Prometheus mal sechs

Von Bernhard Doppler · 23.07.2010
Begonnen wurde das Prometheus-Projekt der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 mit einem "Antiprometheus". Einen solchen Untertitel gab nämlich die türkische Regisseurin Sahika Tekand ihrer Performance "Vergessen in zehn Schritten", die in der Zeche Zollverein das griechisch-türkische-deutsche Theaterfestival "Promethiade" eröffnete.
Prometheus hat gegen den Willen der Götter den Menschen das Feuer gebracht und damit gegen die Ordnung der herrschenden Götter rebelliert. Doch was ist ein Antiprometheus? Die Aufführung selbst – mehr Tanzstück als Schauspiel - macht es nicht sogleich deutlich. Im Programmheft findet sich als Erklärung: "Der Untergang des Individuums ist längst ausgemachte Sache. Jede Geste des Widerstands erstickt sich selbst. Längst sitzen die Gewalten wieder fest im Sattel." Einwand: Ist das tatsächlich das neue Zeitgefühl?

Im einzigen erhaltenen antiken Drama über Prometheus, in Aischylos 2500 Jahre alten Stück "Der gefesselte Prometheus" ist Prometheus das ganze Stück über weit weg am Rande der Welt an einen Felsen gefesselt, folgenlose Verwünschungen gegen Zeus von sich gebend. Prometheus und Antiprometheus sind insofern ein und dasselbe.

"Vergessen in zehn Schritten" kann man als choreografiertes Konzert für sechs Stimmen, drei türkische und drei deutsche, sehen. Zunächst tragen sechs Schauspieler am Rücken vier ineinander gestapelte Stühle: Sechs Prometheusse – alle in schwarzen T-Shirts, Hosen, Schuhen – bewegen sich verstohlen von rechts. Weil sie das Feuer entwendet haben? Oder sind die aufgestapelten Stühle der Felsen, an den sie geschmiedet sind?

Bald wird ein großes Spielfeld sichtbar, unterteilt in 32 Quadrate. Die Begrenzungslinien einzelner Quadrate leuchten auf der dunklen, sonst leeren Bühne immer wieder kurz auf. Man denkt an blinkende Computerspiele. Gehetzt bewegen sich die Schauspieler auf den wie durch Blitzlichter für kurze Momente erleuchteten Feldern. Das Licht überrascht sie, wie sie ihr Feld suchen oder es behaupten in Satzfragmenten – teils deutsch, teils türkisch – ihre Ratlosigkeit, ihre Unsicherheit, ihren Wunsch, die Regeln zu erkennen, äußern. Die atemberaubende Schnelligkeit und Präzision dieser Szenen imponiert.

Ganz am Ende des gerade eine Stunde währenden Abends, als die Prometheusse wieder verschwunden sind, hat eine Frau einen kurzen Schlussauftritt. "Da trotz Informationsflut das Wissen um Zusammenhänge abnimmt, ist der prometheische Weg an ein Ende gekommen. Wir müssen einen neuen Anfang wagen, indem wir die patriarchalische Welt verlassen." Auch dieser Gedanke erschließt sich erst durch das Programmheft.

So vage dieser kurze türkische Beitrag auch erscheint, als Diskussionsbeitrag zum Prometheus-Thema kann er durchaus anregend sein. Nach dem großen Odyssee-Projekt - mit Auftragswerken an sechs europäische Autoren – ist das Prometheus-Projekt bereits die zweite Auseinandersetzung mit antiken Stoffen in der Kulturhauptstadt Ruhr 2010. Die Kooperation mit der Türkei und mit Griechenland leuchtet dabei besonders ein! Unsere "abendländische" griechische Kultur stammt nicht nur aus Griechenland, sondern aus Kleinasien gleichermaßen. Eine interdisziplinäre Sommerakademie im Kokskohlenbunker des Zollvereins wird vom 30.8. bis 5.9 mit Vorlesungen und Diskussionsveranstaltungen das Prometheus-Thema vertiefen.

Links zum Thema:
=631 title="Theatertrilogie "Promethiade" bei Ruhr 2010" target="_blank"]Theatertrilogie "Promethiade" bei Ruhr 2010