Poesie, Furor und Holzhammer

Von Wolf-Dieter Peter · 07.06.2010
Hans Neuenfels zeigt Mayrs Oper als einen Zusammenprall der Kulturen. Medea kommt als schamanische Naturvolk-Zauberin in eine moderne Hochzivilisation samt mordendem Sicherheitsdienst.
Zwei späte Debüts an einem Abend: der 1763 als Johann Simon bei Ingolstadt geborene, aber in Italien zum Starkomponisten und einflussreichen Lehrer der Generation Bellini-Donizetti-Verdi gereifte "Giovanni Simone Mayr" endlich im Spielplan der Staatsoper – und der nunmehr 70-jährige Hans Neuenfels erstmals als Regisseur. Inhaltlich ein glückliches Zusammentreffen, denn Mayrs 1813 uraufgeführte "Medea in Corinto" war binnen kurzem ein jahrzehntelang nachgespielter Erfolg und der einstige Schauspiel- wie Opernneudeuter Neuenfels hat den Medea-Stoff schon in den Fassungen von Euripides und Grillparzer inszeniert.

Mayrs Oper zeigt nicht die Argonauten-Sage vom "Raub des Goldenen Vließes" durch Jason mit Hilfe Medeas, sondern Ankunft und Scheitern des einstigen Liebespaares in Korinth. Felice Romanis Libretto beeindruckt dabei mit der dramatisch eindringlichen Benennung des Unglücks: ausgebrannte Leidenschaft, neue Liebe, verletzende Demütigung, maßlose Rache. Mayr hat dazu eine über weite Teile beeindruckend vielfältige Musik komponiert. So tritt Medea nicht als ungezähmte Furie auf, sondern als liebend Leidende umspielt von einer Sologeige. Ihre von Jason halb hingerissen, halb berechnend geliebte Konkurrentin, Königstochter Creusa, wird von der Soloharfe klangschön-kühl charakterisiert.

Doch dann hat Mayr das Schlagwerk und die Blechbläser im bisherigen italienischen Opernorchester deutlich verstärkt. Er kannte den Elan der französischen Revolutionsmusiken und hat in Wien die Dramatik des frühen Beethoven erlebt. Prompt besitzt das Finale des ersten Akts, als Medea mit dem gleichfalls eifersüchtigen vorherigen Creusa-Verlobten Egeo die Hochzeitsfeier Jason - Creusa handgreiflich platzen lässt, musikdramatische Wucht.

Die Steigerung hin zum zweiten Finale, in dem Medea Creusa mit einem Mode-Geschenk vergiftet, ringend und verzweifelt in den gemeinsamen Kindern "nur" das Blut Jasons töten will, besitzt Längen, gipfelt aber in einem fulminanten "Abflug" Meadeas per Zaubergefährt in die Nacht des Mythos. Das alles dirigierte Ivor Bolton mit dem etwas hochgefahrenen Staatsorchester vielfarbig, feinfühlig und immer zupackend. Auch wenn Ramon Vargas als Jason fast das schwächste Glied in einem ansonsten ausgezeichneten Solistenensemble um Alistair Miles Vater, Alek Shraders Egeo und Elena Tsallgovas Creusa war: Alle überragte die nur momentweise nicht leidvoll angespannte, wünschenswert schneidend kalte Medea von Nadja Michael, die die Entwicklung eines Amoklaufes offenlegte.

Sie alle zeigte Neuenfels in einem Zusammenprall der Kulturen: Medea kam als schamanische Naturvolk-Zauberin in Bastkleid, Kopfmaske und mit Zaubersteinketten in eine moderne Hochzivilisation samt mordendem Sicherheitsdienst und todschick, aber einheitlich "grau" gewandeter Volksmasse (Kostüme Elina Schnizler). Dazu ließ Neuenfels poetische Szenen kontrastieren: Medeas Szene mit der auf der Bühne auftretenden Sologeige, Creusas Auftritt mit der Soloharfe oder Auftritte der im Text genannten Amor und Hymen – nur fand da Lichtregie überhaupt nicht statt.

Auch die Entlarvung "unserer" Hochzivilisationen – Ausbeutung, Diskriminierung, Militarisierung, offizielle Menschenopfer, durchgängig eingefügte Folter und Morde – inszenierte Neuenfels plakativ, wie mit dem Holzhammer ... leider kaschieren Staaten ihre kriminellen Machenschaften raffinierter. Dieser Aufwand an Statisterie gipfelte im Bild-Aufwand Anna Viebrocks. Ihr betongrauer Terrassenplatz war gut bespielbar. Die darüberliegende bühnenbreite Loggia mit faschistoiden Türportalen und Staatsmöbeln wurde schon zu wenig genutzt. Darüber thronte dann wieder eines ihrer altbekannt grässlichen Kleinbürgerhäuschen, in dessen Inneren ein riesiges Pferdegespann zu erahnen war.

Das Hochfahren dieses Häuschens sollte dann wohl Medeas "Abflug" signalisieren – nur: das Ganze ist von den hinteren Rangreihen nicht zu sehen – und niemand von Intendant Bachler abwärts über seinen dramaturgischen "think tank" schreitet schon bei den Bauproben ein ... So mischten sich Buh und Bravo zurecht.
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