Projekt im Raum Köln-Bonn

Selbst bezahlbaren Wohnraum schaffen

Ein altes Dach in Ehrental wird gemeinsam renoviert.
Ein altes Dach wird gemeinsam renoviert: Mieter schaffen sich ihr eigenes Zuhause - mit Unterstützung eines Vereins und einer Bank. © FreiRaum-Alfter
Von Nora Bauer · 18.01.2017
In den Universitätsstädten Köln und Bonn gibt es etwa für Studierende kaum bezahlbaren Wohnraum. Ein Verein ermöglicht mithilfe einer Bank, günstig zu wohnen - ein Leben lang. Dafür gehen die Mieter aber auch einige Verpflichtungen ein.
Die Universität zu Köln ist mit etwa 100.000 Studierenden die drittgrößte in Deutschland. Bezahlbarer Wohnraum ist in der Stadt nicht mehr zu finden. Im Durchschnitt muss man mit einem Quadratmeterpreis zwischen 12 und 15 Euro ohne Nebenkosten rechnen, vom Zustand der angebotenen Unterkünfte gar nicht zu reden. In der Nachbarstadt Bonn mit 36.000 Studierenden ist die Situation auch nicht besser.
Köln und Bonn verbindet aber eine Nahverkehrsstrecke der Bahn, an die sich Dörfer wie Alfter, Brühl, Sechtem oder Roisdorf reihen. Weil die Fahrt nur etwa 25 Minuten dauert, sind diese kleinen Orte nun zur attraktiven Wohngegend für Studierende geworden. Auch große Wohnungsbaugesellschaften haben das erkannt und in der Gegend Betonburgen mit teuren Einzimmerappartements hochgezogen.
Aber aus der Not ist auch eine Idee entstanden: Der Freiraum Alfter e.V. erwirbt mithilfe von Leih- und Schenkgemeinschaften und der Unterstützung der Genossenschaftsbank GLS Bank Bochum alte Häuser, nimmt sie auf diese Weise aus der Spekulationsmasse und schafft preiswerten Wohnraum. Die Mieter renovieren die Häuser in Eigenregie und zahlen mit ihren Mieten gleichzeitig den Kredit ab. So erwerben sie zwar kein Haus, aber ein lebenslanges Wohnrecht und ein Leben in Gemeinschaft.

Gekürztes Manuskript zur Sendung:
Stefanie: "Ich bin schon sehr oft umgezogen, während meiner Studienjahre - ich glaube sechs Mal - und habe immer gesucht nach einer WG, in der ich mich wohlfühlen kann. Andererseits wollte ich aber auch den Raum haben, was zu gestalten, mitzutragen. Und das habe ich hier beides sehr gut gefunden. Die Miete ist mir zu hoch hier…"
Stefanie lacht. Sie ist Künstlerin, studiert an der Alanus Hochschule in Alfter Bildhauerei und gehört zu einer Gruppe von neun Studierenden, die sich im benachbarten Roisdorf, am Fuße der bergigen Voreifel, ein altes Haus zum Wohnen teilen und gemeinsam herrichten. Stefanie scherzt über die Höhe der Miete, weil das Haus erst wieder ein richtiges Haus werden soll. Noch ist es eine Baustelle. Es regnet durch das Dach ausgerechnet in die Küche, in der alle am liebsten zusammensitzen.
"Momentan fällt ja das Glasdach der einen Häuserwand schräg rüber zu einem anderen Dach und da fließt das Wasser drauf ab, nur nicht so wie es sein sollte; also es tropft überall rein und das ganze Glas ist sehr alt und brüchig. Deswegen werden wir die Wände und das Dach wegreißen und stattdessen ein neues Dach hier bauen."
Das Gebäude, das an der gewundenen Hauptstraße zur Kirche liegt, ist eine ehemalige Gärtnerei. Es besteht eigentlich aus zwei Häusern, die schon vor vielen Jahren durch einen geräumigen Wintergarten miteinander verbunden wurden. Heute befindet sich hier die Küche. Damit jeder in der Gruppe ein eigenes Zimmer bewohnen kann, müssen Räume neu entworfen, Türen versetzt, Wände eingerissen und neu gemauert werden.
Neben ihrem Studium und den diversen Jobs, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen, investieren die Studierenden die wenige Freizeit, die ihnen bleibt in die Renovierung dieses Hauses. Dafür genießen sie zwar ein lebenslanges Wohnrecht, ihr Eigentum wird es aber das niemals sein. Und das kam so:
Theresa: "Wir wollten ja erst mal ein Haus nur mieten. Wir wollten ja nur mieten. Aber man muss sich in unserer Größe bei Villen umschauen. Und das Geld haben wir nicht, und es gab einfach im Raum Köln Bonn auch kein Haus, was für uns genug Platz gehabt hätte; weil die Häuser halt für kleine Familien für fünf Personen ausgelegt sind oder so - oder halt eine Villa. Und das konnten und wollten wir nicht."

