Politologe: Feminismus-Streit basiert auch auf Generationenkonflikt

Thomas Gesterkamp im Gespräch mit Christopher Ricke · 10.11.2010
Für den Politikwissenschaftler Thomas Gesterkamp ist der Streit zwischen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) und der Feministin Alice Schwarzer vor allem Ausdruck eines Generationenkonflikts. Junge Frauen von heute betrachteten sich nicht unbedingt als Feministinnen, so Gesterkamp.
Christopher Ricke: Die Familienministerin Kristina Schröder hat es gerade schwer: Mit ihren Thesen zum Feminismus hat sie sich nicht nur Ärger mit Alice Schwarzer eingehandelt, sondern auch mit SPD-Vize Manuela Schwesig: So viel Unsinn im Zusammenhang mit Frauenpolitik habe sie lange nicht mehr gelesen, sagt Schwesig. Ähnliche Töne auch aus der Partei Die Linke, etwas mehr Verständnis für die Ministerin bei der FDP. Dabei hat Frau Schröder eigentlich nichts anderes getan, als zu sagen, dass sie glaube, dass zumindest der frühe Feminismus teilweise übersehen habe, dass Partnerschaft und Kinder auch Glück spenden, und das in der Feminismusdebatte manchmal ein wenig überzogen worden sei. Ich spreche jetzt mit Thomas Gesterkamp, er hat über männliche Arbeits- und Lebensstile in der Informationsgesellschaft promoviert, er hat ein Buch vorgelegt, das heißt "Die Krise der Kerle", er ist ein Fachmann für Geschlechtergerechtigkeit, aber er kommt eben von der Männerseite. Guten Morgen, Herr Gesterkamp!

Thomas Gesterkamp: Guten Morgen!

Ricke: Verstehen Sie denn den Streit zwischen den Altfeministinnen und der Ministerin?

Gesterkamp: Frau Schröder muss sich natürlich erst mal mit neuen Themen profilieren, um aus dem Schatten ihrer Vorgängerin, Frau von der Leyen, zu treten, die ja so ein bisschen omnipräsent ist in der Politik. Dahinter steckt aber glaube ich schon auch ein Generationenthema, dass die jungen Frauen sich eben nicht unbedingt als Feministinnen betrachten. Und das, glaube ich, hat damit zu tun, dass sich Schieflagen im Geschlechterverhältnis biografisch heute später einstellen, also da geht es nun wirklich nicht darum, wer oben oder unten liegt beim Sex, sondern es geht um Familie, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um Strukturen der Arbeitswelt, und da ist es natürlich schon problematisch, wenn Frau Schröder sagt, es gäbe kein Gender Pay Gap, also keine Lohndifferenz, beziehungsweise wenn es die gäbe, dann läge das daran, dass die Frauen eben nicht Elektrotechnik studieren. Also da macht sie es sich ein bisschen leicht.

Ricke: Aber Herr Gesterkamp, ich kenne keinen Tarifvertrag, der nach Geschlechtern unterscheidet, also überall, wo ich schon mal in Tarifverträge geguckt habe: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, für alle Geschlechter.

Gesterkamp: In der Tat, ja, das ist glaube ich auch nicht mehr das Thema, sondern gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit ist das Thema. Es geht darum, dass zum Beispiel Erziehungs- und Pflegeberufe zu schlecht bezahlt werden. Wir beklagen uns ja immer über die schwierigen Jungs in der Schule, und das hat ganz viel damit zu tun, dass zum Beispiel die Zahl der Grundschullehrerinnen von zwei Drittel auf 90 Prozent gestiegen ist inzwischen, und das hat was mit der schlechten Bezahlung zu tun. Also warum eine Grundschullehrerin weniger verdient als ein Gymnasiallehrer, hat mir noch niemand erklären können.

Ricke: Jetzt hat die Ministerin Schröder ja Ärger mit Alice Schwarzer, mit einer Frau, die doppelt so alt ist wie sie. Und das, was Frau Schwarzer und ihre Feministinnen erkämpft haben, ist ja für die Generation Schröder schon selbstverständlich. Ist das Teil des Problems der Diskussion?

