Originalton

Verloren im Garten der vollkommenen Klarheit

Die "Alte Sommerpalast": In dem Garten- und Palastkomplex ist der "Garten der vollkommenen Klarheit".
Die "Alte Sommerpalast": In dem Garten- und Palastkomplex ist der "Garten der vollkommenen Klarheit". © picture alliance / dpa / EPA / Diego Azubel
Von Hans von Trotha · 27.10.2014
Wurde der Englische Garten in China erfunden? Am ersten Tag seiner China-Reise ist Autor Hans von Trotha dieser Frage nachgegangen. Auf der Suche nach der Antwort durchquerte er ein gewaltiges grünes Labyrinth.
Neulich fragt mich mein Neffe: "Warum müssen Leute, die Bücher schreiben, eigentlich verreisen?" Gute Frage.
Phil Dera: "Tatsächlich war China ein Land, was mich nie gereizt hat."
Mir ging es ähnlich wie meinem Freund Phil. Doch dann traf ich den Schriftsteller Rainer Kloubert. Der lebt seit dreißig Jahren in Peking und hat ein großartiges Werk über den wichtigsten aller Kaiserlichen Gärten dort geschrieben, den Yuanmingyuan. Kloubert begrüßte mich mit den Worten: "Der Englische Garten kommt aus China". Quatsch, habe ich geantwortet, der Englische Garten kommt aus England. Aber Kloubert ließ nicht locker. Nach drei Stunden Streitgespräch sagte er zu mir: "Du kommst im Herbst nach Peking, ich zeige Dir ein paar Gärten, und dann wirst Du mir schon glauben."
Eh ich's mich versah, stand ich im Yuanmingyuan, dem Garten der vollkommenen Klarheit. Und im völlig überlaufenen Sommerpalast, durch dessen Gartenanlagen die längste überdachte Promenade der Welt führt, und wo aus den Andenkenläden Musik in die feine künstliche Landschaft schallt.
Mein Freund Phil ist doch auch mitgekommen.
Phil Dera: "Ich hatte eine vage Ahnung von Gärten."
Man muss dazu vielleicht wissen, der Kloubert und ich, wir meinen das beide verdammt ernst mit den Gärten. Wir haben beide darüber geschrieben, und wir haben da beide sehr klare Meinungen.
Rainer Kloubert im Yuanmingyuan: "Der erste Schritt bei der Bildung zu einer Kultur sind - möglicherweise - Gärten. Die Natur zu ordnen und dann alles andere zu ordnen, Kunst ist ja Ordnung. Das erste, wovor man steht, ist Natur. Und wenn man Natur ordnet, dann entsteht Kultur."
Wo, wenn nicht in den chinesischen Gärten selbst hätten wir Klarheit in die China-England-Garten-Frage bringen sollen?
Phil Dera: "Und das war das Spannende: Im Kontext von einem Garten eine neue Kultur erfahrbar zu sehen, zumindest eine Ahnung zu bekommen, ohne mit den Menschen zu tun zu haben im ersten Schritt, sondern quasi mit ihrer Geschichte, die sichtbar wird, die sichtbar werden kann, wenn man den richtigen Ansatz hat."
Nur ist das mit dem Klären von Dingen so eine Sache. Von wegen Garten der vollkommenen Klarheit. Der Yuanmingyuan erwies sich rasch als gewaltiges grünes Labyrinth.
Diese Lektion hatten wir gelernt, schnell und nachhaltig. Im wattierten Schutzraum des Jetlag gingen wir am ersten Tag im Garten der vollkommenen Klarheit verloren, am zweiten Tag war es der Dunst von Peking.

Hans von Trotha, Jahrgang 1965, hat in Heidelberg und Berlin Literatur, Geschichte und Philosophie studiert. Während der Arbeit an einer Dissertation über die gegenseitige Beeinflussung von Literatur, Philosophie und Gartenkunst begann er, für den Rundfunk und verschiedene Zeitungen zu schreiben. Er gilt als Spezialist für die Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts, sein Buch "Der Englische Garten. Eine Reise durch seine Geschichte" erschien gerade in der vierten Auflage. Gut zehn Jahre lang hat er einen Berliner Verlag geleitet. Derzeit arbeitet er selbständig als Publizist und Berater im Kulturbereich. In der täglichen Rubrik "Originalton" der Sendung "Lesart" bitten wir Schriftsteller um kurze Texte. "Lost in China" heißt das Motto in dieser Woche.