Ohne Eigenkapital ein gemeinsames Projekt finanzieren

Theresa und sieben ihrer Kommilitonen hatten gerade ihr Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth mit Bachelor-Abschluss absolviert. Gemeinsam wollten sie an der neu gegründeten Cusanus-Hochschule in Bernkastel-Kues an der Mosel den Master-Studiengang anschließen. Voraussetzung war damals ein Umzug für die ganze Gruppe von Bayreuth in die Voreifel im südlichen Nordrhein-Westfalen, in das ländliche Gebiet zwischen Köln und Bonn. Dieses Vorhaben gestaltete sich nicht so einfach wie gewünscht.
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Die Universität zu Köln ist mit ca. 100.000 Studierenden die drittgrößte in Deutschland. Ausreichender Wohnraum mit bezahlbaren Mieten ist in der Stadt nicht mehr zu finden. Im Durchschnitt muss man mit einem Quadratmeterpreis zwischen 10 und 15 Euro ohne Nebenkosten rechnen. Vom Zustand der angebotenen Unterkünfte gar nicht zu reden. In der Nachbarstadt Bonn mit etwa 36.000 Studierenden ist die Situation nicht besser.
Aber Köln und Bonn verbindet eine Nahverkehrsstrecke der Deutschen Bahn. Die Fahrt dauert nur ca. 25 Minuten und führt vorbei an Dörfern wie Alfter, Brühl, Sechtem, Roisdorf. Dörfer, die dadurch in eine attraktive Wohngegend verwandelt werden. Das haben auch die großen Wohnungsbaugesellschaften erkannt. Immobilien- und Grundstückspreise sind hier in den letzten Jahren rasant gestiegen. Immer mehr alte Bauernhäuser verwandeln sich in Betonburgen mit teuren Einzimmerappartements. Aber es entstehen auch neue Ideen.
Ulrich Warntjen: "Das ist eine sehr interessante Geschichte, dass einer der Bankgründer der GLS Gemeinschaftsbank in Bochum, der Herr Barkoff, 1981 hier eine Epoche an der Alanus Hochschule gegeben hat, worin er dann unter anderem auch einige Zitate von Rudolf Steiner mit eingefügt hat, die sich auf sein Verständnis von Grund und Boden bezogen. Nämlich, dass Grund und Boden etwas ist, was nicht vermehrbar ist und deshalb eigentlich nicht Privateigentum sein kann, sondern nur allen zugänglich sein kann. Also man kann es wohl nutzen, aber nicht besitzen, oder dann weiterverkaufen und so weiter."
Ulrich Warntjen, der in den 80er-Jahren an der Alanus Hochschule in Alfter Schauspiel studierte, inspirierten die Ideen aus dieser Vortragsreihe. Er gehörte seit 1982 zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Freiraum Alfter e.V., der es sich zum Ziel gesetzt hat in dieser Region bezahlbaren Wohnraum zu erhalten.
"Da sind dann viele Studenten hellhörig geworden und haben ihn danach gefragt, wie können wir das denn konkret umsetzen? Daran sind wir interessiert! Ja, und dann ist eine Arbeitsgruppe entstanden und sehr schnell hat man ein Objekt gefunden: Das erste Haus in der Bahnhofstraße 31 in Alfter - und dieses Haus wurde dann mit Hilfe von sogenannten Leih- und Schenk-Gemeinschaften 1982 gekauft."
Leih- und Schenk-Gemeinschaften sind ein Instrument, mit dem eine Gruppe Gleichgesinnter ohne Eigenkapital auf freiwilliger Basis ein gemeinsames Projekt finanzieren kann.
"Sie funktionieren so, dass sich Menschen über einen bestimmten Zeitraum, den sie selber festlegen, verpflichten, monatlich einen bestimmten Betrag zu zahlen. Angefangen damals, ich meine sogar bei einer Mark. Aber die meisten haben fünf oder zehn Mark gegeben. Oder auch mehr. Und viele Studenten haben sich so da zusammengefunden, auch Dozenten der Alanus-Hochschule, Eltern, Freunde, und daraus ist das erste Eigenkapital entstanden. Und zusätzlich zu dem Eigenkapital wurde dann noch ein Kredit aufgenommen."

