Pop-Art in der Antike

Von Volkhard App · 02.04.2007
Bislang prägten weiße Marmorbüsten und -statuen unser Bild von der Antike. Neuere Forschungen und Pigmentuntersuchungen zeigen aber: Die meisten der antiken Skulpturen waren hemmungslos bunt. Eindrucksvoll belegt dies die Ausstellung "Bunte Götter" in Hamburg.
Hemmungslos bunt kommt die Antike daher - nicht mehr mit jener "edlen Einfalt und stillen Größe", die durch die Einfarbigkeit der Marmorskulpturen und -bauten beglaubigt schien. Wo immer die Münchner Forscher und Ausstellungsmacher ihre grell bemalten Figuren und polychromen Fries-Rekonstruktionen aufbauen, wirken diese Exponate, als hätte sich unsere tabulose Gegenwart die antike Kunst einverleibt.

Was in der Nachbildung aber wie eine grelle Popart-Verfremdung anmutet, kommt dem ursprünglichen Erscheinungsbild der griechischen Figuren und Bauwerke zumindest nahe - behaupten diese Experten. Mit Streiflicht und UV-Strahlen sind sie über Jahre antiker Kunst zuleibe gerückt, haben die Farbreste aufgespürt und analysiert und sorgen mit farbigen Nachbildungen für eine neue Deutung antiker Kunst.

Und doch, trotz dieser wissenschaftlichen Grundlegung, ist der Schock beim Besuch der Schau nicht gering. Gleich am Eingang das Relief eines Kämpfers - so bunt, dass man an einen derben Scherz glauben möchte. Und der mythische Bogenschütze vom Westgiebel des Aphaia-Tempels trägt ein Gewand in sattem Gelb, die Ärmel und Hosenbeine sind mit markanten Mustern verziert - dieser Held könnte glatt einem Comic-Strip entsprungen sein. Die Mähne eines an Gräbern wachenden Löwen, ursprünglich entstanden um 550 v. Chr., ist wiederum in ein auffälliges Blau getaucht, und auch der erstmals gezeigte Fries des "Siphnier-Schatzhauses" folgt trotz hier und da weiß gelassener Partien dem Tenor, dem Bekenntnis zur Farbe.

Wieweit hat sich denn die Fachwelt mit all diesen Rekonstruktionen angefreundet? Vinzenz Brinkmann, stellvertretender Leiter des Skulpturenmuseums "Glyptothek" und Motor dieser Präsentation:

"Die Kollegenschaft hängt natürlich auch der gewohnten Vorstellung einer marmorweißen Antike nach, die sich im 20. Jahrhundert aufgebaut hat. Diese Vorstellung ist schwer zu bekämpfen. Wenn Kritik an meiner Arbeit laut wird, bezieht sie sich auf die Intensität der Farbe. Kollegen sagen, viele Details seien ja stimmig, fragen aber, ob die Farben denn wirklich so kräftig gewesen seien."

Dabei ist der mit güldenem Panzer und rotblauem Zierrat ausgestattete Torso eines Kriegers fast schon eine Geschmacksfrage. Auch der Kopf des Kaisers Caligula erhält durch Bemalung eine völlig neue Wirkung: keine Stilisierung mehr aus ferner Zeit, plastisch ragt er ins Hier und Jetzt - mit kastanienbraunem Haar, nahezu Hollywoodreif. Immer wieder stellt sich beim Rundgang allerdings die Frage, ob eine solche Rekonstruktion in allen Einzelheiten abgesichert ist:

"Natürlich sind Rekonstruktionen immer eine Annäherung - mit hypothetischem Charakter. Deshalb bieten wir zu einzelnen Stücken auch zwei Varianten an. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, die Forschung bewegt sich weiter. Und doch ist es möglich, ein erstes deutliches Bild bestimmter Objekte herzustellen."

Ironischerweise wirken gerade die naturbelassenen "Originalstücke", die man zum direkten Vergleich mit den farbigen Repliken in die Räume gestellt hat, wie angenehme Ruhepunkte - die das Auge auch dringend braucht. Dass sich die Moderne lange nicht auf die Farbigkeit antiker Skulpturen einlassen wollte, hat - Brinkmann zufolge - mit dem Zug zur Abstraktion im 20. Jahrhundert zu tun:

"Wir wollen das ureuropäische Bild des griechischen Intellektuellen in Verbindung bringen mit einer gewissen Abstraktion hin zur reinen Form. Wir sind im 20. Jahrhundert, ohne dass wir das klar ausgesprochen haben, immer der Überzeugung gewesen, dass Form - plastische und räumliche Form - und Farbe nicht miteinander verbunden werden dürfen."

Zur Substanz dieser Schau trägt bei, dass man sich der Vorgeschichte vergewissert und die Anfänge der Farbrecherche einbezieht. Frank Hildebrandt, Ausstellungsleiter in Hamburg:

"Erst 1810/11 mit den Ausgrabungen des Aphaia-Tempels auf Aigina setzte das große Interesse an der Farbigkeit ein, denn man fand Architekturglieder und Skulpturen mit deutlich Farbspuren. Johann Martin von Wagner konnte dort das Phänomen des Verwitterungsreliefs beobachten: dass unterschiedliche Farben unterschiedlich schnell verwittern und an der Oberfläche eine Art Landschaft hinterlassen, die Rückschlüsse auf die Farben zulässt. Der nächste Große auf der Wegstrecke war dann der Hamburger Gottfried Semper, der zwischen 1830 und 33 in Italien und Griechenland unterwegs war und schließlich für eine entschiedene Farbigkeit plädierte, weil er immer wieder auf Farbreste gestoßen war."

Semper publizierte seine Einblicke und brachte kolorierte Ansichten antiker Bauten zu Papier. Und sicher sehen sich Vinzenz Brinkmann und seine Mitstreiter argumentativ in der Nachfolge dieses Baumeisters.

"Bunte Götter" an vielen Orten: kürzlich hat man sich mit einer Auswahl von Exponaten sogar in die Heimat dieser Kunst vorgewagt, hat "Eulen nach Athen getragen". Aber diese "Eulen" waren eben knallig bemalt. Brinkmann:

"Die Griechen waren hellauf begeistert, die Kataloge sehr schnell ausverkauft. Denn die Schau bietet einen neuen, sehr sinnlichen Zugang zur antiken Kunst. Und es ist jetzt klarer, was diese Kunst erzählt."

Auch wenn beim Anblick der monströsen Farbintensität letzte Zweifel nicht schwinden wollen, ist doch eine vorsichtige Korrektur unseres Bildes von der Antike nötig. Immerhin haben wir ja die Gewissheit, dass uns die vertrauten "edlen" und eher "stillen" Exponate in den Museen erhalten bleiben. Kein Direktor käme auf die Idee, die Skulpturen seiner Sammlung anzustreichen. Das wäre geradezu ein Kündigungsgrund.

Service:
Die Ausstellung "Bunte Götter - Die farbenfrohe Welt der Alten Griechen" ist noch bis zum 1. Juli 2007 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zu sehen.