Papst-Buch auf Pilcher-Niveau

Von Knut Berner · 05.02.2012
Armer Josef Ratzinger. Er wollte gar nicht Papst werden. Und er findet sich in dieser Rolle nicht zurecht. Weil er nämlich ein sanfter, leiser Theologieprofessor ist und bleiben wollte. Diesen Eindruck möchte der Vatikankorrespondent Andreas Englisch mit seinem neuen Buch vermitteln.
Benedikt XVI. wird als ein Mensch geschildert, der zwar mit seinen dogmatischen Positionierungen viele Leute vor den Kopf stößt, was aber nicht so wichtig scheint, weil Ratzinger im Grunde ein lieber Kerl ist.

Als Papst ist jedoch seine bisherige Amtszeit überwiegend von Pleiten, Pech und Pannen bestimmt. Wichtige Reden misslingen, weil der alte Mann in Regensburg angeblich nicht erkennt, dass er nicht als Privatmann über den Islam spricht und in Auschwitz dummerweise vergisst, von der Shoah zu sprechen. Auch versteht er nicht, warum ihm die Welt böse ist, weil er den Holocaustleugner Williamson rehabilitiert. Dazu kommen die listigen Gegner im Vatikan, die dem Papst das Leben schwer machen.

Als besonderes Problem wird herausgestellt, dass Ratzinger einfach kein Showman ist: Er weiß angeblich nicht, dass er sich um sein Outfit kümmern muss, Kinder segnen und dem Volk zuwinken soll. Besonders bei Weltjugendtagen. Denn die sorgen für Rekorde, an denen der katholischen Kirche gelegen ist und die auch der Autor als maßgeblich ansieht:

"Die mehr als 100 Millionen Euro, die ein Weltjugendtag kosten kann, die Monate harter Arbeit, die kostenfrei von Freiwilligen erbracht wird, die intensive Vorbereitung des Papstes, alles das dient nur einem Ziel: Dass der Sprecher des Papstes nach dem Abschlussgottesdienst einen Triumph verkünden kann. Dieser Triumph kommt daher in Form einer Zahl, wenn er denn kommt."

Englisch zeichnet das Bild eines harmlosen Intellektuellen, der lange Zeit zu ahnungslos und unbedarft ist, um als Papst glänzen zu können. Jedoch gilt er als bescheiden, was sich zum Beispiel darin zeigt, dass er sich mit einem normalen 600er Mercedes als Dienstwagen zufrieden gibt, wo er doch eine Sonderanfertigung haben könnte.

Dass Benedikt XVI. machtbewusst sein könnte, seine Reden genauso meint, wie er sie sagt und sich mit Absicht und Kalkül als Papst so inszeniert, wie er es tut, wird nicht in Betracht gezogen. Auch welche Bedeutung Intellektualität für die Kirche haben könnte, erschließt sich dem Autor nicht. Sichtbar wird aber, dass Ratzinger immer im Schatten seines Vorgängers steht.

Johannes Paul II. ist der eigentliche Held des Buches und der Autor bringt ihm eine fast grenzenlose Verehrung entgegen, die nicht frei von Kitsch ist. Wojtyla erscheint als Medienstar, Jahrtausendpapst, beeindruckte durch die Kraft seiner blauen Augen und hatte Sinn fürs Mirakulöse, wofür die massenhaften Seligsprechungen und sein Faible für überspannte Wundergläubige stehen.

Vor allem die politische Bedeutung dieses Papstes wird von Englisch unterstrichen, gravierende Entgleisungen, wie die Treffen mit Pinochet oder Tarik Aziz, werden zwar erwähnt, fallen aber ebenso wenig ins Gewicht, wie die Vertuschung sexuellen Missbrauchs.

"Aber selbst wenn man die irdischen Fähigkeiten Karol Wojtylas beiseite ließ, waren die ‚himmlischen‘ noch eindrucksvoller. Die Kardinäle mussten sich fragen, ob Gott sich überhaupt schon einmal so deutlich an die Seite eines Papstes gestellt hatte. Erst rettete er ihn vor einem tödlichen Attentat, dann lässt er ihn bereits zu Lebzeiten Wunder wirken."

Dementsprechend ergriffen zeigt sich der Autor bei der Seligsprechung Wojtylas. Stilistisch und gedanklich ist das Buch auf dem Niveau von Rosamunde Pilcher. Englisch sinniert darüber, wie sich Wetterverhältnisse auf päpstliche Veranstaltungen auswirken und was Gott wohl damit zu tun haben könnte.

Eitel streicht er seine Bedeutung als Bestsellerautor hervor, gibt Anekdötchen aus seinem Privatleben zum Besten und erzählt viele Geschichten gleich mehrfach, was zu Ermüdungserscheinungen führt. Ein besseres Lektorat hätte hier helfen können, auch bezüglich der sachlichen Fehler, so wird die Weihnachtsgeschichte im Markusevangelium angesiedelt und der Kirchenvater Augustin im Mittelalter.

Trotz dieser Mängel erhellt aber das Buch auf seine Weise eine Misere der katholischen Kirche: Der Personenkult bringt mit sich, dass vor allem auf emotionale Effekte, Pomp und Entertainment gesetzt wird. Wer das bedient, wie Wojtyla, gilt als Lichtgestalt. Wer das nicht bedient, wie Ratzinger, hat es schwer.

Aber Englisch weiß einen Ausweg. Benedikt XVI. wird nämlich schließlich doch noch zum guten Papst, weil er seinen Vorgänger seligspricht und sich um die sexuellen Missbrauchsskandale in der Kirche kümmern darf. Allen Ernstes versucht der Autor seiner Leserschaft einzureden, Ratzinger hätte sich als Papst bewährt, weil und indem er seine Rolle als Aufklärer der Verbrechen gefunden habe.

Würde er noch zusätzlich der Welt als unverzichtbarer Zeitzeuge von Nazigräueln erzählen, dann könnte er zu wahrer Größe auflaufen. Wer aber braucht einen Josef Ratzinger, um sich über den Nationalsozialismus zu informieren? Einen, der als Papst bei seiner Rede in Auschwitz erklärte, Hitler und einige andere hätten das Volk damals verführt? Wie auch immer: Englisch sieht Benedikt in der Rolle des aufrechten Kämpfers gegen den Schmutz und als würdigen Nachfolger seines Vorgängers.

"Den beiden demütigen Männern, die aus einfacheren Verhältnissen kamen, als alle Päpste jahrhundertelang vor ihnen, der Sohn eines pensionierten Unteroffiziers aus Polen und der Sohn eines Polizisten, ihnen war es zugedacht gewesen, nacheinander sich um Gottes Kirche zu kümmern, und Gott, wenn es ihn denn gab, hatte es so eingerichtet, dass ausgerechnet der Mann, der auf die Geschichte und Tradition der katholischen Kirche so stolz war, die schmutzigsten Verbrechen der Priester dieser Kirche weltweit verfolgen und bestrafen musste."

Fazit: Wer sich für Vatikaninterna interessiert, wird auf seine Kosten kommen. Implizit wird bei der Lektüre vielleicht eine Wahrheit anschaulicher, die der Protestantismus erkannt hat, dass nämlich das Papsttum eine überflüssige Instanz darstellt.

Andreas Englisch: Benedikt XVI. Der deutsche Papst
C.Bertelsmann Verlag München
Buchcover: "Benedikt XVI - Der deutsche Papst" von Andreas Englisch
Buchcover: "Benedikt XVI - Der deutsche Papst" von Andreas Englisch© C.Bertelsmann Verlag
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