Philosophie

Des Meisterdenkers Sudelbücher

Undatierte Aufnahme des deutschen Philosophen Martin Heidegger (1889-1976).
Undatierte Aufnahme des deutschen Philosophen Martin Heidegger (1889-1976). © picture alliance / dpa
Von Thorsten Jantschek · 20.02.2014
Martin Heidegger gilt als einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Neben seinem umfangreichen veröffentlichten Werk gibt es einen bislang unbekannten Bereich: Seine von ihm "Schwarzen Hefte" genannten Tagebücher. Heute erscheint der erste Band. Belegt er den Antisemitismus Heideggers, der ihm immer unterstellt wurde?
"Wir gelangen in das, was Denken heißt, wenn wir selber denken. Damit ein solcher Versuch glückt, müssen wir bereit sein, das Denken zu lernen."
Und er lehrte einer ganzen Generation von Philosophen das Denken, dieser Martin Heidegger. Mit einer Wucht, die seine Philosophie in den 1920er-Jahren berühmt, und später berüchtigt gemacht hatte, rannte er an gegen die Philosophie seiner Zeit, gegen die Spekulationen über Freiheit, Gott und Unsterblichkeit, gegen die Ideen und Ideale der klassischen Metaphysik.
Heidegger lässt seine Philosophie stattdessen im tatsächlichen Leben, im Alltäglichen, gründen, in der geschichtlichen Zufälligkeit. Von dort aus erschließt er die Grundlagen menschlichen Seins. Es war die Geburtsstunde des Existentialismus.
In seinem Hauptwerk "Sein und Zeit" von 1927 konnte man noch nicht ahnen, dass er wenige Jahre später im Aufkommen des Nationalsozialismus eine Umwälzung des menschlichen Seins sah, ja, den Führer gar selbst führen und in ihm das Existenzprinzip des "deutschen" Daseins erkennen wollte. Am 3. November 1933 heißt es in seinem "Aufruf an die Deutschen Studenten":
"Nicht Leersätze und 'Ideen' seien die Regeln Eures Seins. Der Führer selbst und allein i s t die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz."
Günter Figal: "Heidegger hat sich einerseits in diese Zeit und in die – wie er es verstand – nationalsozialistische Revolution hineingeschrieben."
... so der Philosoph Günter Figal, Vorsitzender der Martin-Heidegger Gesellschaft:
"Er hat versucht, als Philosoph dort einen Stand in der Geschichte zu finden. Und er hat versucht, diese Geschichte mit zu prägen. Er hat sich zugleich, und das ist der zweite Aspekt, aus dem Nationalsozialismus aber auch herausgeschrieben. Also er hat versucht, das, was er als Nationalsozialismus verstand, umzudeuten und es war klar, dass er sich damit auch in eine Isolation hineingebracht hat, die ihm keine öffentliche Wirkung in dieser Zeit bescheren konnte."
Kein Wort der Entschuldigung
Und nach 1945? – Heidegger schweigt. Kein Wort der Entschuldigung, keines der Rechtfertigung. Aber die Philosophie Heideggers verändert sich: Als deutlichstes Motiv tritt nun eine Zivilisationskritik hervor. Eine Flucht aus der modernen Welt. Der Ton wird raunend, mythisch, archaisch und oft: unverständlich.
Der historische Wandel ist für ihn eine Verfallsgeschichte der europäischen Kultur. Der Welt der industriell massenhaft produzierten Dinge setzt der Philosoph das vermeintlich Authentische entgegen, bäuerliche Einfachheit etwa oder ein Feldweg, an dem das Denken hinter die Moderne zurückspringt.
"Das Einfache verwahrt das Rätsel des Bleibenden und des Großen. Der Mensch versucht vergeblich, durch sein Planen den Erdball in eine Ordnung zu bringen, wenn er nicht dem Zuspruch des Feldweges eingeordnet ist. Die Gefahr droht, dass die Heutigen schwerhörig für seine Sprache bleiben. Ihnen fällt nur noch der Lärm der Apparate, den sie fast für die Stimme Gottes halten, ins Ohr."
Vordenker einer generellen Vernunftkritik
Heideggers Einfluss auf die Philosophie aber wächst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unaufhörlich, vor allem französische und amerikanische Denker nehmen seine Skepsis gegenüber der modernen, verwissenschaftlichten Welt auf, machen ihn zum Vordenker einer generellen Vernunftkritik.
Gerade weil Heidegger bis in die Gegenwartsphilosophie so bedeutend ist, kochen die Debatten um seine Nazi-Verstrickungen immer wieder hoch. So auch jetzt mit den erstmals erscheinenden und bis zum heutigen Veröffentlichungstag unter Verschluss gehaltenen "Schwarzen Heften", Heideggers philosophische Reflexionen aus den Jahren 1931–38.
Günter Figal: "Was neu ist, dass es in den Reflexionen, in denen er versucht, sich in seine Zeit zu stellen, auch Überlegungen zum Judentum gibt, die eindeutig antisemitisch sind. Wir werden unterscheiden müssen zwischen Heidegger als einem systematischen Philosophen und Heidegger als einer historischen Figur des 20. Jahrhunderts, die von den Pathologien dieses Jahrhunderts angesteckt war und diese Pathologien zum Teil mit ausgetragen hat."
Diese Debatte wird nun beginnen und sie wird sich die Frage stellen, ob man diese Trennung von Philosoph und historischem Individuum wirklich vornehmen kann oder ob nicht im Kern dieser Philosophie ein antihumanistisches Menschenbild steckt. In einem jedenfalls kann man sich dem "Meister aus Deutschland" – wie Rüdiger Safranski Heidegger einmal nannte – in jedem Fall anschließen:
"Alles Bedenkliche gibt zu denken."

Hören Sie zu diesem Thema auch ein Interview mit dem Literaturwissenschaftler Silvio Vietta. Er war mit Heidegger befreundet und im Besitz eines der "Schwarzen Hefte".
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