Pantin und Neukölln

Zwei Problembezirke wandeln sich

Links: Polizisten patrouillieren während Unruhen im französischen Pantin im November 2005. Rechts: Ermittler sichern nach Schüssen auf Polizisten in Berlin-Neukölln im März 2006 Spuren.
Links: Polizisten patrouillieren während Unruhen im französischen Pantin im November 2005. Rechts: Ermittler sichern nach Schüssen auf Polizisten in Neukölln im März 2006 Spuren. © picture alliance / dpa / epa / Ravers / Le Floch / Thomas Schröder
Von Pia Rauschenberger · 12.08.2015
Zehn Jahre ist es her, da wurden die Pariser Banlieues von Unruhen erschüttert: Allein in Pantin brannten innerhalb von zwei Wochen 980 Autos. Auch Berlin-Neukölln galt einst als Problembezirk. An beiden Orten hat sich inzwischen viel getan. Ein Vergleich.
Pantin, eine migrantisch-kommunistisch geprägte Vorstadt, wo früher arme Familien in der Tabak-Industrie gearbeitet haben. Seit ein paar Jahren verändert sich hier etwas: Der Familienvater Michel lebt schon seit vielen Jahren in Pantin. Er schätzt die Plätze, die Kinos und die gute Anbindung ans angrenzende Paris. Auf dem Wochenmarkt gibt es seit einiger Zeit sogar einen Stand mit Bio-Produkten.
"Also man hat fast alle Vorteile von Paris ohne die unangenehmen Seiten. Und es gibt, anders als in einigen Teilen von Paris, soziale Durchmischung. (...) Und naja, solange die Leute, die jetzt hier herziehen, nicht zeigen, dass sie mehr Geld haben als die anderen... Manchmal gehen wir in den Park und es stört, wenn die Menschen herausstellen, dass sie teure Mäntel haben. Das schafft so eine neue Differenzierung. Das sieht man oft in Paris, wo Leute auf der Straße sehr schicke Klamotten tragen."
"Das Image zu ändern ist auch ein Teil der Dynamik. Über das Departement Seine St-Denis, das '93.', haben wir ein bestimmtes Bild im Kopf, wenn wir davon sprechen. Ein Teil der Arbeit des Bürgermeisters ist es, dieses Bild zu verändern, indem er diese großen Firmen hier ansiedelt."
Silvana Ghali forscht zu Stadtentwicklung in Paris.
Berlin-Neukölln, Gentrifizierung ist das Schlagwort
"Früher war das immer ganz klar 'Schüsse peitschen durch die Nacht' hieß der Titel vom 'Spiegel' über Neukölln. Und das war Neukölln, Neukölln war eigentlich die Bronx von Berlin."
Andreas Altenhof arbeitet in der Oper Neukölln. In jenem Berliner Bezirk, der seinen Ruf weg hatte und jetzt eine Metamorphose erlebt. Gentrifizierung ist das Schlagwort. Die Alteingesessenen haben Angst davor. In einem Waschsalon stopft ein junges Mädchen Klamotten in die Maschine. Alina gehört zu denen, die erst vor kurzem hergezogen sind:
"Also es ist mir, ehrlich gesagt, sogar ein bisschen zu ruhig, aber man hat halt das Gefühl, dass die Gegend sehr im Kommen ist. Ich hab vorher in London gewohnt, also auf mich wirkt alles super günstig hier. Für mich kann´s nur besser werden, wenn halt mehr junge Leute herziehen und wenn mehr Kulturprogramm geboten wird."
Pantin - endlich weg vom Chaos-Image
Im Gegensatz zu Neukölln sehen in Pantin auch die Alteingesessenen die Veränderungen in ihrem Viertel eher positiv. Endlich weg vom Chaos-Image. Neue Galerien eröffnen. Die Thaddaeus Ropac Galerie, die unter anderem Anselm Kiefer und Joseph Beuys ausstellt, lockt sogar Pariser in die Vorstadt. Vor der Galerie stehen neben zarten Birken teure Autos. Junge Familien und reiche Kunstliebhaber sind am Wochenende hier unterwegs:
"Es ist das erste Mal, dass ich hier hinkomme, nach Pantin in die Galerie Thaddaeus Ropac. (...) Ich kannte bisher nicht den immensen Raum, den es jetzt hier gibt."
"Klar haben wir auch Bedenken wegen der Veränderung im Viertel, aber ich bin auch für eine soziale Durchmischung. Da ist es gut, dass es Kunst gibt, Galerien, die es möglich machen, dass Leuten einen Zugang zur Kunst ermöglicht wird, die von kulturellen Angeboten sonst ein bisschen ausgeschlossen sind."
Neukölln - weniger Vertrauen in die Politik
Kneipenszene Neukölln. Besonders im Reuterkiez im Norden von Neukölln, wechseln die Kneipen schnell ihre Besitzer, machen alte Kiezkneipen zu und neue auf. Menschen, die schon länger im Viertel wohnen, reagieren oft skeptisch.
"Die drei, vier Kneipen, die hier halt sind, das sind dann so Veranstaltungen, also oftmals werden Akademiker zum Beispiel angesprochen. Ich bin zwar eine, aber ich setz mich damit nicht hoch und fühl mich einfach nicht eingeladen und ich merk halt, dass das Publikum darin sehr homogen ist, ich treffe halt wenig des Völkchen, was ich noch vor sechs Jahren getroffen hab. Stinknormale Leute, die einfach nur ihr Bier trinken wollen."
Die Menschen auf der Straße in Neukölln haben weniger Vertrauen in die Politik. Es gibt zahlreiche Bündnisse, die gegen Mietpreissteigerungen und Zwangsräumungen kämpfen. Die wichtigen Kulturinstitutionen in Neukölln - wie der "Heimathafen" - sind sie Teil der Aufwertung des Viertels oder Lückenbüßer für fehlende Integrationspolitik? Stefanie Aehnelt arbeitet im Heimathafen:
"Naja, des is schon son Zwiespalt, in dem man sich hier ständig befindet, wir sind halt angetreten, um für Neukölln was zu tun. Und dann merkt man, wie sich der Bezirk verändert. Dass eben auch Leute leiden unter dieser Imageverbesserung. Es ist schon mal gut, dass wir so permanent hier sind, bald sechs Jahre hier sind, weil man auch kontinuierlich an etwas arbeiten kann. Weil diese Galerien, die hier aufmachen, das ist, glaub ich, wirklich so ein bisschen wie ein Ufo, das eben mal einfliegt und ein bisschen Kunst macht und dann wieder wegfliegt."