Gesterkamp: Ja, ja, das meinte ich ja damit, also wenn ich mich erinnere an diese Zeit, ich war damals ... jetzt bin ich nicht so alt wie Frau Schwarzer, sondern sozusagen zwischen diesen beiden Generationen, da ging es ja auch ganz viel um Beziehungen. Und zum Teil, also diese Polemik von Frau Schröder da in dem Interview im "Spiegel", wo sie dann sagt, die Feministinnen wären alle lesbisch, das ist natürlich ein billiges Klischee, aber es gab schon so eine untergründige Männerabgrenzung oder Männerfeindlichkeit in der feministischen Szene in der Frühphase. Das ist aber vorbei, also die heutigen jungen Frauen, die sich vielleicht auch als Feministinnen bezeichnen, die haben nichts gegen Männer.

Ricke: Vielleicht können wir in dieser Diskussion vermitteln, als Männer, sozusagen als Außenstehende bei diesem Streit zwischen Frauen, weil wir als Männer ja in den letzten Jahrzehnten durchaus gelernt haben, dass Gleichberechtigung heißt: Beiden muss es gut gehen, es funktioniert nur partnerschaftlich. Helfen wir da?

Gesterkamp: Ja, wir sollten beide, wenn man jetzt meinetwegen an die Vereinbarkeit von Familie und Beruf denkt, beide gegen gesellschaftliche Strukturen ankämpfen, auch betriebliche Strukturen, die es ganz schwierig machen, da die richtige Balance zu finden. Und das ist ja jetzt weniger ein Problem von Männern und von Frauen, vielleicht ist es ein Problem des Patriarchats in dem Sinne, dass das auch die Arbeitswelt immer noch prägt. Also wenn Männer wie Frauen 40 Stunden arbeiten plus Überstunden plus Wegezeiten, dann ist das ja nicht besonders familienfreundlich. Und ich habe da dieser ganzen Rhetorik der Unternehmensberater auch immer sehr skeptisch gegenübergestanden. Also wir brauchen ja eigentlich Strukturen jenseits dieser alten männlichen Normalarbeit, und das gilt dann für Männer wie für Frauen.

Ricke: Aha, das heißt also Postfeminismus und Postpatriarchat verbindet sich, weil sich die Männerwelt, genauso wie die Frauenwelt, stark verändert hat. Arbeiten wir jetzt an einer gemeinsamen Menschenwelt?

Gesterkamp: Ja, kann man so nennen, kann man so nennen, und die Situation in der Arbeitswelt, Sie haben am Anfang dieses Buch "Krise der Kerle", was ich geschrieben habe, angesprochen, verändert sich ja im Moment auch massiv, und zwar auch durchaus zugunsten der Frauen, sie sind sozusagen besser vorbereitet auf die Dienstleistungsgesellschaft. Der ganze Servicebereich, der wird ja eher den Frauen zugeschrieben, die sogenannten weichen Skills. Also wenn man sich überlegt, dass in den letzten 20 Jahren mehrere Millionen Arbeitsplätze in der Industrie verlorengegangen sind, dann ist es ja auch nicht ganz falsch, über Jungen- und Männerpolitik nachzudenken. Ich finde, dass Frau Schröder recht hat, wenn sie da jetzt ein eigenes Referat in ihrem Ministerium einrichtet, denn in der Vergangenheit war es ja so, dass Männer da gar nicht vorkamen, also weder im Namen des Ministeriums, noch in der Praxis. Also man hat dann immer gesagt, wir denken die Männer mit, aber dass Männer auch Probleme haben, dass das jetzt auch einen eigenen Stellenwert hat, auch institutionell, das finde ich richtig. Man muss dann nur sehr stark differenzieren, also wenn zum Beispiel gesagt wird, Jungen sind in der Schule die Bildungsverlierer, dann stimmt das natürlich nicht für alle Jungs. Es gibt immer noch supergute männliche Schüler, die im Physik-Leistungskurs sitzen und später Ingenieur werden, aber es gibt eben auch Migrantenjugendliche, die keinen Schulabschluss machen und nachher auch große Probleme haben auf dem Arbeitsmarkt.

Ricke: Vielen Dank, Thomas Gesterkamp, der Mitbegründer des Väter-Experten-Netzes Deutschland zur aktuellen Feminismusdebatte.