Originalton

Vögel und Gedichte 5

Ulrike Draesner
Ulrike Draesner © dpa / picture alliance / Swen Pförtner
Von Ulrike Draesner · 04.07.2014
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller bitten. In dieser Woche von Ulrike Draesner.
Sängerwettbewerb? Wir scheinen die Metapher aus der Natur entlehnt zu haben: Singen Vögel nicht andauernd wettstreitend gegeneinander an? In dem Versuch, sich zu übertrumpfen?
Für Teile der Vogelsingzeit und ihrer Lieder mag das gelten. Doch sind Balz und Revierabgrenzung nur der eine Teil der Geschichte. Der andere heißt: Melodien erfinden. Ohne unmittelbaren Sinn und Zweck. Ausprobieren. Jubilieren. Schmettern – für sich.
George Lakoff und Mark Johnson untersuchen in ihrem Buch "Metaphors we live by", wie Sprache uns mit Bildern füttert und wie wir nach diesem Bild unsere Welt und Wirklichkeit formen. Auf Krieg und tätlichen Streit gegründete Ausdrücke bestimmen unser Sprechen über Argumente und verbale Auseinandersetzungen; wie indes sähen unsere Diskussionsrunde, unsere politischen Handlungsweisen und allemal unsere Literatur und ihre Rezpetion aus, wenn wir nicht derartig antagonistisch dächten? Sondern Aktionen, die zwei oder mehr Personen umfassen, etwa so Lakoff und Johnson, auf einer Grundmetapher des Tanzes dächten? Also vom Gemeinsamen her.
Einander zuhören, voneinander lernen
Sängerwettbewerb? Singvögel scheinen einen Großteil der Sommermonate mit Gesang zur Freude zu verbringen. Einander zuhören, voneinander lernen. Subsong heißt, was nun erklingt: Nachahmen, zerlegen, erfinden, ausprobieren.
Eine Woche mit Vogelgedichten. Vogelgedichte sind Kindergedichte. Nicht Gedichte für Kinder, das vielleicht auch, sondern "kindliche Gedichte". Was das heißt: Kindlichkeit beim Dichten? Wie sehr brauchen Gedichte sie? Das Wort "sehr" kommt von "verletzen" - in "versehrt" ist es noch zu hören. Was man sehr braucht, braucht man, weil man ohne es wund wäre. Gedichte brauchen Kindlichkeit sehr – als Frische des Blickes. Sie leben vom Zwischensehen - der Umkehr des Fühlens und/oder Denkens, von Augenblicken der Überraschung. Die etwas Anderes als Pointen sind. Keine Lachpointen, keine Handlungspointen. Punkte der frischen Wahrnehmung. Des inneren Auflebens.
Ich frage meine Tochter, ob etwas, das da war, dann aber irgendwie unsichtbar wurde, noch da ist oder weg.
Sie ist geduldig: "Es ist, wo es ständig ist, Mama. Überall."
Ich sage: "Die Woche ist vorbei, und das Amselgedicht nicht fertig."
"Brauchst du immer so lang?", fragt meine Tochter.
Ich schüttele den Kopf und beginne, sehr langsam, ein Amselweibchen auf ein weißes Blatt Papier zu malen.
subsong des jungen amselweibchens
(leise, zusammengeklaut, im märz)
hund der den mond anbellt
den er nicht sieht oder andere
hunde deren schemen durch
die luft treiben sieht oder
einfach so, ohne grund.
die kaninchenspuren im
schnee mit wurmblauen schatten
wie mutters schnabel
gefüllt.
flügelsplitter aus licht.
gras von schlechter farbe
geleckt und nass wie etwas
das ein großes tier zärtlich
liebt.
auf der antenne sitzt-wippt
ein stück aus
dem himmel geschnittenes
band.
das.
die winzigen sprossen
das tixende licht
überrest einer reise
von millionen von jahren
klein und tobend
.. bi bin