Politisch absolut unkorrekt

Von Daniela Mayer · 31.10.2006
Man nennt ihn den zynischen Rächer, den bösen Buben, den fabelhaften Quentin Tarantino des politischen Kabaretts: Hagen Rether. Seine verbalen Schläge treffen rechts und links und immer wieder mitten hinein in die Gesellschaft - so hart, dass selbst dem Publikum die Luft wegbleibt.
Mit einem entschlossenen Griff zum Haarband befreit sich Hagen Rether von seinem Zopf. Das Markenzeichen, von dem der "Mann mit dem Pferdeschwanz" selbstironisch sagt, es wäre der eigentliche Grund, warum das Publikum von ihm so begeistert sei. Jetzt liegen die Haare schwer auf seinen Schulter, seine schmalen Finger lockern sie und greifen dann zur Zigarette. Es ist Mitternacht, in einer Umkleidekabine für Mädchen – Atempause nach drei Stunden "Liebe".

"Viele fragen mich, Hagen, warum heißt dein Programm eigentlich Liebe? Meine Mutter sagt immer: Hagen, Liebe macht blind. Mein Vater sagt immer, Hagen, Wixen macht blind. Mir war bald klar, blind würde ich ohnehin, also machste Kabarett."

Genau das hat er getan, an diesem Abend in der Aula in Aachen. Dort saß Hagen Rether gerade noch am Klavier und füllte den ausverkauften Saal mit dem, was der tatsächliche Grund für die allgemeine Begeisterung ist: sein gnadenloser Zynismus.

"Ikea hat jetzt seine erste Filiale in Saudi-Arabien eröffnet. Und weil der Ansturm so groß war, sind drei Leute tot getrampelt worden."

Gepaart mit treffsicherem Timing.

"Wohnst du schon oder lebst du noch?"

Letzteres Talent kann und will Hagen Rether gar nicht bestreiten.

"Hat man oder hat man nicht. Ich kenn keinen, der Timing gelernt hat."

Den Zynismus allerdings, weist er weit von sich.

"Wie soll man zynische Sachverhalte anders erzählen als zynisch? Und was weh tut, ist nicht immer gleich zynisch. Das ist schlicht und einfach nur wahr."

Hagen Rether ist politisch absolut unkorrekt. Er sagt laut und deutlich das, was andere nur denken.

"Seit Kanter, Koch und Kiep und Kohl steht das Kürzel CDU für Club der Untersuchungshäftlinge."

Inhaltlich ist das nicht neu.

"Was Qualtinger und Hildebrandt und Polt alles gemacht haben, vor 30 Jahren, also das war genauso treffend und hart und kompromisslos. Ich hab das Rad nicht neu erfunden."

Aber neu in Form gebracht.

Hagen Rether überrascht mit seiner kultivierten und höflichen Art selbst die boshaftesten Inhalte mit einem charmanten Lächeln unter der Gürtellinie zu platzieren. Beiläufig, mit ruhiger Stimme, im eleganten Anzug, lässig spielend auf seinem Klavier.

Der Baseballschläger, den immer auf der Bühne liegt, bleibt eine ironische Drohgebärde. Hagen Rether prügelt nicht, er plaudert – über schwule Bischöfe und die guten alten Zeiten.

"Früher, als die Frauen mit Kopftuch die Schule noch putzen aber nicht unterrichten durften."

Oder über Herbert Grönemeyer und dessen Art, Privates öffentlich zu vermarkten.

"Das ist so ein PR-Scheiß. Und wir gehen ihm so auf den Leim. Der verdient sich krumm und buckelig, nur weil seine Alte vor vier Jahren gestorben ist."

Hagen Rether selbst redet über sich nur ungern in der Öffentlichkeit. Zwar erzählt er auf der Bühne von seinen Erfahrungen als allein erziehender Vater, ob das aber tatsächlich seine eigenen sind, bleibt unerwähnt und mehr als fraglich. Klar und deutlich hingegen sagt er, warum er Talkshows und Interviews in der Regel meidet.

"Man bekommt komische Fragen gestellt, auf die man sofort eine Antwort haben muss, die man gar nicht hat. Woher auch."

Nach seinem Auftritt, in der Mädchenumkleide, nachts um halb eins, hat Hagen Rether dann aber doch noch die ein oder andere Antwort. Er greift zu einer neuen Zigarette und beginnt zu erzählen.

Von seinem Geburtsort Bukarest, wo er 1969 geboren wurde, von seinen deutschen Eltern, mit denen er vier Jahre später nach Freiburg zog, von seiner Schwester, die wie er schon als Kind freiwillig am Klavier saß, von seinem Musikstudium in Essen und einer Ausbildung zum Heilpraktiker, die er aus Zeitmangel nie abgeschlossen hat, obwohl er doch noch immer so gerne massiert. Und schließlich erzählt er auch von Dr. Stratmann, dem Kabarettisten, der ihn Anfang der Neunziger engagierte, als Pianisten für seine Bühnenshow. Acht Jahre lang war Hagen Rether dort der stille Mann im Hintergrund.

"Dann denkt man, ne, du bist jetzt irgendwie 30 geworden und du willst auch irgendwie 60 werden, du kannst nicht immer Tasten drücken und warten und Tasten drücken, war mir irgendwann zu wenig, ja. Wollte gerne auch mal meinen Senf dazu geben."

Also schrieb er mit Anfang 30 sein eigenes Programm und aus einem anfänglich netten Musikabend mit Wort wurde ein bitterböser Wortabend mit Musik.

"Als ich anfing mit diesem Programm und auch mit diesem Titel, da kam es durchaus vor, dass Leute geschockt waren von den Inhalten. Die hatten was völlig anderes erwartet. Da ist so ein netter junger Mann auf dem Poster und das Programm heißt Liebe, die hatten sich so einen Chansonabend erwartet oder irgendwas, und die sind dann Türen knallend gegangen."

Heute mit 37 Jahren, hat Hagen Rether schon so ziemlich jeden verfügbaren Kabarettpreis gewonnen und ist seit seinem Durchbruch vor drei Jahren längst bekannt für seine gnadenlose Abrechnung mit den Missständen dieser Welt.

"Globalisierung ist, wenn polnische Truppen im Irak deutsches Giftgas finden. Come together."

Dass er sein Programm ausgerechnet "Liebe" nennt, hat für ihn einen ganz nahe liegenden Grund.

"Das Programm ist eben auch wie die Liebe."

Sagt Hagen Rether nach einem letzten Zug an seiner Zigarette.

"Unstet und schmerzlich und leise und laut… Fällt Ihnen ein besserer Titel ein?"