"Praxisgebühr ist eine angemessene Form der Selbstbeteiligung"

Jens Spahn im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 12.10.2012
Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn hat bekräftigt, dass nach dem Wunsch seiner Partei vor der Bundestagswahl 2013 weder die Praxisgebühr abgeschafft werde noch die Krankenkassenbeiträge sinken sollen.
Korbinian Frenzel: Wir reden jetzt über ein Luxusproblem: Wir, wir alle, wir haben zu viel Geld. Und wenn Sie das noch nicht bemerkt haben, dann liegt es daran, dass das Geld im großen Topf der Krankenversicherungen schlummert. Mehr als zwölf Milliarden Euro haben sich im Gesundheitsfonds angesammelt, zusätzlich zu den Milliarden, die direkt bei den Krankenkassen auf den Konten liegen. Insgesamt sind das weit über 20 Milliarden Euro. Was also machen mit dem vielen Geld? Eine große Krankenkasse, die hat jetzt schon Konsequenzen gezogen, die KKH zahlt ihren Versicherten ab Januar die Praxisgebühr zurück. Und die Begründung, die ist interessant, Zitat: "Wir wollen unsere Versicherten nicht warten lassen, bis auch der Gesetzgeber zu dieser Einsicht kommt und die Gebühr endlich abschafft", Zitat Ende. Und wir wollen gerne mal hören, was der Gesetzgeber dazu sagt. Am Telefon begrüße ich Jens Spahn, den gesundheitspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, guten Morgen!

Jens Spahn: Schönen guten Morgen!

Frenzel: Kommen Sie endlich zu dieser Einsicht und schaffen die Gebühr ab? Ihr Gesundheitsminister ist ja bereit dazu!

Spahn: Nein, die Praxisgebühr ist eine auch angemessene Form der Selbstbeteiligung von Patienten. Die macht deutlich: Gesundheit, die Gesundheitsdienstleistungen, das Angebot beim Arzt ist auch was wert. Es wird ja auch niemand überfordert durch Höchstgrenzen. Und sie bringen, zum Zweiten, zwei Milliarden Euro ein, die fehlen dann jedes Jahr. Wir haben jetzt vielleicht eine gute finanzielle Situation, aber man muss dann eben auch dauerhaft einen solchen Ausfall finanzieren.

Frenzel: Aber zwei Milliarden Euro im Vergleich zu den zwölf Milliarden, die allein im Gesundheitsfonds sind, das sind doch Peanuts! Das heißt: Sie haben doch alle Spielräume, um das zu tun!

Spahn: Wir geben in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr etwa 180, 185 Milliarden Euro aus. Das macht deutlich, zwölf Milliarden Euro ist viel Geld, aber es sind nicht einmal die Kosten, die Ausgaben eines Monats. Insofern plädieren wir als Union dafür, dies auch als Rücklage zu behalten. Das ist im Grunde ein Schatz, den wir hüten sollten für schlechte Zeiten, anstatt ihn zu verprassen und dann mit einem Kater irgendwann aufzuwachen. Denn sobald es wirtschaftlich etwas anders, etwas schlechter läuft, Arbeitslosigkeit möglicherweise wieder steigt, sieht es in den Sozialkassen ganz, ganz schnell auch ganz anders aus.

Frenzel: Krankenkassen sind keine Sparkassen, das hat Gesundheitsminister Daniel Bahr gesagt. Und auch aus Ihren Reihen, auch von Ihnen kam die Forderung an die Krankenversicherungen mit Blick auf die Überschüsse, die sich dort gesammelt haben, das den Versicherten zurückzugeben. Das heißt, sie verlangen etwas von den Krankenkassen, was Sie aber selbst als Politik nicht erfüllen wollen mit Ihren Überschüssen?

Spahn: Ja, nun muss man ja unterscheiden: Der Gesundheitsfonds, das ist sozusagen die Institution, die auch vor allem Rücklagen, Vorsorge für die Zukunft schaffen soll, weil, sie verteilt ja jedes Jahr an die Kassen das Geld. Wenn einzelne Kassen sehr hohe Rücklagen haben, wie etwa die Techniker Krankenkasse, wie etwa auch andere, kleinere Kassen, dann sollten sie das - und das ist unsere Forderung - an die Mitglieder, an die Versicherten zurückgeben. Und das tun ja immer mehr. Die Techniker wird was ausschütten, die KKH macht es jetzt über den Weg der Praxisgebühr, viele andere Kassen machen das auch. Und das ist ein Preiswettbewerb, den wir auch wollen. Wie es früher Beitragssatzunterschiede gab, gibt es eben heute den Unterschied: Einige Kassen brauchen Zusatzbeitrag, andere schütten was aus.

Frenzel: Ich könnte Ihnen ja noch folgen in der Argumentation, wenn wir dieses Jahr noch gute Zahlen hätten, aber sich schon die Abkühlung darstellen würde. Aber die Schätzer haben ja gestern auch gesagt, auch im nächsten Jahr kommen noch mal zwei Milliarden dazu. Ich kann Ihre Sorge um den Gesundheitsfonds also wirklich nicht verstehen.

