Plädoyer gegen Organspende

19.02.2008
Nachdem ihr 15-jähriger Sohn bei einem schweren Verkehrsunfall einen Hirntod erlitt, gaben Renate Greinert und ihr Mann das Einverständnis zur Organspende. "Ausgeschlachtet" lag der Leichnam dann bei der Beerdigung vor ihnen. Mit ihrem Buch "Unversehrt sterben!" nimmt sie den Kampf gegen die "moderne Form des Kannibalismus" auf.
Februar, 1985: Christian ist 15 Jahre alt, als er auf dem Nachhauseweg verunglückt und schwere Hirnverletzungen davonträgt. Der Rettungshubschrauber fliegt ihn in die Medizinische Hochschule Hannover. Schweres Hirntrauma lautet die Diagnose. Auf der Intensivstation kämpft man um sein Leben. Aber die Ärzte sind wenig zuversichtlich. Zu schwer sind die Kopfverletzungen. Die Familie steht unter Schock. Es darf nicht sein, was nicht sein kann. Eben noch war dieser Junge vergnügt, jetzt soll alles zu Ende gehen? Zumal Christian äußerlich kaum verletzt wirkt: ein Schnitt in der Lippe, ein aufgeschürfter Wangenknochen und eine Schürfwunde an der Stirn sind alles, was man sieht.

Umso größer der Schock, als die Ärzte die Diagnose stellen: Hirntod. Für die Mediziner ein eindeutiges Zeichen, nach den geltenden Richtlinien allemal. Umso natürlicher, dass sie die Eltern um die Einwilligung zur Organspende bitten. Die Eltern stimmen zu.

Fünf Tage später die Beerdigung und damit das Entsetzen: Renate Greinert sieht den Körper ihres Sohnes und erstarrt: Eine riesige Narbe verunstaltet den Körper Christians, seine Augen fehlen. Herz, Leber, Nieren und die Beckenkammknochen hat man ihm entnommen. "Ausgeschlachtet, ausgeweidet", wird Renate Greinert später darüber sagen, lag er vor ihr. Das hatte sie nicht gewollt!

Für Renate Greinert beginnt damit ein Kampf gegen die Organspende, die sie heute als moderne Form des Kannibalismus bezeichnet. Ihr Buch "Unversehrt sterben!" erzählt von diesem verzweifelten Kampf, den Renate Greinert seit nun mehr 22 Jahren kämpft.

Über 200 Seiten ist dieses Buch dick, es erzählt von den ersten Tagen nach Christians Unfall, von der Intensivstation, von den Gesprächen mit Ärzten und es beschreibt vor allem ihre Wut, ihre verzweifelte Wut, eine Entscheidung getroffen zu haben, die sie nie mehr zurücknehmen kann. Solche Lektüre berührt und man fragt sich nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand in Sachen Organspende. Was ist zum Beispiel die genaue Definition von "Hirntod"?

Renate Greinert will genau darüber aufklären. Sie erzählt in einem schnellen Abriss die medizinische Geschichte dieser Definition, sie beschreibt den Kampf um Organe, der seit Jahrzehnten tobt, und der immer härter wird, weil nach wie vor wenig Menschen bereit sind, ihre Organe zu spenden. Und das soll, wenn man der Autorin folgt, auch so bleiben. Jeder hat ein Recht auf seinen Tod, schreibt sie. Hirntod, bedeutet ihrer Meinung nach, nicht tot zu sein, vielmehr sei man ein Sterbender.

Um ihre These zu bewiesen, sammelt sie Fakten, lässt Mediziner zu Wort kommen, die ihr eigenes Unwohlsein diesbezüglich äußern. Und sie schildert auch die Anfeindungen, denen sie sich ausgesetzt fühlt, wenn sie sich gegen die in ihren Augen kritiklos gefeierte und geforderte Organspende ausspricht.

Tatsächlich kann Renate Greinerts Geschichte den Glauben an die heile High-Tech-Medizin ins Wanken bringen, aber irgendwann verliert sie sich zu sehr in ihrer Wut. Jede Seite ihres Buches erzählt von dem Gefühl missverstanden, missbraucht und manipuliert zu werden. Keiner versteht sie, alle, die anderer Meinung sind als die Autorin, sind gegen sie. Sie selbst wird dabei immer angreifbarer, weil sie ausschließlich die negativen Seiten der Transplantationsmedizin beleuchtet und auch vor Vergleichen zu den Menschenversuchen des "Dritten Reichs" nicht zurückschreckt.

Im gesamten Buch findet sich kein Wort über die verbesserte Lebensqualität, welche Patienten nach Erhalt eines neuen Organs oft erhalten. Für Frau Greinert sind diese Menschen alle Nutznießer des Todes. Sie dürfen leben. Christian hingegen nicht. Die nachvollziehbare Betroffenheit der Autorin ist das Problem des Buches. Der Kösel Verlag hätte besser daran getan, der trauernden Mutter wenigstens einen nicht involvierten Autor zur Seite zur stellen. So verfestigt sich der Eindruck, dass man nur selten der beste Anwalt in eigener Sache ist.

Rezensiert von Kim Kindermann

Renate Greinert: Unversehrt sterben! Konfliktfall Organspende. Der Kampf einer Mutter
Kösel Verlag, München
224 Seiten, 17,95 Euro