Postkarten aus Athen (2)

Die Stillen von Athen

Von Andreas Schäfer · 20.01.2015
In Athen regiert die Stille, schreibt der Autor Andreas Schäfer. Er schickt uns in der Rubrik "Originalton" Postkarten aus der griechischen Hauptstadt, in denen er die Stimmung und Atmosphäre vor der Wahl am Sonntag einfängt.
Athen ist still. Es gibt zwar kaum Grünanalagen und Parks, dafür allein in der Innenstadt vier Hügel, die wie Raum gewordene Atempausen aus der Betonebene ragen. Den Strefi-Hügel in Exárchia, den Lykavittos, die Akropolis, an deren Nordosthang im 19. Jahrhundert Handwerker von der Insel Anafi ein Viertel im Stil der Kykladen errichtet haben. Mit weißen Häuschen und engen Gassen, durch die kein Auto passt.
Nicht weit von der Akropolis befindet sich der langgestreckte Filopappou, hier gibt es sogar Oliven, die jetzt, zu Beginn des Winters, geerntet werden. Ein Mann schlägt mit einer Stange in die Äste eines Baumes, und die Oliven prasseln in eine auf dem Boden liegende Plane. Der Schriftsteller Nikos Panajotopoulos, dessen Buch "Die Erfindung des Zweifels" auch auf Deutsch erschienen ist, denkt bei der Athener Stille aber weniger an verwunschene Orte oder ruhige Ecken.
In Athen regiert die Stille, sagt er. Die Menschen wollen nicht darüber reden, was mit ihnen geschieht. Wie der Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt und glaubt, er habe auf diese Weise die Gefahr aus der Welt geschafft. In Athen spricht niemand über die harte Wirklichkeit der Stadt. Du hörst Menschen, die sagen, ich bin kein Rassist – ich will bloß keine Einwanderer. Wir sind keine Nationalisten, aber alles Gute kommt eben aus Griechenland. Stille bedeutet, dass du nicht in den Spiegel gucken willst.
Es gibt kein Fernsehen mehr
Es gibt aber auch eine positive Stille. Das ist das Schweigen derer, die nicht mitmachen wollen. Diese Menschen sitzen am Rand und schweigen oder sie reden sehr leise, sie sprechen für wenige, die sie verstehen. Wie soll man das herrschende Gerede beschreiben? Jeder spricht nur aus seiner engen Perspektive heraus, nicht um sich zu verständigen, sondern um die eigene Stimme zu hören. Und gleichzeitig schreit dein Gegenüber noch lauter, damit auch er sich hören kann. Das ist kein Gespräch, das ist Theater.
Ein Teil der Stille besteht darin, dass es kein Fernsehen mehr gibt. Stell Dir vor, das öffentliche Fernsehen in Griechenland besteht aus drei Sendern, die alle das gleiche zeigen: Wiederholungen von Fußball- und Basketballspielen. Allerdings zeigen sie nur die Spiele, in denen die griechische Nationalmannschaft gewonnen hat. Das ist gespenstisch. Und auf den privaten Kanälen sieht man türkische Soap-Opern oder Kochsendungen. Auch das ist eine Stille. Eine lärmende Stille.
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche stammen sie von dem Berliner Schriftsteller Andreas Schäfer.
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