Eigene Kreditfähigkeit ist nicht nötig

Vermutlich hätte keines der Mitglieder der Arbeitsgruppe damals allein bei irgendeiner Bank einen Hauskredit erhalten. Aber als Gruppe hatten sie eine Chance. In gemeinschaftlicher Arbeit wurde das Haus in der Bahnhofstraße renoviert und schon bald konnten die ersten Studenten und Lehrer der Alanus-Hochschule einziehen. Die Mieten wurden so kalkuliert, dass der Kredit abbezahlt werden konnte. Alle Mitglieder sind auf diesem Weg gemeinsam Hausbesitzer geworden.
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Mit dem aktuellen Haus in Roisdorf, in das gerade die neun Studierenden aus Bayreuth eingezogen sind, hat der Freiraum Alfter e.V. gerade sehr erfolgreich das siebte Gebäude in der Region aus der Spekulationsmasse genommen. Nach verlassenen Scheunen, alten Ställen und maroden Bauernhäusern, die schon durch Besitz-Mieter zum Leben erweckt wurden, ist nun die alte Gärtnerei an der Reihe.
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Christoph Lützel: "GLS heißt Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken. Wir sind ja 40 Jahre alt. Damals war das so ein Begriff, den man heute vielleicht nicht mehr so verwenden würde, deswegen sagen wir heute auch ganz kurz GLS Bank."
Christoph Lützel ist der Pressesprecher des ungewöhnlichen Bankhauses.
"Die Bank gehört über 30.000 Mitgliedern und ist eine klassische genossenschaftlich aufgebaute Bank. "
Die GLS Bank hat auch den Studierenden und Mitgliedern des Freiraum Alfter e.V. die Kredite für Erwerb und Renovierung der Häuser eingeräumt.
Stefan Möller: "Das funktioniert auch nur, weil der Darlehensnehmer - also der Freiraum Alfter - so aufgestellt ist, wie er ist. Die haben nämlich keine Rendite-Erwartung, die wollen nicht Geld verdienen mit dem Projekt, mit der Immobilie, sondern Ziel ist es ja, Wohnraum günstig zur Verfügung zu stellen."
Stefan Möller ist als Kundenbetreuer für gemeinnützige Wohnprojekte bei der GLS Bank tätig. Alle seine Kunden teilen das Problem, als einzelne Personen nicht kreditfähig zu sein.
"Also die Herausforderung ist ja das Beibringen von Eigenkapital in so eine Finanzierung, was zwangsläufig immer mit eingebracht werden muss. Und auf der anderen Seite dann auch die nachhaltige Kapitaldienstfähigkeit, das heißt, die Rückzahlbarkeit des Darlehens muss gewährleistet sein. Und das geht in der Regel über kleinere Bürgschaften, die man mit rein nehmen kann, über Spenden, über Leih- und Schenk-Gemeinschaften, die wir auch in der GLS Bank anbieten; so dass man dann - unabhängig von dem einzelnen Studenten - eine Möglichkeit schafft, mit einer Gemeinschaft Wohnraum zur Verfügung zu stellen und überhaupt auch Wohnraum anschaffen zu können."

Auszug nur unter Bedingungen möglich

Das Haus folgt anderen Grundsätzen als der sogenannten "Wertschöpfung durch die Arbeit des Geldes", dem Wachstum um des Wachstums willen.
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Trotzdem wächst das Geld-Institut.
Christoph Lützel: "Wir machen ein Angebot, ein Bankangebot, und wenn wir diese Arbeit des sozialökologischen Bankings, wenn wir das gut machen, dann kommen auch Kunden zu uns. Und dann kommt hinten natürlich ein Wachstum bei raus."
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Die Gruppe aus Bayreuth ist über ein Inserat auf den Verein Freiraum
Alfter e.V. aufmerksam geworden. Mit seiner Unterstützung begannen sie dann ein geeignetes Haus zu suchen.
Theresa: "Wir haben uns vorher überlegt, was wir uns maximal an Mieten leisten können. Und wir haben uns überlegt, ja, 300 ist absolute Schmerzgrenze. Dann haben wir eine Kostenkalkulation aufgestellt und das mit dem Bankvertreter besprochen. Das alles, was wir machen, zahlen wir sozusagen über die Mieten. Wir sind alle so jung und wir dürfen jetzt schon unseren Wohnraum gestalten, normalerweise ist das so eine Sache: Ich studiere, dann kriege ich meinen ersten Job, und dann arbeite ich und dann will ich vielleicht Kinder und dann kaufe ich mir ein Haus, verschulde mich und kann erst mit 30 oder 40 meinen eigenen Wohnraum einrichten. Und das erfahre ich als ein großes Geschenk."
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Die alteingesessenen Dorfbewohner waren anfangs misstrauisch gegenüber den zugezogenen Bewohnern. Seit diese sie aber zum Richtfest eingeladen haben, ist alle Fremdheit verschwunden. In der Gemeinsamkeit ist es der Gruppe gelungen, sich ein Zuhause zu erschaffen, das an Lebensqualität seines Gleichen sucht. Die jungen Leute haben sich für mindestens zehn Jahre festgelegt, um dieses Ziel zu erreichen.
Der Auszug ist nur möglich, wenn ein Nachmieter bereit ist, die noch offene Kreditverbindlichkeit des ausziehenden Gruppenmitglieds zu übernehmen. Die verbleibenden Gruppenmitglieder im Haus müssen sich einstimmig für diesen Nachmieter entscheiden. Die lange Festlegung unterscheidet die Gruppe von einer reinen Zweck-Wohngemeinschaft. Angst vor dieser jahrelangen Verpflichtung einer Gemeinschaft gegenüber haben die einzelnen Mitglieder nicht. Sie haben diese Verbindlichkeit gegenüber der Gruppe selbst gewählt. Und wer einmal mit am Küchentisch gesessen hat, kann das durchaus verstehen.
(abr)
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