Premiere "Im Stein" in Stuttgart

Sex, Würfel und Video

Holger Stockhaus in dem Theaterstück "Im Stein" nach dem Roman von Clemens Meyer in Stuttgart
Holger Stockhaus in dem Theaterstück "Im Stein" nach dem Roman von Clemens Meyer in Stuttgart © dpa / picture alliance / Schauspiel Stuttgart / Ilja Duron
Von Rainer Zerbst · 18.04.2015
Clemens Meyers Roman "Im Stein" spielt im Rotlichtmilieu einer erfundenen Stadt, die aber unschwer als Leipzig zu identifizieren ist. Regisseur Sebastian Hartmann hat das Buch für die Bühne bearbeitet und in Stuttgart inszeniert.
Das Stück beginnt in hohem Stil, als hätte Homer den Text geschrieben. Dabei geht es in Meyers Buch und eben auch in Hartmanns Stück um die Niederungen unserer Gesellschaft, um Angst, Gewalt, Zwang – um das Rotlichtmilieu. Hartmann führt uns das – nicht selten krass sexuelle – Geschehen drastisch vor, wir rücken als Zuschauer diesem Treiben geradezu hautnah auf den Leib, denn bei Hartmann sehen wir nicht, wie üblich im Theater, die Schauspieler auf der Bühne. Sie spielen ihre Rollen versteckt in einem riesigen Würfel, beobachtet von mehreren Videokameras, und was diese Kameras filmen, wird für uns auf die Außenwand des Würfels projiziert.
Das ist eine technische Meisterleistung par excellence, sie gelingt so perfekt, dass man meint, man habe einen Film aus den Luxusstudios Hollywoods vor sich. Hartmann mischt dabei nicht nur raffiniert die verschiedenen Kameraperspektiven, er überblendet die Szenen auch noch mit Bildern aus der Kunstgeschichte – dem Turmbau zu Babel beispielsweise – und unterlegt die Bilder mit Musik von Händel bis zu aggressivem Pop. Meyers Roman ist nicht leicht zu lesen, seine Kapitel bestehen zum größten Teil aus Gedanken verschiedenster Figuren, eine Handlung gibt es nicht, nur andeutungsweise begegnet man immer wieder einem Kommissar, der seine Freizeit am liebsten bei Prostituierten verbringt, einem Vater, dessen Tochter vor Jahrzehnten im Rotlichtmilieu verschollen ist.
Meisterhaft, aber auch langweilig
Bei Hartmann wird das alles etwas konkreter, stellenweise meint man, bei einem "Tatort" dabei zu sein. Das erleichtert ein wenig das Verständnis, aber auch bei Hartmann bleibt der Zuschauer nicht selten ratlos vor den Textmassen – und spätestens wenn er dann auch noch eine Parodie auf das Krimigeschehen auf die Bühne bringt, fragt man sich, was das mit dem Thema zu tun hat.
Eigentlich wohnt man an diesem Abend nicht einem Theaterstück bei, sondern einem Film. Nur gelegentlich gewährt Hartmann uns Einblicke in den Würfel, und wir sehen, dass alles live ist. Meisterhaft! Doch leider hat Hartmann jedes Gefühl für Zeitdimensionen verloren. Die meisten dieser Szenen dauern meistens 15 bis 20 Minuten, dabei hat man bereits nach fünf Minuten verstanden, was sie bedeuten sollen. Danach breitet sich nur noch Langeweile aus.
Nach der Pause versucht er uns in beklemmenden Szenen das deprimierende Lebensgefühl der Szene nahezubringen – mit rasanten Szenenwechseln und dröhnender Musik. Wenige Minuten hätten ausgereicht – bei Hartmann dehnt es sich eine halbe Stunde lang aus. Das ist geradezu ein Jammer, denn Schauspieler und Techniker liefern Höchstleistungen. Es hätte ein faszinierendes Erlebnis für Auge und Ohr werden können, hätte Hartmann jede dieser Szenen auf ein Drittel gekürzt. So wurde eine fast vier Stunden währende Zumutung daraus.
Informationen des Staatstheaters Stuttgart zur Inszenierung von "Im Stein"
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