Spahn: Na ja, das ist ja die Frage, ob Sie Politik immer nur für ein oder zwei Jahre machen oder ob wir mal mittel- und langfristig planen wollen. Ich jedenfalls will nicht wieder in eine Situation kommen, wo wir alle ein, zwei Jahre den Beitragssatz hoch-, runtersetzen und da Veränderungen haben, sondern ich fände es gut, wenn wir mal drei, vier, fünf Jahre auch Planbarkeit, Verlässlichkeit in der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung haben. Das ist das Beste, was Patienten und übrigens auch Ärzten und Krankenhäusern passieren kann, wenn die Zahlen mal dauerhaft einigermaßen stabil bleiben. Und deswegen sollten wir diese Rücklage erhalten genau für diesen Zweck. Weil, im nächsten Jahr - das steht jetzt schon fest - werden die Ausgaben für Ärzte, für Krankenhäuser, für Arzneimittel, für Apotheken schon wieder deutlich steigen!

Frenzel: Die Rücklagen erhalten, das ist also Ihr Argument für die Gesundheitsseite. Bei der Rentenseite argumentieren Sie genau andersrum, da gibt es Rücklagen, 28,8 Milliarden Euro haben sich durch die gute Konjunktur in der Rentenkasse angesammelt, und da sagen Sie, das wollen Sie den Versicherten zurückgeben über eine Senkung, über eine Senkung der Rentenbeiträge. Wie passt das zusammen?

Spahn: Wir geben ja den Versicherten über die Rentenversicherungsbeitragssenkung einen Teil der Rücklagen zurück. Natürlich behalten wir auch in der Rentenversicherung im zweistelligen Milliardenbereich Rücklagen, das ist auch richtig. Auch da wollen wir Konjunkturentwicklungen, Abschwächungen möglicherweise auch abfangen können, aber ...

Frenzel: Aber warum behalten Sie nicht alle?

Spahn: In der Rentenversicherung sind die Rücklagen mittlerweile so hoch, dass man hier auch ein Stück weit den Beitrag senken kann. Und es macht ja schon Sinn. Und insofern muss man immer die Sozialversicherungsbeiträge insgesamt sehen in der Zeit, wo sich zumindest am Horizont die Konjunktur etwas eintrübt. In der Autoindustrie gibt es ja schon die ersten auch Probleme durchaus, weil eben im Ausland natürlich nicht mehr so viele Leute auch Autos kaufen können, wenn es wirtschaftlich schlecht läuft. Dann macht doch Sinn, die Menschen, die Wirtschaft beide zu entlasten durch eine Beitragssatzsenkung. Also, insgesamt in den Sozialversicherungsbeiträgen machen wir ja eine Senkung, aber wir wollen in allen Systemen auch eine angemessene Rücklage behalten. Auch in der Rente im Übrigen werden wir eine behalten!

Frenzel: Sie zählen zu den jungen Abgeordneten, haben auch mit anderen fraktionsübergreifend eine Gruppe gegründet, die sich dem Ziel der Generationengerechtigkeit verschrieben hat. Müssen wir nicht grundsätzlich unsere Sozialsysteme so aufbauen, so umbauen, dass sie in guten Zeiten Überschüsse anhäufen, um gewappnet zu sein für Krisen? Also, müssen wir nicht dann auch bei der Rente sagen, da brauchen wir mehr?

Spahn: Wir müssen grundsätzlich und sollten in den sozialen Sicherungssystemen, gerade bei der Renten- und Krankenversicherung, Rücklagen haben, auch Rücklagen erhalten und auch gegen Begehrlichkeiten, wie wir sie gerade jetzt wieder erleben, auch bei der Praxisgebühr, verteidigen. Das ist nicht immer populär, aber, ich denke, langfristig das Richtigere. Und deswegen, ja, stimme ich Ihnen zu, muss es auch in der Rentenversicherung so sein, dass da Rücklagen bleiben. Das wird ja auch so sein. Nur dass man sich ein ... - ich möchte das noch eben hinzufügen -, das sind Rücklagen, die gegen Krisen und konjunkturelle Entwicklung helfen, und dauerhaft bei, angesichts der Alterung der Gesellschaft. Wir sind ja, das haben wir dieser Tage erfahren, das älte ... , eines der ältesten Länder der Welt im Durchschnittsalter. Um da vorzusorgen jedenfalls, reichen diese Summen allein bei Weitem nicht.

Frenzel: Ich frage noch einmal fürs Protokoll, Herr Spahn: Es wird also vor der Bundestagswahl weder eine Abschaffung der Praxisgebühr geben noch eine Senkung der Krankenkassenbeiträge?

Spahn: Wir als Union jedenfalls werden dafür kämpfen, eintreten, argumentieren, dass wir die Rücklagen behalten und die Praxisgebühr nicht abschaffen.

Frenzel: Mal sehen, ob Sie sich damit durchsetzen! - Überschüsse bei den Krankenkassen, was tun mit dem Geldsegen? Dazu war das Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Spahn: Sehr gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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