Oscar, europäisch

Von Katja Nicodemus · 26.11.2008
Michael Haneke gewann ihn für seinen Film "Caché”, Fatih Akin bekam ihn für "Gegen die Wand” - und im vergangenen Jahr war der Preisträger der rumänische Regisseur Cristian Mungiu mit seinem Film ”Vier Monate, drei Wochen und zwei Tage”, der beeindruckenden Chronik einer illegalen Abtreibung. Die Rede ist vom Europäischen Filmpreis.
Vielsprachigkeit und Vielstimmigkeit waren schon immer das Programm des Europäischen Filmpreises. Ob in Barcelona, Paris, Warschau oder schon bei der ersten Verleihung am 26. November 1988 im damaligen Westberlin, im Theater des Westens. In seinen Anfängen wurde der Preis, damals noch Felix genannt, als eine Art Gegenoscar eingeführt: Er sollte die Vielfalt des europäischen Kinos präsentieren, ein kämpferisches Zeichen setzen gegen die Übermacht der US-amerikanischen Bilderwelten. Bei der ersten Verleihungszeremonie veröffentlichten 13 europäische Filmschaffende, darunter Wim Wenders, Claude Chabrol, Bernardo Bertolucci, Isabelle Huppert und Eric Rohmer eine Erklärung, in der sie ihre Sorge um die europäische Filmkultur formulierten. Es sollte die Gründung einer europäischen Filmfamilie sein. Hinter der Initiative stand der damalige Berliner Kultursenator Volker Hassemer.

"Die Idee ist eine Idee für den europäischen Film. Die Amerikaner sind in unseren Filmtheatern sehr viel stärker als die Europäer, also muss man sich Dinge überlegen, um den europäischen Film publik zu machen. Um die Leute auf die Idee zu bringen, sich auch für europäische Produktionen zu interessieren."

1988 gewann Krzysztof Kieslowskis "Ein kurzer Film über das Töten" den ersten Europäischen Filmpreis. Nominiert waren unter anderem Louis Malles "Auf Wiedersehen Kinder" und Wim Wenders' "Der Himmel über Berlin".
Gehörten die Nominierten im ersten Jahr noch zum Pantheon des europäischen Autorenkinos, sollte bei den kommenden Verleihungen ein Grundwiderspruch des Filmpreises immer stärker zutage treten: Zwischen einer Zeremonie, die nur mit prominenten Namen in der Öffentlichkeit punkten kann und einem europäischen Kino, das zwar hervorragende Filme bieten kann, deren Regisseure und Darsteller aber oftmals kaum über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind. Wie schafft man es, ein europäisches Fernsehpublikum für die Übertragung einer solchen Preiszeremonie zu interessieren? Und worum geht es denn nun eigentlich: Um eine Show nach Oscar-Vorbild, mit rotem Teppich und Glamour? Oder um eine Würdigung nicht immer eingängiger und womöglich auch radikaler Werke?
Federführend bei der Diskussion um die Identität des Filmpreises war bei der ersten Verleihung vor 20 Jahren der inzwischen verstorbene Filmpublizist Wolf Donner:

"Das ist ein ganz großer Fehler: dass die Berliner PR-Apparatur dieses Filmpreises so tut, als würde sich die Idee erschöpfen in einer dusseligen Fernseh-Samstag-Abend-Unterhaltungsshow. Genau das ist es natürlich nicht. Die wichtigen Ideen, ich nenn jetzt nur mal zwei, dieser Initiative von Herrn Senator Hassemer, die gehen dabei völlig unter: Nämlich erstens: Ein paar europäische Filme sollen eine Chance kriegen. Ein paar Europäer sollen ein paar mehr europäische statt amerikanischer Filme sehen."

Nur: Zu den Filmen kommt das Publikum nicht durch eine Preisverleihung, sondern durch Kinovorführungen, die beworben werden. Bis heute organisiert die den Filmpreis ausrichtende Europäische Filmakademie zwar während des ganzen Jahres Konferenzen und Masterclasses aber eben keine Vorführungen der nominierten Filme, die diese zumindest in den europäischen Metropolen bekannter machen könnten.
Und ein Grundproblem des europäischen Kinos kann die Europäische Filmakademie auch nicht lösen: Jenseits amerikanischer Produktionen sehen die Franzosen am liebsten französische Filme, die Deutschen am liebsten deutsche Filme und die Dänen am liebsten dänische Filme.
Ein europäisches Publikum zu nicht-einheimischen Filmen bekehren, das konnte der Europäische Filmpreis nicht. Aber immerhin die bereits Bekehrten in ihrem Glauben stärken - so wie Fatih Akin, der für "Gegen die Wand" 2004 den Hauptpreis gewann und im vergangenen Jahr den Drehbuchpreis für seinen Film "Auf der anderen Seite":

"So'n Preis motiviert einen natürlich, nicht wahr, also weiter zu tippen und weiter zu schreiben und weiter sich den Kopf zu zerbrechen. Ich bin ein Kind des europäischen Kinos, ich bin sehr beeinflusst durch das europäische Kino - Kino ist meine Religion, und das hat sich heute Abend wieder ein bisschen gezeigt."

Man muss es sagen: Ein europäischer Oscar, wie vor zwanzig Jahren angekündigt, ist der Europäische Filmpreis nicht geworden. Aber vielleicht ist das auch gut so. Weil die Stärke des Europäischen Kinos in seinem Regionalismus liegt, in einer kulturellen Vielfalt, die sich nicht auf einen Nenner bringen oder auf ein Event reduzieren lässt. Vielleicht, und das wäre ja nicht das Schlechteste, ist der Europäische Filmpreis einfach ein Preis, mit dem sich ein paar Tausend europäische Filmschaffende immerhin alljährlich ihrer selbst versichern.