storkowski sehr explizit über deren Abrechnung mit dem neuen Feminismus auf, die unter dem Titel "Menstruationscomics, nein danke" auf ZEIT Online steht. Storkowski schreibt:
"Die Autorin ist seit Neuestem Redakteurin im Feuilleton der 'Welt'. Der neue Feminismus, das ist für sie vor allem der Netzfeminismus. Der ist ihr suspekt, den hält sie für missglückt und unsexy. Denn obwohl er versuche, modern, locker und lustig zu sein, sei er in Wirklichkeit nur 'nerdig und selbstreferenziell'. Und obwohl er 'nerdig' sei, leide er 'an einer schleichenden Entintellektualisierung seiner selbst'."
Wo die Frau hindenkt, da wächst so schnell kein Gras mehr.
Und Helene Fischer? Wie steht die eigentlich zum Feminismus? Und dazu, dass die SÜDDEUTSCHE sie "eine Kreuzung aus Markus Lanz und Madonna" nennt? Das SÜDDEUTSCHE-Feuilleton geht in seiner durchaus theorielastigen Pop-Liste unter dem Buchstaben "F" auch der Tatsache nach, dass Helene Fischer "in diesem Jahr zum deutschen Pop-Superstar schlechthin" geworden ist. Die Analyse lautet, vollständig zitiert: "Tja."