Die Bühne im Heimathafen, Berlin-Neukölln
Die Bühne im Heimathafen, Berlin-Neukölln© Heimathafen / Verena Eidel
"Wir sind hier in Neukölln zu einer Zeit gewesen, wo es das Wort Gentrifizierung noch gar nicht gab, also sind wir kein Teil der Aufwertung dieses Viertels, sondern vielmehr Seismographen dieses Viertels. Weil nämlich genau diese Probleme dieses Viertels hier auf der Bühne verhandelt werden und zwar vor einem sehr heterogenen Publikum, kann es genau dazu kommen, dass es verhandelt wird öffentlich und nicht zu einer Nischenproblematik abgetan wird."
Pantin - "Banlieue bleibt Banlieue"
In Pantin freuen sich viele Menschen erst mal über die Belebung des Viertels. Aber:
"... trotzdem die Trennung wird immer bestehen bleiben, Banlieue bleibt Banlieue, Paris bleibt Paris."
Wendet Marianne ein, eine Apothekerin neben dem größten Sozialbau von Pantin. Stadtforscherin Silvana Ghali sieht das ähnlich kritisch :
"Es ist sehr gut, eine soziale Mischung herzustellen. Aber das geschieht nicht allein dadurch, dass das eine neben dem anderen getan wird. Da muss man auch eine andere Kulturpolitik haben, eine andere Sozialpolitik, Veranstaltungen - damit die Leute auch wirklich zusammen wohnen. Es reicht nicht, sie einfach nebeneinander zu platzieren, und alles wird gut."
Fast 40 Prozent der Bevölkerung in Pantin lebten in Sozialwohnungen. Auch wenn sie wenig am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen - vor Verdrängung sind diese Menschen erstmal sicher. Im Norden von Neukölln ist das anders.
Neukölln - "Problematische städtischebauliche Strukturen entstanden"
"Es ist sehr schwer in einem durch Altbauten geprägten Quartier einen Sozialen Wohnraum herzustellen, weil der Grundbesitz und die Wohngebäude fast ausschließlich privaten Eigentümern gehören."
sagt Reiner Wild vom Berliner Mieterverein.
"Auch die städtischen Wohnungsunternehmen sind im Norden von Neukölln so gut wie nicht vertreten. Und da wo sie entstanden sind, zum Beispiel im Quartier zwischen Hermannstraße und der Karl-Marx-Straße, sind durchaus problematische städtischebauliche Strukturen entstanden, die jetzt auch nicht unbedingt ein Vorbild sind."
In Pantin gibt es viele Sozialwohnungen, aber die Segregation der Bevölkerung gehört noch zu Pantin - wie zu Neukölln die Gentrifizierung. In Neukölln ist Theaterarbeit mit Jugendlichen ein Mittel, um die sogenannte Berliner Mischung zu fördern.
In Pantin hat Anfang des Jahres kurz vor dem Stadttor die Philharmonie eröffnet, eine weitere wichtige Institution, die Leben in die Vorstadt bringt. Und dann gibt es das Projekt "Demos": Kinder aus den Banlieues bekommen kostenlos mehrmals pro Woche in ihren Schulen Instrument- und Orchesterunterricht. Am Ende führen sie ihr Stück in einem richtigen Konzerthaus auf.
Pantin – Neukölln: In dem Pariser Bezirk weckt der Wandel der Stadt Hoffnungen – nicht zuletzt, weil die Voraussetzungen andere sind. In dem Berliner Bezirk sind Ängste größer. Gemeinsam ist beiden: Kulturinstitutionen spielen ein wichtige Rolle, um mit dem Wandel umzugehen.
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