"Perfidia" von James Ellroy

Abgründiges aus L.A.

Los Angeles leuchtet bei Nacht, aufgenommen vom Griffith Obervatory.
Los Angeles leuchtet bei Nacht, aufgenommen vom Griffith Obervatory. © AFP / Joe Klamar
Von Gerrit Bartels · 26.03.2015
In seinem neuen Großroman erzählt James Ellroy von Los Angeles im Dezember 1941. Die Japaner haben gerade Pearl Harbor überfallen - und in der Stadt herrschen Aufruhr, Verrat und Rassismus.
James Ellroy ist besessen von der jüngeren Geschichte seiner Heimat: den USA im allgemeinen und Los Angeles, wo Ellroy 1948 geboren wurde, im speziellen. Das bewies sein sogenanntes L. A. Quartett, zwischen 1987 und 1992 erschienen, vier Romane über die Zeit von 1946 bis 1958 in Los Angeles. Und das bewies eine nachfolgende Trilogie über ganz Amerika, die den Zeitraum von 1958 bis 1972 behandelte und unter anderem den Kennedy- Mord noch einmal in verschwörungstheoretisches Licht tauchte.
So ist es nicht weiter erstaunlich, dass Ellroy am Ende seines neuen, knapp tausendseitigen Romans "Perfidia" erklärt, dieser sei lediglich der Auftakt des zweiten L. A. Quartetts mit echten und fiktiven Figuren, die man aus seinen anderen Werkgruppen kenne, nur eben "in deutlich jüngeren Alter".
"Tote Japsen in der Pathologie"
"Perfidia" beginnt am Vorabend des japanischen Angriffs am 7. Dezember 1941 auf Pearl Harbor. Ein Drugstore in L.A. wird überfallen; kurz darauf müssen die Polizisten des Los Angeles Police Departments in ein Villenviertel wegen des Mordes an einer vierköpfigen japanischen Familie. Zum Ermittlerteam gehört ebenfalls ein Japaner, Hideo Ashida, ein Polizeichemiker, eine der vier Hauptfiguren des Romans. Die anderen sind Captain William H. Parker, eine wahre Figur, hier ansatzweise der good cop; dann Sergeant Dudley Smith, der bad cop des Romans; und die 21 Jahre alte Kay Lake, eine junge Frau, die mit diversen Polizisten Liebesverhältnisse pflegt.
Im steten perspektivischen Wechsel erzählt Ellroy, was im Dezember 1941 in L.A. alles passiert, insbesondere vor dem Hintergrund des Angriffs der Japaner. Die Stadt ist in Aufruhr. Es ist Krieg, es regieren Patriotismus, Rassismus, Verrat, Korruption und Kaputtness, bei Polizei und Stadtverwaltung, bei kriminellen Gruppierungen, in Hollywood. Und mitten drin die japanischen Einwanderer, die kaisertreuen, mit den Nazis verbündeten, die lange assimilierten: "Japsen-Massenfestnahmen, Japsen in Ketten, Japsen in Luxus-Gefängnissen. Tote Japsen in der Pathologie. Hideo Ashida - der beeindruckend gescheite Japse."
James Ellroy ist kein Tolstoi und kein Balzac
Ellroy begibt sich mit seinen Figuren in jeden Winkel L.A.s, nach Little Tokyo oder Chinatown, nach Silver Lake oder Hollywood, auf Filmparties, in sozialistische Zirkel. Da halten chinesische Gangsterbosse Drogen-Hinterzimmer für die Polizisten frei, treffen Polizisten auf Ihresgleichen, aber auch auf Filmstars, schläft Dudley Smith mit Bette Davis. Und da schreibt Kay Lake, dass Bertolt Brecht sie auf einer Party der Roten Königin anbaggern wollte, sie aber cool blieb: "Ich ließ ihn wissen, dass ich die 'Dreigroschenoper' langweilig fand, und wandte mich ab."
Zack, zack, zack geht das hier, in einer staccatoförmigen, oft nur auf Aufzählungen und Substantivaneinanderreihungen bestehenden Bebop-Prosa, keine Atempause, Tempo und Geschichte werden gemacht. In puncto Romantik und Sex oder wenn Kay Lake ihr Inneres entblößt, wird es allerdings hölzern. Die weibliche Psyche liegt Ellroy nicht. Er ist eben doch kein Tolstoi und kein Balzac, denen er nacheifert. Dafür ist zudem sein Menschenbild zu abgründig, zu kaputt, zu wenig hoffnungspendend. Aber dass Krimis mehr als nur Krimis, sie epische Ausmaße annehmen und umfassende Gesellschaftsentwürfe sein können, beweist Ellroy mit "Perfidia" einmal mehr. Jedem Autor seine ureigene menschliche Komödie.

James Ellroy: Perfidia
Aus dem Amerikanischen von Stephen Tree
Ullstein Verlag, Berlin 2015
950 Seiten, 25 Euro

Mehr zum Thema